Als Hamburgs Straßen von Gas erleuchtet wurden
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts erhellen lediglich rußige, flackernde Öllaternen Hamburgs Straßen. Das ändert sich, als wohlhabende Bürger die Initiative ergreifen: Am 4. Oktober vor 175 Jahren bekommt die Stadt erste Gaslaternen.
Schmutzige, enge Gassen, in denen man bei Dunkelheit nicht sieht, in welchen Dreck man tritt oder wer hinter der nächsten Ecke lauert: So sieht es in Hamburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus. Doch im Zuge des Handelsausbaus und der Industrialisierung kommt Bewegung in die Stadtgestaltung. Alte Gebäude werden zunehmend abgerissen. Der Große Brand von 1842 zerstört schließlich einen Großteil der Hamburger Altstadt. Doch die Vernichtung birgt eine riesige Chance: Beim Wiederaufbau kann die Hansestadt eine neue Infrastruktur schaffen und die Modernisierung vorantreiben.
Gas-Compagnie bekommt Auftrag für Gasversorgung
Auf den Druck reicher Bürger geht Hamburg nun endlich das Thema an, das seit 1818 immer mal wieder zur Diskussion stand: die Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf Gaslaternen. Um 1800 leuchten in der Stadt immerhin rund 1.500 Straßenlaternen, die mit Öl und Tran gespeist werden - das sind damals mehr als in den meisten anderen deutschen Städten. Doch diese Lampen geben nur wenig und ungleichmäßiges Licht.
Öl und Tran: Zu trübe und zu teuer
Der Verein Gas-Compagnie, den wohlhabende Hamburger Bürger gegründet haben, unterbreitet dem Senat bereits 1839 ein Angebot zur Einführung der Gasversorgung. Am 28. März 1843 beauftragt der Hamburger Senat die Gas-Compagnie mit der öffentlichen Gasversorgung für die kommenden 30 Jahre. Bei der Entscheidung spielen auch ökonomische Gründe eine Rolle: Mit jährlich 258.000 Mark für Öl und die Bedienung der Laternen ist diese Technik schlicht zu teuer geworden. Mit Gas kostet die Beleuchtung "nur" noch 180.000 Mark.
"Hein mit dem Gas" beleuchtet sein Tanzlokal
Mit Gas betriebene Straßenlaternen sind zu diesem Zeitpunkt zwar nichts Neues. Bereits seit 1813 leuchten sie in London. Auch einige deutsche Städte wenden Mitte des 19. Jahrhunderts diese Technik an. In Hamburg allerdings sind Privatpersonen die Pioniere. Der Kaufmann J. G. Heise nutzt schon 1817 Gaslicht in seinem Haus in der Gröningerstraße. Der Gastwirt Peter Ahrens installiert 1823 eine Gasbeleuchtung für sein Tanzlokal in der Neustädter Straße - mit Gas, das er in seinem Keller aus Steinkohle destilliert. Die Menschen sprechen schnell von "Hein mit dem Gas", woraus der im Volksmund gebräuchliche Begriff "Hein Gas" wird.
4. Oktober 1845: Erste Gaslaternen in Hamburgs Straßen
Im Sommer 1844 beginnen die Bauarbeiten für die Gasanstalt auf dem Großen Grasbrook im Hamburger Hafen. Von hier aus soll ein Rohrnetz zunächst die Laternen an den neu angelegten Hauptstraßen der niedergebrannten Altstadt mit Gas versorgen.
Am 4. Oktober 1845 ist es dann soweit: Die ersten Gaslaternen beleuchten die Johannisstraße am Rathaus mit einem hellen und gleichförmigem Licht. Doch schon zwei Wochen später findet die von den Hamburgern bewunderte Neuerung ein jähes Ende - eine Sturmflut zerstört das neue Gaswerk. Dieser Rückschlag ändert jedoch nichts an dem Ziel, die Stadt mit einer Gasbeleuchtung zu versorgen.
Lindley plant flutsicheres Gaswerk
Mit den Plänen für ein neues Gaswerk beauftragt der Senat William Lindley. Der englische Ingenieur hat sich mit dem Aufbau einer modernen Wasserversorgung in Hamburg einen Namen gemacht. Das neue Gaswerk steht sicher vor der Flut auf Pfählen und versorgt ab September 1846 ganze 2.020 Gaslaternen in der Hamburger Innenstadt.
Ab den 1850er-Jahren werden auch öffentliche Gebäude mit Gaslampen beleuchtet. Die Umstellung von flackernden, wenig Licht spendenden Öllampen auf helles, stetiges und zudem regulierbares Gaslicht ist ein großer Gewinn für das Leben in der Stadt.
Gasöfen heizen Kirchen und Privatgebäude
In den kommenden Jahrzehnten wächst das Rohrnetz auf rund 250 Kilometer Länge. 10.000 öffentliche und private Laternen strahlen zuverlässig Licht aus. Industriebetriebe, die Gastronomie, aber auch reiche Privatkunden profitieren von der Versorgung. Mit der Erfindung des Bunsenbrenners 1855 ist es technisch möglich, das Gas auch als Heizmittel zu nutzen. Kirchen wie St. Katharinen und der Michel können nun mit Gasöfen beheizt werden. Licht und Wärme halten Einzug in immer mehr öffentliche wie private Gebäude. Die Gasversorgung erreicht bis 1864 auch die Vororte Rothenburgsort, Horn, Barmbek, Winterhude und Eimsbüttel. 1875 nehmen die Hamburger Gaswerke in Barmbek eine zweite Kokerei in Betrieb.
Verein der Hamburger Gasarbeiter fordert höhere Löhne
Während das Gasnetz wächst und die Profite der Hamburger Gaswerke in die Höhe schnellen, sind die Arbeitsbedingungen der Gasarbeiter oft prekär. Harte Zwölf-Stunden-Tage bringen einen Lohn, der kaum zum Überleben reicht. Ab 1889 schließen sich viele Arbeiter zum Verein Hamburger Gasarbeiter zusammen. Sie fordern mehr Lohn, sicherere Arbeitsbedingungen und feste Beschäftigungsverhältnisse. Weitere Gewerkschaften wie der Verein der Laternenanzünder kümmern sich um die Rechte der unterschiedlichen Berufsgruppen.
Arbeitskampf: Streik der Gasarbeiter - ohne Ergebnis
Am 1. Mai 1890 bleibt ein Drittel der Gasarbeiter der Arbeit fern. In den folgenden Tagen versucht die Direktion, die Arbeiter durch Aussperrung zum Austritt aus der Gewerkschaft zu bringen. Zudem sollen alle Arbeiter, die nicht schriftlich ihren Austritt aus der Gewerkschaft bestätigen, entlassen werden. Daraufhin treten alle Hamburger Gasarbeiter am 10. Mai in den Streik. Nach 20 Tagen Ausstand kehren sie notgedrungen zur Arbeit zurück - ohne eine ihrer Forderungen durchgesetzt zu haben. Erst als die Stadt die Gaswerke 1891 in staatlicher Verwaltung übernimmt, treten für die Beschäftigten langsam Verbesserungen ein. Arbeiterausschüsse erreichen um die Jahrhundertwende Lohnerhöhungen und die Zahlung von Aufschlägen.
Elektrische Beleuchtung in den Häusern
Das Netz wächst weiter. 1903 wird in Billwerder die später Tiefstack genannte dritte Großgasanstalt in Betrieb genommen. Während ab den 1880er-Jahren die Innenbeleuchtung nach und nach auf elektrische Glühbirnen umgestellt wird, bleiben Heizungen und Straßenlaternen von Gas betrieben. Münzgasmessanlagen ermöglichen ab 1906 bei einem Preis von 14 Pfennig pro Kubikmeter auch ärmeren Haushalten die Versorgung mit Gas.
Kohlemangel und Zerstörung in Ersten und Zweiten Weltkrieg
Doch es geht nicht nur aufwärts. Im Dezember 1909 kommt es auf dem Grasbrook zu einer Explosion, bei der 20 Menschen sterben. Beim Auffüllen eines neuen Gasbehälters - dem damals größten in Europa - kippt dieser um. Schwierig sind die Bedingungen auch in Zeiten des Krieges. Eine zufällig entdeckte Erdgasquelle in Neuengamme hilft im Ersten Weltkrieg, trotz eines Mangels an Kohle die Versorgung aufrecht zu erhalten. Während des Zweiten Weltkriegs werden die Gaswerke - bis auf Bergedorf - schwer beschädigt. Kriegsgefangene müssen in den Kokereien Zwangsarbeit leisten.
Letzte Gaslaternen 1981 auf Erdgas umgestellt
Nach 1945 wird das Rohrnetz weit ins Umland ausgedehnt. Doch die Zeit der Gaslaternen geht im Laufe der nächsten Jahrzehnte langsam aber sicher vorüber. In den 1960er-Jahren beginnt die allmähliche Umstellung von Steinkohlegas auf Erdgas. Zudem wird das Gaswerk auf dem Grasbrook bei einer Sturmflut erneut schwer beschädigt und anschließend stillgelegt. Die letzten Gaslaternen werden 1981 auf Erdgas umgerüstet. Und auch dies ist nur ein Übergang: Inzwischen beleuchten ausschließlich elektrische Laternen Hamburgs Straßen - oft mit moderner LED-Technik. Die Hamburger Gaswerke, die heute Gasnetz Hamburg heißen und seit 2018 wieder in den Händen der Stadt Hamburg liegen, sind bis heute für die Gasversorgung in der Hansestadt und in Teilen des Umlandes zuständig - allerdings ohne dass die Straßenbeleuchtung dazugehört.