Verehrt und gefragt: Altkanzler Helmut Schmidt
Helmut Schmidt führte das Land durch viele Krisen, doch erst den Altkanzler begannen die Deutschen zu lieben. Stationen aus Schmidts Lebens nach seiner politischen aktiven Laufbahn.
1. Oktober 1982. Die sozial-liberale Koalition ist zerbrochen, eine Mehrheit aus CDU- und FDP-Abgeordneten im Bundestag stürzt Helmut Schmidt und wählt den CDU-Politiker Helmut Kohl zum neuen Bundeskanzler. Der Abstimmung war eine sechsstündige Debatte vorausgegangen, in der Schmidt die FDP des Wortbruchs und der Täuschung beschuldigt hatte.
Ende der aktiven politischen Karriere
Zwar zieht Schmidt nach den folgenden Bundestagswahlen 1983 als Abgeordneter für den Wahlkreis Hamburg-Bergedorf erneut ins Parlament ein, doch seine Zeit als aktiver Politiker neigt sich dem Ende zu. Auch innerhalb der SPD verliert er an Unterstützung für seinen politischen Kurs. Nach dem Ablauf der Wahlperiode scheidet Schmidt 1987 aus dem Parlament aus und übernimmt danach kein politisches Amt mehr.
Einstieg bei der "Zeit"
Doch der Ruhestand ist für Schmidt keine Option. Im Mai 1983 wird der damals 64-Jährige Mit-Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit" - diese Position hatte ihm "Zeit"-Gründer Gerd Bucerius bereits wenige Tage nach dem Machtwechsel in Bonn angetragen. Schmidt wird sie bis zu seinem Tod beibehalten.
Gefragter Autor und Redner
Parallel betätigt sich Schmidt als Autor. Allein für die "Zeit" schreibt er rund 300 längere Beiträge, vor allem über Verteidigungs- und Europapolitik sowie Wirtschaftsfragen. Hinzu kommen etliche Bücher. Viele von ihnen werden zu Bestsellern der politischen Literatur, darunter "Menschen und Mächte" von 1987, ein persönlicher Rückblick auf die Kanzler-Jahre, und "Außer Dienst" von 2005, eine Bilanz der Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Kanzleramt.
Keine Scheu vor unpopulären Statements
Neben seiner Autorentätigkeit ist Schmidt viel unterwegs, hält Vorträge, tritt in Politik-Sendungen und bei Kongressen auf, trifft sich mit Politikern, Wirtschaftsführern und Wissenschaftlern. Seine Meinung als Elder Statesman hat Gewicht, und das nicht nur in Deutschland. Auch international ist der Altkanzler ein gefragter Redner.
Dabei scheut Schmidt sich nicht, zuweilen auch unpopuläre Positionen einzunehmen. So bezeichnet er die Diskussion um den Klimawandel 2007 als "hysterisch überhitzt" und spricht sich noch 2008 für die Kernenergie aus, obwohl die eigene Partei gemeinsam mit den Grünen bereits im Jahr 2000 den Atom-Ausstieg beschlossen hatte. Auch sonst weicht die Meinung des Altkanzlers öfter einmal vom offiziellen SPD-Kurs ab: So hält er die Beteiligung Deutschlands am Kosovo-Krieg 1999 für falsch.
Geliebt, verehrt und hochdekoriert
Trotz seiner manchmal undiplomatischen Aussagen scheint es, dass Schmidt mit jedem Jahr, das seine eigene Kanzlerschaft zurückliegt, populärer wird. Einer Umfrage von 2005 zufolge ist er der beliebteste Politiker der neueren deutschen Geschichte. Er erhält zahlreiche Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden, das Bundesverdienstkreuz lehnt er jedoch, einer Hamburger Tradition folgend, ab.
Die Zigarette - Schmidts Markenzeichen
Egal, ob Schmidt im Fernsehen oder in öffentlichen Hallen auftritt: Man sieht den Altkanzler selten ohne Zigarette in der Hand - und das auch noch in einer Zeit, in der das Rauchen zunehmen verpönt und in Studios, Büroräumen oder Restaurants längst verboten ist. Selbst in der Hamburgischen Bürgerschaft darf er rauchen. Eine erfolgreiche "Zeit"-Kolumne, in der Schmidt ab 2007 regelmäßig mit Chefredakteur Giovanni di Lorenzo über aktuelle Themen der Politik diskutiert, heißt "Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt". Die Zigarette wird zu Schmidts Markenzeichen, sie steht für viele als Symbol für einen Menschen, der sich durch nichts und niemanden "verbiegen" lässt - und trägt so weiter zu seiner Beliebtheit bei.
In Erinnerung an Helmut Schmidt
Letzte Lebensjahre
Seine unaufhaltsam wachsende Popularität scheint Schmidt zuletzt selbst nicht ganz geheuer. Mit den Deutschen könne irgendetwas nicht stimmen, wenn sie den Worten eines 95-Jährigen so viel Bedeutung schenken würden, sagt er 2014. Im März 2015 erscheint mit "Was ich noch sagen wollte" sein letztes und vielleicht persönlichstes Buch. Darin beschreibt Schmidt unter anderem wie schwer ihn der Tod seiner Ehefrau Loki im Jahr 2010 traf, bekennt aber auch, sie in den 1960- oder 70er-Jahren mit einer anderen Frau betrogen zu haben. Trotzdem erklärt er: "Loki war der Mensch in meinem Leben, der mir am wichtigsten war. Als sie starb, war ich völlig zerstört", bekennt er. Ohne Ruth Loah, seine langjährige Mitarbeiterin, die in den letzten Lebensjahren seine Partnerin wird, hätte er Lokis Tod wahrscheinlich nicht überlebt, so Schmidt.
Tausende nehmen in Hamburg Abschied
Am 10. November 2015 stirbt Schmidt in seinem Haus in Hamburg-Langenhorn an den Folgen einer Infektion. Er wurde 96 Jahre alt. Zu Ehren des Altkanzlers findet im Hamburger Michel ein Staatsakt mit rund 1.800 Trauergästen statt, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Schmidts langjähriger Freund, der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, halten Reden. Auf Schmidts Wunsch wird das Abendlied von Matthias Claudius gesungen. Als sein Sarg zur Beisetzung auf den Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf gefahren wird, säumen Tausende Hamburger die Straßenränder, um von Schmidt Abschied zu nehmen. In Ohlsdorf findet der Altkanzler seine letzte Ruhestätte im Familiengrab neben seiner Frau Loki.