Der Fall Geyer-Iwand: Eine Ameise überführte den Täter
Im Juli 1997 wird Veronika Geyer-Iwand tot im Wald bei Wolfenbüttel gefunden. Eindeutig eine Gewalttat - aber die Beweise fehlen. Eine Ameise am Gummistiefel überführt schließlich ihren Ehemann, Pastor Klaus Geyer, als Täter.
Am Abend des 28. Juli 1997 macht ein Jäger bei seinem Streifzug durch den Wald bei Hötzum im Landkreis Wolfenbüttel einen grausamen Fund: Zwischen hohen Brennnesseln liegt eine Frauenleiche - vollkommen bekleidet, aber mit zertrümmertem Gesicht. Schnell ist klar: Die Tote ist die 53-jährige Veronika Geyer-Iwand, ehrenamtliche Ortsbürgermeisterin von Baienrode bei Helmstedt und Religionslehrerin. Abwehrspuren an Händen oder Armen können die Rechtsmediziner nicht finden. War sie vom Täter überrascht worden? Wer hat sie so zugerichtet?
Pastor Geyer macht sich schnell verdächtig
Schnell fällt der Verdacht der Ermittler auf Veronika Geyer-Iwands Ehemann, den evangelischen Pastor Klaus Geyer. Er hatte seine Frau kurz nach ihrem Verschwinden bei der Polizei als vermisst gemeldet. "Es gab widersprüchliche Angaben in seinen Aussagen, die nicht zusammenpassten", erinnerte sich Kriminalhauptkommissar Dirk Bosse von der Mordkommission in Braunschweig 20 Jahre nach dem Mordfall.
"Außerdem verhielt sich Geyer auffällig. Er hat zum Beispiel schon einen Tag nach ihrem Verschwinden Flugblätter verteilt. Das kam uns verdächtig vor." Zwei Tage später, am 30. Juli, wird der damals 56-jährige Geyer festgenommen. Es folgt einer der aufwendigsten und ungewöhnlichsten Ermittlungserfolge der Polizei in Niedersachsen und ein bis dahin beispielloser Indizienprozess.
Kein Beweis für Geyers Schuld - aber viele Indizien
Das Gericht gelangt zu der Überzeugung, dass Geyer seine Frau während eines Streits im Affekt erschlagen hat. Es gibt jedoch keine eindeutigen Beweise für seine Schuld. Geyer bestreitet die Tat bis zum Schluss. Auch die Frage, ob Veronika Geyer-Iwand mit einem Werkzeug, einem Kuhfuß aus dem Auto ihres Mannes, getötet wurde, kann im Prozess nicht geklärt werden. Die Tatwaffe wird nie gefunden.
Stattdessen häufen sich die belastenden Indizien gegen Geyer. Dem Angeklagten können zum Beispiel mehrere Lügen nachgewiesen werden. So behauptet er zwar, nie am Fundort der Leiche gewesen zu sein - Zeugenaussagen widerlegen das aber. "Das heißt, Geyer muss dort gewesen sein und er hat die Ecke gekannt", so Regisseur Björn Platz im Rahmen seiner Arbeit für die NDR Dokumentation "Morddeutschland - Der Mörder und die Ameise" über den Fall Geyer aus dem Jahr 2017.
Kriminalbiologe wird extra aus New York eingeflogen
Im Prozess wird ein enormer Aufwand betrieben. An 20 Verhandlungstagen werden 80 Zeugen und zahlreiche Sachverständige befragt. Ein besonders schauriges Beweisstück im Gerichtssaal ist die Schädeldecke der Toten - mit Einschlagkerbe. Der Kriminalbiologe Mark Benecke wird extra aus New York eingeflogen. Er ist damals einer der wenigen Experten, die über Maden an Leichen forschen. Anhand des Entwicklungsstadiums der Maden und der Umgebungstemperatur bestimmt er, wie lange die Leiche Geyer-Iwands im Wald gelegen hat.
Sein Gutachten bestätigt eine Tatzeit, für die der Ehemann kein Alibi hat. "Geyer hatte sich von Anfang an ein Alibi aufgebaut, wonach er zur Zeit des Verschwindens seiner Frau in Braunschweig war", so Ermittler Bosse. Er wollte besonders raffiniert sein und hatte sogar - angeblich aus Braunschweig - zu Hause angerufen und auf den Anrufbeantworter gesprochen. "Wir konnten aber nachweisen, dass der Anruf in Wirklichkeit aus einer Telefonzelle ganz in der Nähe des Fundorts kam."
Eine Ameise am Gummistiefel überführt den Täter
Endgültig zum Verhängnis wird dem Angeklagten aber schließlich ein kleines, unauffälliges Insekt, die Glänzendschwarze Holzameise. Sie klebt unter dem Absatz eines der Gummistiefel aus Geyers Auto. Der Biologe und Ameisenexperte Bernhard Seifer aus Görlitz soll klären, ob diese Ameisenart mit derjenigen identisch ist, die am Leichnam von Veronika Geyer-Iwand haftete. Und tatsächlich sind sich die Experten einig: Das Tier unter Geyers Stiefel kann nur vom Fundort der Leiche stammen.
Sex und Crime im Pfarrhaus
Der Prozess, der im Februar 1998 gegen Geyer beginnt, wird zum Medienspektakel. Zum ersten Mal ist in Deutschland ein Pfarrer des Totschlags angeklagt. In seiner Gemeinde war Geyer als Seelsorger und Friedenskämpfer bekannt und äußerst beliebt. Seine Frau stammte aus einer bedeutenden Theologenfamilie. Gemeinsam leitete das Ehepaar ein Altenheim, das "Haus der helfenden Hände" in Beienrode, einem Ortsteil von Königslutter.
Doch im Verfahren bekommt die eheliche Fassade Risse: Es stellt sich heraus, dass Geyer zahlreiche Liebschaften hatte. Noch in der Nacht des Verschwindens seiner Ehefrau schlief er mit einer anderen Frau im Ehebett.
Medienspektakel und Vorverurteilungen
Für die Boulevard-Zeitungen ist das ein gefundenes Fressen. Bald ist auf den Titelseiten vom "Todes-Pastor" die Rede. In der öffentlichen Meinung ist der Geistliche längst schuldig gesprochen. Ein Vorgehen, das den zuständigen Staatsanwalt Ulrich Hennecke empört: "Da wird mit den Dingen in einer Weise umgegangen, die wirklich schlimm ist. Wenn jeden Tag die Schlagzeile eröffnet wird mit 'Todes-Pastor', dann wird suggeriert, man habe es mit einem Massenmörder zu tun", kritisiert er damals in einem Interview mit dem NDR. Der Fall sei vielmehr eine menschliche Tragödie. "Und dem werden manche Publikationsorgane überhaupt nicht gerecht. Das ist eine Riesenschweinerei."
Viele Gemeindemitglieder glauben ihrem Pastor trotz allem
Klaus Geyer beteuert nach wie vor seine Unschuld. Und viele seiner Gemeindemitglieder halten weiter zu ihm. "Das war eigentlich schon erstaunlich", erinnert sich Geyers Anwalt Bertram Börner vor einigen Jahren. Dennoch: Die Beweislast ist erdrückend. Auch für Ermittler Bosse ist der Fall klar, die Indizien seien eindeutig: "Klaus Geyer hat seine Frau umgebracht. Wahrscheinlich wollte sie sich von ihm trennen."
Am 16. April 1998 kommt die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Braunschweig zu ihrem Urteil. Das Gericht spricht Pastor Geyer des Totschlags im Affekt für schuldig. Aus dem Gefängnis heraus erklärt er, er fühle sich in einer absurden Situation. Dass er seine Frau umgebracht haben soll und er dafür verurteilt wurde - damit könne er sich nicht abfinden. Von acht Jahren Haft sitzt er fünf ab, dann wird der inzwischen an Krebs erkrankte Geyer im November 2002 vorzeitig entlassen. Ein Jahr später stirbt er.