Süleyman Taşköprü: Wer war das Hamburger Opfer des NSU?
Süleyman Taşköprü lebte als Familienvater in Hamburg-Altona und träumte von schnellen Autos. Im Sommer 2001 wird er vom NSU ermordet. Ein Freund der Familie erinnert sich 2014.
Ein schlaksiger Junge betritt Anfang der 1980er-Jahre an der Seite seines Vaters den Friseursalon von Behçet Algan in Hamburg-Altona. "Ein fröhliches, aufgeschlossenes Kind mit äußerst dichtem, schwarzem Haar", beschreibt Algan seinen ersten Eindruck von Süleyman Taşköprü in einem Gespräch mit dem NDR 2014. Er sieht ihn aufwachsen, zur Schule gehen, Vater werden. Am 27. Juni 2001 stirbt der türkischstämmige Taşköprü in seinem Lebensmittelladen - erschossen von den rechtsextremistischen Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU). Der Mord an dem damals 31-Jährigen hat nicht nur die Angehörigen traumatisiert, sondern auch das Viertel.
"Er traf sich hier oft mit Freunden"
Friseurmeister Algan sagt 2014, er sei ein "guter Freund der Familie". In seinem Geschäft an der Bahrenfelder Straße gehen die Altonaer seit etlichen Jahren ein und aus - nicht nur, um sich die Haare schneiden oder barbieren zu lassen. Der Laden ist Treffpunkt für Klönschnack und politische Diskussionen auf Türkisch und Deutsch. Im hinteren Teil des Salons flimmert ein Fernseher, im vorderen ist eine rote, gepolsterte Sitzecke eingerichtet. Ein Samowar hält Tee bereit.
"Süleyman kam gern auf ein Glas vorbei, oft traf er sich hier mit Freunden", erzählt Algan, der die Familie Taşköprü "schon ewig" kennt. Der junge Mann habe in den ausliegenden Zeitungen geschmökert, mit ihm gescherzt und über die Istanbuler Fußballvereine diskutiert. "Er war für Fenerbahçe, ich für Galatasaray."
Auf die Frage, was für ein Mensch der Ermordete gewesen sei, zieht Algan einen Zettel hervor, den ihm dessen Vater Ali gegeben habe. In großen, ungelenken Buchstaben steht in schwarzer Kugelschreibertinte ein Abriss von Süleyman Taşköprüs Biografie.
Trauer und Misstrauen gegen die Medien sitzen tief
Mehr wolle die Familie den Medien nicht preisgeben, sagt Algan 2014. Zu tief sitzt noch immer die Trauer - und das Misstrauen. Nach Taşköprüs Ermordung hatten viele Journalisten die falsche Spur der Ermittler ungeprüft übernommen und das Verbrechen unter dem abwertenden Schlagwort "Döner-Morde" in einem Kontext türkischer Mafiakämpfe angesiedelt.
"Nach der Grundschule kam Süleyman aus der Türkei nach Hamburg", übersetzt der Friseurmeister den Text in seinen Händen. Die Eltern waren schon zuvor aus dem westanatolischen Afyon in die Hansestadt migriert.
"Süleyman war sehr intelligent." Der Direktor seiner Schule in der Türkei habe sie angerufen und gefragt, ob sie den Jungen nicht zurückschicken wollten, damit er dort weiterlerne. Doch der Heranwachsende weigerte sich. Lieber blieb er bei seinen Eltern und den drei Geschwistern und lernte Deutsch. Er ging in Altona zur Schule, später auf die Höhere Handelsschule und wurde Lebensmittelhändler. "Er war ein ganz, ganz lieber Mensch", wirft eine Angestellte des Friseursalons im Vorübergehen ein. "Wir haben als Jugendliche oft zusammen gechillt."
"Mord hat das Leben dieser Familie zerstört"
Mit 28 Jahren wurde Taşköprü Vater einer Tochter. Drei Jahre später war er tot. "Mit Süleyman ist nicht nur unser Sohn gestorben, sondern auch seine Mama und sein Papa", schließt Algan die Übersetzung, steckt den Zettel in eine Klarsichtfolie und fügt hinzu: "Der Mord hat das Leben dieser Familie zerstört."
Neben der Trauer um den Sohn habe vor allem das Verhalten vieler Nachbarn und Freunde die Taşköprüs bitter enttäuscht. "Erst waren alle geschockt - und als dann in den Zeitungen von Schwarzgeld und Mafia zu lesen war, haben sich die meisten von der Familie abgewendet." Es wurde gemutmaßt und gemunkelt. Sich selbst nimmt Algan nicht aus. "Wir haben alle Fehler gemacht", bereut er die vorschnelle Verurteilung des Toten und dessen Familie. Allerdings seien ihm später doch Zweifel an der Darstellung in den Medien gekommen.
"Er hatte nie viel Geld und träumte von schnellen Autos"
"Süleyman hatte nie viel Geld", sagt Algan 2014. "Er träumte von schnellen Autos und einem Ferienhaus in der Türkei." Rückblickend erinnerte sich Algan, dass Taşköprü einmal zum Haareschneiden gekommen sei und anschreiben ließ. Zwei Tage später habe er dann "ganz korrekt" bezahlt. "Als mir das einfiel, habe ich mich gefragt: Wenn er wirklich so viel Schwarzgeld besessen haben soll, warum reichte es nicht für einen Haarschnitt?"
Anders als viele weitere Mitglieder der türkischen Gemeinde in Altona habe er den Kontakt zu Familie Taşköprü nicht abreißen lassen, sagt er. Und auch wenn deren Ruf wiederhergestellt sei: Am gesellschaftlichen Leben nähmen die Eltern nicht mehr teil. "Nur manchmal kommt der Vater in die Moschee oder trifft sich mit einigen zum Kartenspielen."
Karte: NSU-Mord in Hamburg: Orte des Geschehens
Taşköprüs Tochter kommt in den Salon
Umso mehr freut es Algan 2014, dass Süleyman Taşköprüs Tochter seit einigen Jahren regelmäßig auf einen Tee in seinen Salon kommt. "Sie ist jetzt ein Teenager und fragt natürlich, wie das alles damals gewesen ist", sagt er dem NDR damals. Auch sie sei ein aufgewecktes Mädchen, das gern rede.
Nicht nur ihr zuliebe sieht er sich und die anderen Bewohner des Stadtteils in der Pflicht, weiterhin an den Mord an Taşköprü zu erinnern. "Wir haben alle daraus gelernt", sagt er.
"Tasköprüstraße" erinnert an Hamburger NSU-Opfer
Die Erinnerung ist nicht nur auf einem Mahnmal in Bahrenfeld in Stein gemeißelt, sondern nun auch als Straßenschild sichtbar. Ein 300 Meter langes Teilstück der Bahrenfelder Kohlentwiete ist in "Tasköprüstraße" umbenannt worden.
Behçet Algan und viele andere Altonaer werden weiter an Süleyman denken, den fröhlichen Fenerbahçe-Fan aus ihrer Mitte. Sie werden an seinen gewaltsamen Tod denken, an das Leiden seiner Familie, an die Fehler der Ermittler - und die vorschnelle Verurteilung durch die Medien und das Viertel.
NSU-Mord soll wissenschaftlich aufgearbeitet werden
2024 wird bekannt, dass der NSU-Mord in Hamburg wissenschaftlich aufgearbeitet werden soll. Forscherinnen und Forscher von der Ruhr-Universität Bochum sollen dafür Zugriff auf verschiedene Archive bekommen - darunter auch die des Landesamtes für Verfassungsschutz.