Hamburg und Rostock Schauplätze von NSU-Morden
Die Neonazi-Gruppe NSU hat mindestens zehn Menschen ermordet. Auch Hamburg und Rostock waren Schauplätze der Anschläge auf Zuwanderer. Die Polizei ermittelte zunächst in eine falsche Richtung.
Jahrelang tappt die Polizei im Fall einer bundesweiten Mordserie im Dunkeln. Schutzgelderpressung oder Drogengeschäfte halten die Ermittler für den Hintergrund, zeitweise ist auch von "Ehrenmorden" die Rede. Doch seit November 2011 ist bekannt: Die Taten aus den Jahren 2000 bis 2006 gehen offensichtlich auf das Konto von Rechtsextremisten. Und die Bande "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) soll noch mehr schwere Verbrechen verübt haben: einen Mord an einer Polizistin, Sprengstoffanschläge und mehrere Banküberfälle. Zu den Schauplätzen der Mordanschläge auf Zuwanderer gehören auch Hamburg und Rostock.
Hamburg: Schüsse aus nächster Nähe auf Süleyman Tasköprü
Mittwoch, 27. Juni 2001: Im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld arbeitet Süleyman Tasköprü im Gemüseladen seines Vaters. Was sich in der Zeit zwischen 10.30 Uhr und 11.30 Uhr in dem Geschäft in der Schützenstraße genau abspielt, liegt bis heute im Dunkeln. Süleymans Vater Ali findet damals den 31-Jährigen: Sein Sohn ist blutüberströmt und hat schwerste Kopfverletzungen. Der alarmierte Notarzt kann ihn nicht mehr retten. Erst durch eine Obduktion wird später klar, dass Tasköprü durch drei Schüsse aus nächster Nähe getötet wurde - so schwer entstellt ist sein Kopf gewesen.
Der Vater hatte in der Nähe des Tatorts zwei Männer auf dem Bürgersteig gesehen, die sich vom Laden entfernen. Er denkt zunächst, es seien Kunden. Erst später wird ihm klar, dass er wohl die Täter gesehen hat. Er beschreibt sie als Deutsche, schlank, etwa 25 bis 30 Jahre alt - für ein Phantombild reichen die Angaben nicht. Die Polizei verfolgt die Spur nicht weiter.
Sechs Jahre nach dem Mord veröffentlicht die Polizei ein Phantombild eines möglichen Zeugen der Tat. Zu dem Zeitpunkt ist bereits klar, dass Tasköprü eines von insgesamt neun Opfern ist, die alle mit derselben Waffe getötet wurden: acht türkische und türkischstämmige Kleingewerbetreibende sowie ein Grieche. Doch die Polizei ist auf der komplett falschen Spur.
Rostock: Mord an dem 25-jährigen Mehmet Turgut
Aschermittwoch, 25. Februar 2004: In einem Dönerimbiss im Rostocker Stadtteil Toitenwinkel arbeitet Mehmet Turgut als Aushilfe, erst zehn Tage vorher war er nach Rostock gekommen. Bis heute ist unklar, was an diesem Vormittag genau passiert. Wohl kurz nach 10 Uhr betreten die Täter den Stand. Sie geben mehrere Schüsse auf ihr Opfer ab. Turgut wird einige Zeit später tot aufgefunden. Der 25-Jährige habe schwere Verletzungen an Kopf und Hals gehabt, teilt die Polizei anschließend mit. Einzelheiten will sie damals nicht nennen, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Erst später wird bekannt: Der Mord an Mehmet Turgut gehört zu der Verbrechensserie, die als "Dönermorde" durch die Medien geht, und der auch der Hamburger Süleyman Tasköprü zum Opfer fiel. Die Tatwaffe ist jedes Mal dieselbe: eine Ceska, Typ 83, Kaliber 7,65 Millimeter.
Schwere Fehler der Ermittlungsbehörden?
Im Mai 2013 beginnt in München der Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer des NSU. Die Anwälte der Opfer-Familien, die dort als Nebenkläger auftreten, kritisieren von Anfang an, dass die Ermittlungsbehörden offensichtlich jahrelang gravierende Fehler gemacht haben. Dieser Eindruck verstärkt sich durch die Ergebnisse von Untersuchungsausschüssen des Bundestages und mehrerer Landesparlamente.
Beate Zschäpe, die mit den beiden mutmaßlichen Haupttätern Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zusammenlebte, bricht am 9. Dezember 2015 nach zweieinhalb Prozessjahren zum ersten Mal ihr Schweigen. In der Verhandlung lässt sie von ihrem Anwalt eine Erklärung verlesen. Darin bestreitet sie eine direkte Beteiligung an den Taten. Sie habe erst später davon erfahren. Sie räumt jedoch eine Mitverantwortung ein. "Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte". Böhnhardt und Mundlos haben sich im November 2011 auf der Flucht nach einem missglückten Banküberfall das Leben genommen. Im Juli 2018 wird Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt.