Helmut Schmidt und die Musik
Helmut Schmidt war ein Mann der direkten, mitunter auch derben Worte. Doch hinter der hanseatisch-rauen Schale verbarg sich ein empfindsamer Kern. Er schätzte die Kunst und konnte sich insbesondere von Musik sehr berühren lassen.
Johann Sebastian Bach hat die voll zutreffende Bemerkung gemacht, Musik sei zur Rekreation des Gemütes. Rekreation, das heißt: Zur Erholung des Gemütes. Für viele Menschen ein wahres Wort, und für mich persönlich war das auch immer so. Ich sagte, das war so, weil es der große Schmerz meines Alters ist, dass ich selbst, nach dem Verlust meines Gehörs, keine Musik mehr hören kann. Helmut Schmidt in einer Rede 2003
Ein bewegender Moment. Bei einem Festakt im Hamburger Michel im Jahr 2003 gewährt der Altkanzler Helmut Schmidt seinen Zuhörern einen der ganz seltenen Einblicke in sein Seelenleben. Er bekennt seine Trauer über den gesundheitlich bedingten Abschied von der Welt der Töne.
In Erinnerung an Helmut Schmidt
In der Familie mit Musik aufgewachsen
Die Liebe zur Musik hat im Leben des oft so eisern und nüchtern wirkenden Politikers einen großen Raum eingenommen und spielte schon früh eine wichtige Rolle: "Ich hatte Glück in meiner Kindheit. Denn dank meiner Mutter und meiner Schule habe ich relativ früh gelernt, Musik zu hören. Meine Mutter hatte vor dem Ersten Weltkrieg hier im Michel unter Alfred Sittard im Kirchenchor gesungen. Und deshalb war es ganz natürlich, dass sich bei uns zu Hause ihre Geschwister und Cousinen und Cousins ums Klavier versammelten, um vierstimmig zu singen."
Goldberg-Variationen: "Ein absoluter Höhepunkt der Musik"
Insbesondere die Musik von Johann Sebastian Bach faszinierte Helmut Schmidt schon als Kind, wie er in einer Rede zum 300. Geburtstag des Komponisten im Jahr 1985 erzählte. Eine besondere Bedeutung hatte dabei die Begegnung mit den Goldberg-Variationen, erinnerte sich Schmidt: "Sie erschienen mir mit meinen damals zwölf oder dreizehn Jahren als der absolute Höhepunkt polyphoner Musik. Und wenn ich heute auf der Platte Glenn Goulds Interpretation der Goldberg-Variationen wieder und wieder höre, so wollen sie mir immer noch und erneut als ein absoluter Höhepunkt der Musik schlechthin vorkommen."
Helmut Schmidt hat sich intensiv mit dem Schaffen und der Persönlichkeit Johann Sebastian Bachs beschäftigt. Hinter seiner Bewunderung verbarg sich womöglich auch ein gewisses Maß an Identifikation. Denn das, was Schmidt an der Haltung Bachs hervorhob, ließ sich zumindest teilweise auch über ihn selbst und seine Rolle als Politiker sagen: "Bach hat gewiss seinen eigenen Rang gekannt. Er war durchaus selbstbewusst. Gleichwohl hat er sich mit einer gewissen Demut in die Ordnung eingefügt. Er wollte nicht etwa etwas kolossal Neues schaffen - trotzdem aber war seine Musik in einem Sinne progressiv, nämlich in die Zukunft weisend."
Mehr als ein persönliches Privatvergnügen
Helmut Schmidt hat Bachs Musik nicht nur mit dem größten Vergnügen gehört, sondern sie auch gespielt - teilweise sogar auf Schallplatte. 1985 ist bei der Deutschen Grammophon eine Aufnahme des Bach-Konzerts für vier Klaviere und Orchester erschienen, mit Christoph Eschenbach, Justus Frantz, Gerhard Oppitz und Helmut Schmidt als Solisten. Die Beschäftigung mit Musik war für Helmut Schmidt mehr als ein persönliches Privatvergnügen. Er wünschte sich einen Zugang für möglichst viele Menschen.
In seiner Amtszeit als Verteidigungsminister hatte er die Bundeswehr-Big Band ins Leben gerufen. Und schon 1985 betonte er die Wichtigkeit der Musikerziehung für die Jugend: "Es geht um Bewahrung und immer neue Erschaffung der Musikkultur der Lebenden. Lasst uns also dafür sorgen, dass in unseren Wohnungen und dass in unseren Schulen gesungen wird und Musik gemacht wird. Auf dass die Nachwachsenden lernen, daran Freude zu haben."