Gerd Bucerius: Der Herr über die "Zeit"
Der Gründer der Wochenzeitung "Die Zeit" Gerd Bucerius galt als streitbar, aber auch als tolerant und unabhängig. Am 29. September 1995 ist die prägende Persönlichkeit der Nachkriegszeit gestorben.
Geboren wird Gerd Bucerius am 19. Mai 1906 im westfälischen Hamm. Er besucht Schulen in Essen, Hannover und Hamburg, studiert anschließend von 1925 bis 1932 in Berlin, Hamburg und Freiburg Jura. Danach arbeitet er zunächst als Hilfsrichter in Kiel und Flensburg, später zieht er zurück nach Hamburg und arbeitet ab 1933 als Rechtsanwalt in der Kanzlei seines Vaters.
NS-Regimegegner aus Überzeugung
Er verteidigt zahlreiche Juden und andere Verfolgte des NS-Regimes. "Besinnungslos mutig" nennt seine spätere Weggefährtin Marion Gräfin Dönhoff sein Verhalten während der NS-Zeit. Bucerius ist mit der Jüdin Gretel (Detta) Goldschmidt verheiratet, die 1938 nach England emigriert. Ab 1943 arbeitet er als stellvertretender Geschäftsführer und Justiziar für die als kriegswichtig eingestuften Diago-Werke, die Baracken und Notunterkünfte bauen. Obwohl Bucerius das Regime zutiefst ablehnt, bleibt er unbehelligt. In den letzten Kriegswochen versteckt er einen Freund, den Halbjuden Erik Blumenfeld, in seinem Haus. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges lernt Bucerius seine zweite Frau Gertrud Ebel, genannt Ebelin, kennen. Die beiden heiraten 1947.
Politische Karriere im Nachkriegsdeutschland
Nach dem Zweiten Weltkrieg geht Bucerius in die Politik: 1945 beruft die britische Besatzungsmacht ihn als Bausenator in den Hamburger Senat, nach der ersten Bundestagswahl am 14. August 1949 zieht der Jurist für die CDU in den Bundestag ein. Fast gleichzeitig beginnt er seine Karriere als Verleger: 1946 gründet er gemeinsam mit Richard Tüngel, Lowis H. Lorenz und Ewald Schmidt die Wochenzeitung "Die Zeit". 1947 heiratet Bucerius nach der Scheidung von seiner ersten Frau Gertrud Ebel, genannt Ebelin.
1951 erwirbt der Verleger eine Mehrheit an der Illustrierten "Stern". Die Gewinne des Magazins gleichen die Millionenverluste aus, die Bucerius mit der "Zeit" einfährt, deren Auflage 1952 nur 44.000 Stück beträgt. Die Wochenzeitung ist seine Leidenschaft, regelmäßig schreibt er selbst für das Blatt. Erst 1973 schreibt die "Zeit" schwarze Zahlen, heute hat sie eine Auflage von gut 520.000 Stück.
Ein unbequemer Abgeordneter
Als Politiker eckt der Querdenker immer wieder in der eigenen Partei an. Bucerius wandelt sich vom einstigen Adenauer-Unterstützer zum scharfen Kritiker des Kanzlers. 1959 wendet er sich gegen die Präsidentschaftskandidatur Adenauers, 1961 spricht er sich als einziges Mitglied seiner Fraktion offen gegen die vierte Kanzlerschaft Adenauers aus. Bucerius ist enttäuscht über Adenauers Ostpolitik und scheinbare politische Indifferenz angesichts des Mauerbaus im August 1961. In der "Zeit" schreibt er: "So (wurde) ein ganzes Volk Zeuge, wie der große und von Millionen aufrichtig verehrte Mann in der schwersten Stunde der Bundesrepublik versagte."
Bucerius' Austritt aus der CDU
Der Unmut in der CDU über das unbequeme Fraktionsmitglied eskaliert, als im Februar 1962 im "Stern" ein Artikel mit dem Titel "Brennt in der Hölle wirklich ein Feuer?" erscheint, der sich gegen die katholische Kirche und die Politik der CDU richtet. Der Bundesvorstand sieht in dem Artikel eine "Verletzung christlicher Empfindungen", die CDU diskutiert offen darüber, ob der "Stern"-Verleger für die Fraktion noch tragbar sei. Für Bucerius, der den Artikel zwar persönlich für wenig gelungen hält, ein "unbegreiflicher Fall von Intoleranz". Er zieht die Konsequenz, legt sein Bundestagsmandat nieder und tritt aus der CDU aus.
Gruner & Jahr wird Deutschlands zweitgrößtes Pressehaus
Nach dem Ende seiner politischen Karriere konzentriert sich Bucerius auf seine verlegerische Tätigkeit. 1965 gründet er gemeinsam mit John Jahr und Richard Gruner die Gruner & Jahr GmbH & Co, den damals nach dem Axel Springer Verlag zweitgrößten Pressekonzern in Deutschland. 1973 verkauft er seine Anteile an den Bertelsmann-Konzern, dessen Aufsichtsrat er bis 1991 angehört.
Bucerius' Vermächtnis: die "Zeit"-Stiftung
Bucerius' publizistisches Lieblingskind bleibt jedoch die "Zeit". 1971 ruft der Verleger die "Zeit"-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius ins Leben - ursprünglich, um das Weiterbestehen des Wochenblatts auch nach seinem Tod finanziell abzusichern. Die publizistische Leitung der "Zeit" übernimmt ab 1985 Bucerius' Lebensgefährtin Hilde von Lang gemeinsam mit dem früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt, der 1990 Herausgeber wird. 1986 erhält Bucerius die Ehrenbürgerwürde der Stadt Hamburg.
Ehepaar Bucerius vererbt der Stiftung das gesamte Vermögen
Als er am 29. September 1995 stirbt, hinterlässt der kinderlose Verleger seiner Stiftung sein gesamtes Vermögen in Höhe von rund 1,5 Milliarden Mark. Nach dem Tod seiner Frau Ebelin erbt die Stiftung beider Vermögen. Am 19. Mai 2006, anlässlich seines 100. Geburtstages, benennt die Stadt Hamburg eine Straße westlich des "Zeit"-Verlagsgebäudes in "Buceriusstraße" um.