1946 beginnt die neue "Zeit"
Nach dem Kriegsende liegt Deutschland noch in Trümmern, als am 21. Februar 1946 die erste Ausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" erscheint. Ihr Ziel: stets "ungeschminkt die Wahrheit sagen".
"Die Jahre, die hinter uns liegen, haben den deutschen Leser von der Welt abgeschlossen, ihn in den Nebel der Propaganda gehüllt und der harten Sprache der Tatsachen entwöhnt. Es gilt heute, Trümmer nicht nur in den Straßen der zerbombten Städte wegzuräumen, sondern auch geistige Belastungen einer untergegangenen Epoche, und das kann nur geschehen, wenn wir den Mut haben, ungeschminkt die Wahrheit zu sagen. Nur in der Atmosphäre unbestechlicher Wahrheit kann Vertrauen erwachsen."
Mit diesen Worten beschreibt die Redaktion der "Zeit" in ihrer Erstausgabe vom 21. Februar 1946, wie sie ihre Aufgabe im vom Zweiten Weltkrieg zerstörten Deutschland sieht. Die Herausgeber gehören zu den ersten, die der freien Presse in Deutschland nach zwölf Jahren NS-Diktatur wieder auf die Beine helfen.
Britische Militärregierung vergibt die Lizenz
Nach einem Gewerkschaftsblatt ist "Die Zeit" die zweite in Hamburg erscheinende Zeitung nach dem Kriegsende. Nur acht Seiten dick ist die Erstausgabe. Erst eine Woche zuvor hatte die britische Militärregierung den vier Gründern - neben dem späteren Alleininhaber Gerd Bucerius sind das der ehemalige Hamburger Baudirektor Richard Tüngel, der frühere Verlagskaufmann Ewald Schmidt di Simoni sowie der Kunsthistoriker Lovis Lorenz - die Lizenz zur Herausgabe erteilt. Zunächst werden 25.000 Exemplare gedruckt. Sie sind für einen Preis von 40 Pfennig zu haben und finden reißenden Absatz - angeblich weniger wegen der Inhalte, sondern vor allem, weil Fisch- und Gemüsehändler das Papier dringend zum Einwickeln ihrer Ware benötigen.
Flucht und Vertreibung - Themen der ersten Ausgabe
Neben Artikeln zur ersten Tagung der Vereinten Nationen oder zur neuen Regierung in Brasilien beschäftigen sich die Autoren der ersten Ausgabe vor allem mit der Situation im zerstörten Deutschland. Ein Dreivierteljahr nach Kriegsende sind Millionen Menschen heimatlos und von Flucht und Vertreibung betroffen. Auf der Titelseite zieht ein expressiver Holzschnitt den Blick auf sich: Eine Abbildung dreier Menschen - Entwurzelte, Flüchtlinge -, die auf einer Eisscholle im Meer treiben. Darunter ein Text, der siebeneinhalb Jahrzehnte später wieder auf eigentümliche Art aktuell wirkt:
"15 Millionen Menschen irren durch Deutschland oder haben nur ein dürftiges Notquartier gefunden, Flüchtlinge aus den bombenzerschlagenen Städten, aus den kriegsverheerten Gauen, ... Ausgewiesene aus Nachbarländern."
Hamburg-Wappen weicht dem Bremer Schlüssel
Jeder Artikel geht in der Anfangszeit durch die britische Zensur. Doch nicht nur die Briten beobachten "Die Zeit", sondern auch der Hamburger Senat. Er untersagt der Zeitung die Nutzung des Hamburger Stadtwappens im Titelkopf als Missbrauch von Hoheitszeichen. Auch ein verändertes Wappen mit geöffnetem Stadttor stößt auf Missfallen. Ab Ausgabe 19 ziert daher bis heute der Schlüssel aus dem Bremer Stadtwappen den Titel - mit offizieller Erlaubnis der Stadt Bremen.
Den ersten Chefredakteur, Ernst Samhaber, entfernen die Briten bereits im August 1946 von seinem Posten. Nicht nur hatte er die britische Besatzungspolitik scharf kritisiert. Es kam auch ans Licht, dass er sowohl für NS-Zeitungen als auch für das NS-Propagandaministerium gearbeitet hatte. Als Chefredakteur folgt ihm der rechtskonservative Richard Tüngel nach.
Gräfin Dönhoff bringt "Die Zeit" auf liberalen Kurs
Liberales Gegengewicht in der Redaktion ist Marion Gräfin Dönhoff. Sie ist ab Ausgabe 5 dabei. "Es war ein großer geistiger Aufbruch nach einer fürchterlichen Zeit der Rechtlosigkeit", erinnert sich die 2002 verstorbene spätere Chefredakteurin und Herausgeberin im Jahr 1996 an die Anfänge. Man habe den Menschen eine Orientierung geben und "eine wirklich gute Zeitung" schaffen wollen, "die Argumente liefern könnte und nicht irgendwelche Doktrin".
Unter Chefredakteur Tüngel driftet "Die Zeit" bis in die 50er-Jahre weiter nach rechts. Als mit Carl Schmitt gar ein ehemaliger NS-Jurist in dem Blatt zu Wort kommt, kündigt Gräfin Dönhoff 1954 und kehrt erst zurück, nachdem Tüngel die Redaktion verlassen hat. Gemeinsam mit Gerd Bucerius, der ab 1957 Alleininhaber der Zeitung ist, bringt sie "Die Zeit" auf einen liberalen Kurs, den die Wochenzeitung bis heute beibehalten hat.
1983: Helmut Schmidt wird Herausgeber
In den 60er-Jahren kritisiert "Die Zeit" die starre Ostpolitik der CDU und plädiert für eine Annäherung. Später sagt Willy Brandt, "Die Zeit" habe seine Ostpolitik in Deutschland vorbereitet. 1983 wird Helmut Schmidt nach seiner Abwahl als Bundeskanzler neuer Herausgeber. "Als mich Gerd Bucerius fragte, habe ich das sehr gerne gemacht", erinnert sich Schmidt im Jahr 2006. Er sei erfreut gewesen, nach der langen Zeit als Berufspolitiker "etwas ganz anderes, etwas Neues" machen zu können.
"Die Zeit" bleibt erfolgreich
Viele prominente Namen sind mit der "Zeit" verbunden: Neben Bucerius, Schmidt und Dönhoff sind das unter anderem Theo Sommer, Michael Naumann und Giovanni di Lorenzo. Etliche Politiker, Wissenschaftler und Schriftsteller haben Gastbeiträge geschrieben. Bis heute gilt die Wochenzeitung trotz vieler Veränderungen und Anpassungen als Blatt der Akademiker und Intellektuellen - und trifft damit offenbar weiter den Geschmack der Leser. Während viele Zeitungen mit der Digitalisierung an Auflage verloren haben, konnte "Die Zeit" in den letzten Jahren bei den Verkaufszahlen zulegen, sowohl bei den Digitalkunden wie auch bei den Abonnenten der Papier-Ausgabe. sogar leicht steigern.