Aufstand des 17. Juni 1953: Panzer gegen Parolen in der DDR
Arbeiter und Bürger in der DDR fordern 1953 freie Wahlen und bessere Lebensbedingungen. Am 17. Juni kommt es zum Volksaufstand. Im Westen wird der Tag Nationaler Gedenktag. Wie haben die Menschen in Mecklenburg und Vorpommern die Ereignisse um dieses Datum erlebt?
Der 17. Juni 1953 ist als zentraler Tag des Volksaufstands in der DDR in die Geschichtsbücher eingegangen. Anfang der 1950er-Jahre erlebt die Bundesrepublik ein Wirtschaftswunder, der Wohlstand in der Bevölkerung wächst. In der DDR dagegen ist vier Jahre nach ihrer Gründung die wirtschaftliche Lage schlecht. Es droht eine Versorgungskatastrophe.
Mehr Arbeit bei gleichem Lohn führt zu Protesten
Um diese abzuwenden, beschließt das SED-Regime am 28. Mai 1953, die Arbeitsnormen um 10,3 Prozent zu erhöhen. Für die Arbeiter bedeutet das: mehr Arbeit bei gleichem Lohn. Der Zorn über Misswirtschaft und Arroganz der Herrschenden erfasst die ganze DDR. Am 16. Juni kommt es in Berlin zu ersten Protesten. Rund 10.000 Menschen fordern die Regierung auf, die Normenerhöhung zurückzunehmen und rufen für den nächsten Tag zum Generalstreik auf.
In Muchow im Kreis Ludwigslust etwa demonstrieren Bauern gegen die Regierung. Die Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei in Schwerin erreicht eine Nachricht: "11 Uhr 10 Anruf des Operativstabes Güstrow. In der Domstraße in Güstrow vor dem Gericht haben sich ca. 400 Personen vorwiegend Frauen versammelt [...] Die Angehörigen der Möbelfabrik Bruchhäuser haben die Arbeit niedergelegt."
NWDR und Rias als "Hetzsender"
In einem Bericht des Volkspolizeiamtes Hagenow ist zu lesen:
"Morgens gegen 7:00 Uhr des 17.6.1953 wurde in der Elbewerft Boizenburg festgestellt, daß dort einige Arbeiter, die durch den demokratischen Rundfunk den Beschluß des Zentralkomitees über die Heraufsetzung der Normen gehört hatten, zu diesen Fragen Stellung nahmen. Hier schälte sich insbesondere eine Gruppe von 25 Mann heraus, die den RIAS bzw. den Nordwestdeutschen Rundfunk gehört hatten und die Argumentation dieses Hetzsenders in die Reihen der Arbeiter trugen.“
Ein Volk steht auf gegen seine Führung
Am 17. Juni bricht ein Volksaufstand aus, der die gesamte DDR ergreift. Ohne zentrale Koordination versammeln sich in 701 Städten und Gemeinden der DDR über eine Million Menschen, zahlreiche Betriebe werden bestreikt. Die Forderungen der Demonstranten gehen bald weit über die Zurücknahme der Arbeitsnormen hinaus: Sie verlangen unter anderem freie Wahlen, den Rücktritt der SED-Regierung, den Abzug der Sowjet-Truppen und die Wiedervereinigung. In Berlin und anderen Städten, vor allem im industriellen Süden der DDR, kommt es zu schweren Auseinandersetzungen: Aufgebrachte Menschenmengen stürmen Parteihäuser, Stadtverwaltungen und Gefängnisse. SED-Chef Walter Ulbricht und DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl fliehen in das Hauptquartier der Sowjets nach Berlin-Karlshorst.
Proteste auch im Nordosten der DDR
Auch in zahlreichen Betrieben in den drei Nordbezirken streiken Arbeiter, Bauern erklären ihren Austritt aus der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. In Teterow versammeln sich an diesem 17. Juni 1953 Hunderte und fordern die Freilassung der politischen Gefangenen, einige Häftlinge kommen tatsächlich frei. Sowjetische Soldaten greifen in Teterow ein, ebenso wie am Abend bei einer Demonstration auf dem Marktplatz in Grabow. Dort werden freie Wahlen gefordert. Der sowjetische Militärkommandant verhängt an diesem Abend vielerorts den Ausnahmezustand, es herrscht striktes Versammlungsverbot, von 22 Uhr abends bis 6 Uhr morgens Ausgangssperre.
Karte: Der 17. Juni 1953 im Nordosten
In Wismar sind es rund 1.400 Menschen, in Stralsund am 18. Juni mehr als 2.000. Auf der Warnow-Werft in Warnemünde versammeln sich die Arbeiter und fordern neben der Rücknahme der Arbeitsnormen freie Wahlen und die deutsche Einheit. Sie wollen eine Halbmastbeflaggung für die Toten in Berlin und den Rücktritt der Regierung. In vielen anderen Betrieben im Norden wird die Arbeit ebenfalls niedergelegt, in Gaststätten und Schulen werden die Bilder der SED-Funktionäre von der Wand genommen. Ein Polizeibericht vom 18. Juni 1953 belegt, dass auch in Rostock fast alle Arbeiter die Arbeit niederlegen. Darin heißt es: "Um 1.55 Uhr arbeiteten nur noch zwei Prozent der Belegschaft."
Regime geht mit Gewalt gegen Aufständische vor
Die Staatsführung ist mit den angeblichen Rädelsführern des Aufstandes nicht zimperlich. Gegen 13 Uhr verhängen die Sowjets in Berlin und weiten Teilen des Landes das Kriegsrecht. Panzer rollen auf, der Aufstand wird blutig niedergeschlagen. Mindestens 55 Menschen sterben in direktem Zusammenhang mit dem Aufstand, allein 18 Demonstranten werden standrechtlich erschossen. Mehrere Hundert Menschen werden verletzt. DDR-weit kommt es zu mehr als 13.000 Festnahmen.
Ende Juni 1953 meldet zum Beispiel die Bezirksverwaltung der Staatssicherheit an Staatssekretär Erich Mielke nach Berlin, im Bezirk Rostock seien insgesamt 81 Menschen verhaftet worden. Die Bezirksbehörde der Volkspolizei Neubrandenburg spricht von 60 Festnahmen.
Bis Januar 1954 ergehen allein durch DDR-Gerichte 1.524 Zuchthausurteile und zwei Todesstrafen. Die Zahl der Urteile durch das sowjetische Militärtribunal ist noch höher. Genaue Zahlen sind bis heute nicht bekannt. In Boddin beispielsweise wird noch ein Jahr später ein 17-jähriger Brigademechaniker verhaftet und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Er hatte am 13. Juni 1954 in einem Gespräch geäußert, die DDR-Regierung sei zu schwach, sonst hätten am 17. Juni keine Panzer auffahren müssen.
Tag X - 17. Juni wird zum "Tag der deutschen Einheit"
Tatsächlich bleibt der 17. Juni 1953 ein Trauma für die Machthaber. Der sogenannte Tag X - für die Staatssicherheit ist er Jahr für Jahr ein Tag der Alarmbereitschaft. Bis 1989 werden am 17. Juni die Akteure von 1953 nach einem Maßnahmenplan überwacht, die deutsch-deutschen Grenzübergänge verschärft kontrolliert.
Während die DDR-Führung den Volksaufstand vom 17. Juni zu einem "kontrarevolutionären Putsch" umdeutet, wird er in der westlichen Welt zum Symbol für den Freiheitswillen der DDR-Bevölkerung. Schon wenige Tage nach dem Aufstand wird er in der Bundesrepublik zum Gedenktag erklärt und ab 1954 als "Tag der deutschen Einheit" bis zur Wiedervereinigung 1990 als gesetzlicher Feiertag begangen. Die Aufständischen indes sind am 17. Juni 1953 gescheitert - Freiheit und Demokratie bringt erst die Friedliche Revolution im Herbst 1989.