Als die DDR auf Kreuzfahrt ging
Als MS "Astor" zunächst westdeutscher Luxusliner, dann DDR-Traumschiff für linientreue Genossen: Am 15. Oktober 1985 die "MS Arkona" in Rostock-Warnemünde zur ersten Fahrt unter DDR-Flagge aus. Ziel: Leningrad.
An Bord befinden sich an diesem Dienstag im Oktober 1985 genau 654 Passagiere - allesamt verdiente Genossen, die an dem Törn über die Ostsee bis Riga und Leningrad teilnehmen dürfen. Auch viele Westdeutsche verfolgen das Auslaufen der MS "Arkona" mit Interesse. Sie kennen das Schiff, das nun der neue Stolz des Arbeiter- und Bauernstaates ist, noch als "Traumschiff" der gleichnamigen ZDF-Fernsehserie. Darin war es als Sinnbild bundesdeutschen Wohlstands über die Weltmeere gekreuzt.
Von der "Astor" zur "Arkona" und zum sozialistischen Aushängeschild
Ursprünglich von den Howaldtswerken gebaut, läuft der Luxusliner unter dem Namen "Astor" am 16. Dezember 1980 in Hamburg vom Stapel. Doch das Kreuzfahrtschiff der Hamburger Reederei HADAG fährt trotz seiner Berühmtheit ein Millionen-Defizit ein. 1983 verkauft die HADAG es nach Südafrika.
1985 wechselt die "Astor" für 165 Millionen D-Mark erneut den Besitzer: Die DDR kauft das Schiff - allerdings über eine westdeutsche Strohfirma, denn mit dem Apartheid-Staat machen die Genossen offiziell keine Geschäfte. Für den finanziell klammen Arbeiter- und Bauernstaat ist es eine große Investition, die man dort als Beweis für die angeblich so erfolgreiche Wirtschaftspolitik feiert. Am 29. August 1985 wird in Hamburg die Flagge der Bundesrepublik eingeholt und die der DDR gehisst, statt "Astor" heißt das Schiff nun "Arkona".
Mit West-Urlaubern auf Kreuzfahrt
"200 Tage für die Werktätigen unterwegs", so heißt es in Werbeprospekten für das DDR-Kreuzfahrtschiff. Was nur wenige wissen: An den restlichen Tagen schippern die MS "Arkona" und ihre Besatzung für den westdeutschen Reisekonzern TUI und seine Tochterfirma Seetours über Nord- und Ostsee, Atlantik und Mittelmeer. Die Idee dazu stammt von DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski und bringt zwischen 1987 und 1989 geschätzt mehr als neun Millionen Westmark in die DDR-Kassen.
Ab August wieder "Genosse" und "Genossin"
Die Besatzung ist zu äußerster Zurückhaltung und Professionalität im Umgang mit den westdeutschen Gästen angehalten. Die Trinkgelder sind üppig - bis zu 4.000 Westmark pro Servicekraft und Saison. Sogar Bibeln liegen in den Nachttischen der Passagiere. Ansonsten ist die Arbeit gleich. Nur heißt es im Frühsommer immer "Herr" und "Frau", ab August wieder "Genosse" und "Genossin". Nach den TUI-Reisen werden die Speisekammern umgerüstet, denn trockene Weine mögen die meisten DDR-Gäste nicht.
Luxus für verdiente DDR-Bürger
Die "Arkona" ist nicht das erste Kreuzfahrtschiff der DDR. Weitere Traumschiffe sind die "Fritz Heckert" und die "Völkerfreundschaft". Schon ab den 50er-Jahren wollen Parteichef Walter Ulbricht und die Ideologen der DDR-Einheitsgewerkschaft Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) der Arbeiterklasse mit Schiffsreisen und Urlaubsheimen an der Ostsee und im Harz das Leben versüßen. "Der Sieg des Sozialismus bedeutet schöneres und herrliches Leben für die Werktätigen", so die vollmundige Botschaft. Tatsächlich ist der Luxus an Bord geradezu verschwenderisch: Gala-Dinners und riesige Büfetts, Sportprogramme, Konzerte und eine exklusive Schiffsboutique gehören dazu. Legendär ist die Bord-Bar mit ihren exotischen Cocktails.
Die Stasi fährt mit: "Das Schiff hatte Ohren"
Mitfahren dürfen allerdings nur als zuverlässig eingestufte DDR-Vorzeigebürger. Meist vom Betrieb vorgeschlagen, warten diese jahrelang auf ihre Reise. Zusätzlich kontrollieren Mitarbeiter der Stasi die potenziellen Passagiere. Genauso kritisch wird die Besatzung ausgesucht - und einzelne Mitglieder von der Stasi als Inoffizielle Mitarbeiter angeheuert. "Das Schiff hatte Ohren, und das wusste auch jeder", heißt es später vom letzten Kapitän der "Arkona". Er selbst muss der Reederei regelmäßig Bericht erstatten, von dort gehen Durchschläge an SED und Stasi. Besatzungsmitglieder, die er für unzuverlässig und damit ungeeignet für die Auslandsreisen hält, meldet er.
Trotz aller Vorkehrungen nutzen mehr als 200 Menschen, Urlauber wie Besatzungsmitglieder, die Kreuzfahrten zur Flucht - auf Landgängen ebenso wie per Sprung über Bord mit anschließendem Versuch, an Land zu schwimmen. Die SED verhängt immer neue Vorschriften, um Fluchtversuche zu verhindern. Sie lässt Fahrten ins kapitalistische Ausland streichen, später ist den sozialistischen Urlaubern der Landgang nur in Gruppen gestattet.
3. Oktober 1990: Die DDR-Flagge wird eingeholt
Bis zum 3. Oktober 1990 fährt die "Arkona" unter DDR-Flagge. Am Tag der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten holt man die DDR-Flagge ein und hisst die des wiedervereinigten Deutschlands. Schon bald ist auch an Bord alles anders: Die Nachfrage nach den einst so begehrten Seereisen bricht drastisch ein, das Schiff muss sich gegen die Konkurrenz größerer und moderner Schiffe behaupten.
MS "Arkona" wird zu "Astoria" wird zu "Saga Pearl II"
Schließlich chartert der Bremer Kreuzfahrt-Veranstalter Transocean das einstige Traumschiff der DDR, modernisiert es und verpasst ihm 2002 den neuen Namen "Astoria". Nach einem Zwischenspiel 2012 unter dem Namen "Quest for Adventure" kreuzt das Schiff ab Ende 2013 dann für die Reederei Saga Cruises als "Saga Pearl II" unter maltesischer Flagge über die Weltmeere.
Neues Leben als private Luxus-Jacht?
Knapp drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall wird auch die Geschichte des einstigen DDR-"Traumschiffs" als Kreuzfahrtschiff beendet: Die Reederei stellt es am 11. April 2019 außer Dienst. Ein griechischer Geschäftsmann, so heißt es, kauft das geschichtsträchtige Schiff kurz darauf und will es sich zu einer privaten Luxus-Jacht umbauen lassen.