Henri Nannen: Der Star, der den "Stern" aufgehen ließ
Gründer und Chef des Magazins "Stern" war Henri Nannen. Doch er war nicht nur Publizist, sondern machte sich auch als Kunst-Mäzen einen Namen, etwa mit der Kunsthalle in Emden. Am 25. Dezember 1913 wurde er geboren.
Es gibt Prominente, deren Name ist untrennbar mit ihrem Beruf verbunden - mit einem Beruf. Für Henri Nannen gilt das nicht. Er leistete auf mindestens zwei Gebieten Herausragendes: Als Gründer, Chefredakteur und Herausgeber des Magazins "Stern" sowie als Kunstsammler und Mäzen. Beide Metiers haben ihn seit seiner Jugend interessiert und fasziniert.
Kindheit in Ostfriesland, Studium in München
Henri Nannen kommt am 25. Dezember 1913 im ostfriesischen Emden zur Welt. Sein Vater Klaas ist gelernter Schlosser, später arbeitet er als Polizist. Nannen besucht das humanistische Gymnasium und absolviert anschließend eine Lehre als Buchhändler. Mit 20 Jahren geht er zum Studium der Kunstgeschichte nach München. Dort beginnt auch seine journalistische Laufbahn beim Reichssender München. Als 1937 ein Verfahren wegen angeblichen "Widerstands gegen die Staatsgewalt" gegen Nannen eröffnet wird, muss er die Hochschule verlassen und darf zunächst nicht mehr journalistisch arbeiten. Offenbar hatte die Emder NSDAP nach München gemeldet, dass Nannen in seiner Heimat eine jüdische Freundin hat.
Einzug in die Wehrmacht 1939
Doch der Verleger Hugo Bruckmann setzt sich für ihn ein. Daraufhin verläuft das Verfahren im Sande, die Strafen werden aufgehoben. Nannen bekommt bei Bruckmann Arbeit und schreibt für dessen Magazin "Die Kunst". Wenig später endet seine kurze Karriere bereits wieder: Mit der Rezension des Buchs eines jüdischen Autors über Rembrandt stößt er bei den Nationalsozialisten auf wenig Verständnis. 1939 wird Nannen zur Wehrmacht eingezogen, arbeitet unter anderem als Kriegsberichterstatter und bringt es bis zum Leutnant der Reserve.
Neuanfang in Hannover - der "Stern" wird geboren
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs startet Nannen 1946 eine publizistische Karriere in Hannover: zunächst als Herausgeber der "Hannoverschen Neuesten Nachrichten", dann der FDP-Zeitung "Abendpost". Parallel dazu entwirft er auf Basis der Jugendzeitschrift "Zickzack" eine neue Illustrierte, den "Stern". Am 1. August 1948 - Nannen ist inzwischen 35 Jahre alt - liegt das Blatt erstmals am Kiosk - 16 Seiten für 40 Pfennig. Das Titelfoto zeigt ein Porträt von Hildegard Knef mit geschlossenen Augen. Die Mischung aus Unterhaltung und Politik kommt bei den Lesern an. Der "Stern" entwickelt sich in kurzer Zeit zum Magazin mit der höchsten Auflage in Europa.
Auf dem Stuhl des Chefredakteurs
Nannen strebt in den Redaktionsalltag und verkauft seine Anteile an dem jungen Blatt. 1951 erwirbt der Verleger Gerd Bucerius die Mehrheit am "Stern", der ihm nun gemeinsam mit seinen Partnern John Jahr und Richard Gruner gehört. Die Gewinne des Magazins gleichen die Millionenverluste aus, die Bucerius mit seiner Wochenzeitung "Die Zeit" einfährt. Henri Nannen bleibt der herausragende Kopf bei der Illustrierten - als Chefredakteur. Er scheut sich nicht, heiße Eisen anzupacken, obwohl er damit provoziert, dass sein Blatt von den Besatzungsmächten mehrfach beschlagnahmt oder verboten wird.
Aufsehenerregende Geschichten
Mehr als zwei Jahrzehnte steuert Nannen, der intern gern "Sir Henri" genannt wird, den "Stern" erfolgreich durch die sich rasch wandelnde Presse-Landschaft. Mit spektakulären Titelgeschichten wie der Aktion "Wir haben abgetrieben" von 1971, als sich fast 400 Frauen öffentlich zu diesem Schritt bekennen, bewegt das Blatt mehrfach die Nation. Nannen hält den "Stern" politisch auf linksliberalem Kurs. Gleichzeitig trifft er mit oft leicht bekleideten oder barbusigen Models auf der Titelseite den vorherrschenden Zeitgeist der 1970er- und frühen 1980er-Jahre. Allerdings regt sich auch Widerstand dagegen wegen Sexismus. So ziehen 1978 Frauen, darunter auch Alice Schwarzer, gegen das Magazin vor Gericht.
Ende 1980 gibt Nannen die Chefredaktion ab und bekommt eine neue, auf ihn zugeschnittene Position als Herausgeber.
Hitler-Tagebücher: Mega-Panne kurz vor dem Abschied
Zu seinem 70. Geburtstag Ende 1983 will Nannen den "Stern" endgültig verlassen. Somit bleibt ihm einer der größten Medienskandale in der Bundesrepublik nicht erspart: die Millionen-Affäre um die gefälschten "Hitler-Tagebücher" im Frühjahr 1983. Obwohl eine interne Untersuchung des Verlags Nannen keine Verantwortung für die Veröffentlichung zuschreibt, gibt er sich eine Mitschuld für die journalistische Mega-Panne. Der Skandal um die "Hitler-Tagebücher" stürzt den "Stern" in eine tiefe Krise.
Nannen Preis für hervorragende Schreiber
Neben seiner aktiven journalistischen Arbeit setzt sich Nannen auch für schreibende Kollegen ein. 1977 stiftet er den Egon Erwin Kisch-Preis, eine Auszeichnung für Autoren herausragender Reportagen, die in deutscher Sprache gedruckt werden. Die inzwischen renommierte Ehrung geht ab 2005 als eine von sieben Kategorien in den neuen Henri Nannen Preis ein, den der "Stern" und der Verlag Gruner + Jahr ins Leben rufen. "Stern"-Chefredakteur Thomas Osterkorn begründet die Namensgebung 2004 mit dem "Lebenswerk Nannens, dem sich der 'Stern' auch heute noch eng verbunden fühlt." Mittlerweile hat der Verlag die Auszeichnung, die nun als Nannen Preis firmiert, für Journalistinnen und Reporter aller deutschsprachigen Medien in mehreren Kategorien geöffnet. Der Egon Erwin Kisch-Preis wird nach wie vor als Print-Preis für die beste Textreportage vergeben.
Auch der schreibende Nachwuchs liegt Nannen am Herzen. 1978 gründet er gemeinsam mit Manfred Fischer, dem Vorstandsvorsitzenden des Verlags Gruner + Jahr, die Hamburger Journalistenschule. Sie heißt mittlerweile Henri-Nannen-Schule.
Mit Emder Kunsthalle setzt sich der Sammler ein Denkmal
1979 wendet sich Nannen verstärkt seiner zweiten Leidenschaft zu, der Kunst. In Hamburg gründet er den "Henri Nannen Kunsthandel" und trägt in den folgenden Jahren eine bedeutende Auswahl moderner Werke zusammen. Aus Anlass seines 70. Geburtstags schenkt er seine Sammlung mit dem Schwerpunkt deutsche Maler des 20. Jahrhunderts seiner Heimatstadt Emden. Als Zugabe organisiert Nannen mit viel eigenem Geld den Bau eines Museum, der Kunsthalle Emden, die am 3. Oktober 1986 öffnet. Sein Engagement für das Museum soll Nannen damit begründet haben, "dass es nicht reicht, irgendwann ins Gras zu beißen und nichts bewegt zu haben außer einer vergnüglichen Illustrierten".
Ehrenbürgerschaft für Henri Nannen
Die Stadt bedankt sich 1989 mit der Ehrenbürgerschaft für den Stifter. Die Auszeichnung steht in einer Reihe mit dem Großen Bundesverdienstkreuz, dem Bundesverdienstkreuz I. Klasse und der Niedersächsischen Landesmedaille, die ebenfalls an Nannen gegangen sind.
Henri Nannen stirbt am 13. Oktober 1996 im Alter von 82 Jahren in Hannover an den Folgen mehrerer Krebs-Operationen. Er hinterlässt seine dritte Ehefrau Eske, die die Kunsthalle als Geschäftsführerin leitet, sowie einen Sohn aus zweiter Ehe.
Biografie enthält auch Propaganda-Job für die SS
Seine Aktivitäten zur NS-Zeit rücken lange nach Nannens Tod noch einmal in den Mittelpunkt des Interesses. Im Zweiten Weltkrieg soll Henri Nannen in leitender Position an antisemitischer Propaganda beteiligt gewesen sein. Das zeigen 2022 Recherchen von Strg_F, dem Reportageformat, das der NDR für das Medienangebot Funk produziert. Demnach ist Nannen nach anfänglichen Tätigkeiten als Soldat bei der Luftwaffe in den letzten beiden Kriegsjahren in die Propagandaeinheit "Südstern" der SS abbestellt worden. Nannen selbst beschreibt in einem ZDF-Gespräch 1989 seine Arbeit so: "Wir haben Flugblätter gemacht und haben eine Zeitung gemacht, haben Rundfunksendungen gemacht." Das Ganze sei unter "psychologischer Kriegsführung" gelaufen. Die Einheit "Südstern" soll den Recherchen zufolge 1944 versucht haben, auch mit antisemitischen Flugblättern an der Italien-Front den Feind zu beeinflussen. Nannen aber bestreitet zu Lebzeiten die antisemitische Ausrichtung - obwohl solche Flugblätter existieren und heute in der Berliner Staatsbibliothek lagern.
Der "Stern" hat auf die Recherchen von STRG_F reagiert und sich noch einmal näher mit der Biografie des Magazin-Gründers befasst. In dem sehr ausführlichen und durchaus kritischen Artikel "Wer war der stern-Gründer Henri Nannen?" von 2022 heißt es, es spreche "nichts dafür, dass Nannen ein überzeugter Nationalsozialist war. Und viel dafür, dass er das Regime verabscheut hat. Nur mitgemacht hat er eben bei 'Südstern' schon - was aus den Unterlagen aus der Nachkriegszeit aber nirgendwo hervorgeht." Nannen habe auch später Antisemitismus stets weit von sich gewiesen, "aber nicht klar verneint, dass es bei 'Südstern' so etwas gegeben hat", so der "Stern". In der langen Liste von Nannens militärischen Verwendungen fehle eine Eintragung zu der SS-gelenkten Kampfpropaganda. "Das mag formal korrekt sein, da er ja weiter in einer Stabskompanie der 10. Armee registriert war. So steht da als "Art der Tätigkeit und Verantwortungsbereich" für die Zeit von Januar 1944 bis April 1945 nur 'Zugführerdienst', was seine Aufgaben nicht besonders deutlich macht." Nannen habe offenkundig das getan, was er tun musste, um den Start in die neue Zeit nicht zu gefährden. In dieser neuen Zeit liegt am 1. August 1948 auch die "Stern"-Stunde von Nannens neuem Magazin.