Jüdisches Denkmal, Obelisk und Inschriftenwand im Freigelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen © Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Foto: Juliane Hummel

Wie ein Häftling den Todesmarsch ins KZ Bergen-Belsen überlebte

Stand: 11.04.2025 16:40 Uhr

Zum Kriegsende räumen die Nazis ihre Konzentrationslager. Sie schicken die Häftlinge auf sogenannte Todesmärsche. Albrecht Weinberg überlebt den Marsch nach Bergen-Belsen.

Niemals hätte Albrecht Weinberg als junger Mann gedacht, dass er noch so ein langes Leben führen würde. Am 7. März 2025 ist er 100 Jahre alt geworden. Im Frühjahr 1945 hatte er bereits zwei Jahre im Konzentrationslager Ausschwitz überstanden und wurde anschließend ins KZ Mittelbau-Dora verlegt. Die alliierten Truppen rücken zu diesem Zeitpunkt immer weiter vor. Die Nazis beginnen hektisch ihre Konzentrationslager zu räumen. Sie nennen es "Umquartierung" oder "Rückführung". Aber in die Geschichte werden die Verlegungen, auf denen die Häftlinge manchmal mehr als 100 Kilometer zu Fuß bewältigen müssen, unter dem Begriff Todesmärsche eingehen. Albrecht Weinberg hat so einen Todesmarsch mitgemacht - und nur knapp überlebt. 2015 hat er dem NDR seine Erinnerungen geschildert.*

Die Häftlinge müssen Schnee essen

Albrecht Weinberg hat den Todesmarsch nach Bergen Belsen überlebt. Seinen Judenstern hat er aufgehoben. © NDR Foto: Birgit Schütte
Albrecht Weinberg hat seinen Judenstern aufbewahrt. Er hat ihn auch auf dem Todesmarsch begleitet.

Zu essen gibt es während des Marsches so gut wie nichts. Weinberg erinnert sich im Jahr 2015, wie der Tross an einer Feldküche vorbeikommt. Es dampft und riecht nach Suppe. "Die deutschen Soldaten sind da hingegangen und haben sich einen Teller aufgefüllt", erzählt er damals. Aber die Häftlinge bekommen nichts. Ihnen bleibt nur ein wenig Schnee vom Boden zu essen. Einige Häftlinge müssen für die SS-Küche einen Wagen mit Schweinen schieben. Als die Schweine geschlachtet werden, ist Weinberg als Helfer dabei. Ein SS-Mann reicht ihm eine Blechdose mit einer Flüssigkeit. "Und ich hab gedacht, das ist heißes Wasser oder Tee oder irgendwas Warmes drin", erzählt Weinberg. Er stürzt den Becher herunter und merkt viel zu spät, dass er gerade ausgelassenes Schweinefett getrunken hat. "Das hat mir den Rest gegeben", erzählt er. Kurze Zeit später kann er sich nicht mehr auf den Füßen halten.

Überall liegen Tote

Das letzte Stück des Strecke geht es mit einem Zug weiter. In offenen Fracht-Loren zwängen sich bis zu 80 Menschen auf einem Wagen. Darunter auch Tote. "Tote auf denen wir sitzen mussten. Und keiner konnte zur Toilette gehen. Jeder hat die Hose voll gehabt, weil wir alle Durchfall hatten", erzählt Weinberg 2015. Die letzten Kilometer müssen die Häftlinge wieder zu Fuß gehen. Wie er im Lager angekommen ist, weiß Weinberg nach all den Jahren nicht mehr. Wer nicht laufen konnte, wurde auf Lkw geworfen und im KZ abgekippt.

"Die legen uns um - die Erlösung"

Weinberg erinnert sich nur noch daran, dass er auf dem Boden gelegen habe. Plötzlich kommt ein Panzer ins Lager gefahren. "Gott sei dank. Jetzt legen die uns alle mit dem Maschinengewehr um. Die Erlösung ist da", so erinnert er sich an seine Gedanken damals. Aber es sind keine deutschen Panzer, sondern britische: Als Albrecht Weinberg sich bereits tot glaubt, wird er befreit. Was die englischen Soldaten in Bergen-Belsen zu sehen bekommen, hätten sie nie für möglich gehalten. Tausende völlig abgemagerte KZ-Häftlinge, die von den Leichen kaum zu unterscheiden sind.

* Die Urfassung dieses Beitrags ist bereits 2015 veröffentlicht worden.

Weitere Informationen
Die Gedenkstätte in Below (Brandenburg), aufgenommen am 21.04.2017. An diesem Ort wird an die Opfer des Todesmarsches von 1945 gedacht. Ende April 1945 trieb die SS Tausende Häftlinge aus Konzentrationslagern wie Sachsenhausen und Ravensbrück auf Todesmärsche nach Nordwesten. Im Belower Wald an der Landesgrenze Brandenburgs zu Mecklenburg kreuzten sich mehrere Routen. © picture alliance / Bernd Wüstneck/dpa-Zentralbild/dpa Foto: Bernd Wüstneck

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