Helmut Schmidt: Bundeskanzler in schwierigen Zeiten
Ölkrise, Terrorismus und NATO-Nachrüstung. Als fünfter Kanzler der Bundesrepublik muss SPD-Politiker Helmut Schmidt von 1974 bis 1982 große Herausforderungen meistern. Seine Partei ist dabei nicht immer eine Stütze.
267 Ja-Stimmen, 225 Nein-Stimmen, keine Enthaltungen. Am 16. Mai 1974 wählt der Bundestag Helmut Schmidt mit den Stimmen von SPD und FDP zum Bundeskanzler. Er wird Nachfolger Willy Brandts, der wegen des DDR-Spions Guillaume zurückgetreten ist. Obwohl schon seit zwei Jahrzehnten Politiker, habe er Angst vor der großen Aufgabe gehabt, wird Helmut Schmidt später sagen. "Realismus und Nüchternheit" verspricht der Pragmatiker in seiner ersten Regierungserklärung. Die Probleme, die er in seiner Amtszeit anpacken muss, sind vielfältig.
Die Wirtschaft in der Krise
Seit der Ölkrise im Vorjahr ist die Konjunktur eingebrochen, die Inflation steigt, immer mehr Menschen verlieren ihre Arbeit. Schmidt setzt auf ein Investitionsprogramm, das die Nachfrage ankurbeln soll - und dabei die Staatsschulden in die Höhe treibt. Gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing versucht er die Weltwirtschaft durch internationale Zusammenarbeit zu stabilisieren. Mit der Einführung des Europäischen Währungssystems legen sie 1978 einen Grundstein für den Euro.
Helmut Schmidt: Mit Härte gegen den Terror der RAF
Die größte Herausforderung in Schmidts Amtszeit ist der Terrorismus von links. Im April 1977 hat die Rote Armee Fraktion Generalbundesanwalt Siegfried Buback ermordet, im Juli den Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank, Jürgen Ponto. Im September entführt ein RAF-Kommando Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, ermordet seinen Fahrer und drei Polizeibeamte. Die Terroristen fordern die Freilassung von elf inhaftierten Genossen, darunter Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Doch Schmidt lässt sich nicht erpressen. In einer Fernsehansprache sagt er: "Der Staat muss darauf mit aller notwendigen Härte antworten."
Auch als palästinensische Terroristen wenige Wochen später eine Lufthansamaschine mit 86 Urlaubern an Bord entführen, um die RAF-Aktion zu unterstützen, geben der Kanzler und sein Beraterstab nicht nach. Die Antiterroreinheit GSG 9 stürmt die Maschine auf dem Flughafen der somalischen Hauptstadt Mogadischu und befreit die Geiseln. Die Terroristen Baader und Ensslin nehmen sich daraufhin in ihren Zellen das Leben. Hanns Martin Schleyer wird von der RAF ermordet. Zeitlebens wird sich Schmidt, der die politische Verantwortung für den Tod des Arbeitgeberpräsidenten übernimmt, "mitschuldig" fühlen und dessen Ermordung als seine "größte Niederlage" bezeichnen.
NATO-Doppelbeschluss: Nachrüstung für den Frieden
Die massive Aufrüstung der Sowjetunion mit atomaren Mittelstreckenraketen, die vor allem die Bundesrepublik bedrohen, führt zur dritten großen Krise in Schmidts Amtszeit. Das militärische Gleichgewicht in Europa ist für ihn die "Lebensbedingung für unsere demokratische Ordnung". Deshalb tritt er entschlossen für die Nachrüstung der NATO mit modernen Atomraketen mittlerer Reichweite ein, falls Verhandlungen mit der Sowjetunion erfolglos bleiben sollten.
In seiner eigenen Partei, die inzwischen einen starken pazifistischen Flügel hat, der sich als Teil der wachsenden Friedensbewegung versteht, stößt Schmidts Sicherheitspolitik auf erbitterten Widerstand. Neben zahlreichen Bundestagsabgeordneten unterstützt bald auch Parteichef Willy Brandt die Gegner des sogenannten NATO-Doppelbeschlusses. In Bonn demonstrieren Hunderttausende Menschen gegen die Politik des Kanzlers.
In Erinnerung an Helmut Schmidt
Schmidt wird per Misstrauensvotum abgewählt
Doch der Kanzler scheitert nicht an der geplanten Nachrüstung, auch wenn sein Rückhalt in der eigenen Partei geschwunden ist. Den Ausschlag geben Differenzen mit der FDP in der Wirtschaftspolitik. Der Koalitionspartner will die stetig steigende Neuverschuldung begrenzen und die Bereitschaft der Industrie zu Investitionen stärken, unter anderem durch Steuererleichterungen und Kürzungen beim Arbeitslosengeld. Das ist für die SPD unvorstellbar. Mitte September 1982 treten die FDP-Bundesminister zurück. Am 1. Oktober wählt der Bundestag mit den Stimmen von der CDU/CSU und der Mehrheit der FDP Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum ab und Helmut Kohl (CDU) zu seinem Nachfolger.
Was von Helmut Schmidt als Kanzler bleibt
Die acht Jahre der Kanzlerschaft prägen das Bild Schmidts als Staatsmann nachhaltig. Er hat die Bundesrepublik durch schwere Krisen geführt und dabei "innerlich und äußerlich gefestigt", wie etwa der Historiker Heinrich August Winkler urteilt. Den Staat hat er gegen den Terrorismus gestärkt, als überzeugter Europäer die deutsch-französischen Beziehungen entscheidend vertieft und die Rolle der Bundesrepublik in der internationalen Politik ausgeweitet. Die von ihm initiierte atomare Nachrüstung der NATO gilt heute als eine Voraussetzung für den Zusammenbruch des Ostblocks und die deutsche Wiedervereinigung 1989/90.