Sängerin Alexandra - Ein kurzes Leben voller Tragik
Mit Hits wie "Mein Freund, der Baum" singt sich Alexandra in den 60ern in die Herzen ihrer Fans. Doch ihre Karriere währt nur kurz. Am 31. Juli 1969 verunglückt sie im schleswig-holsteinischen Tellingstedt. Ihr Tod bleibt rätselhaft.
Die Sängerin Alexandra, bürgerlich Doris Nefedov, gilt in den 1960er-Jahren als eine der größten Schlager-Hoffnungen in Deutschland. Zu ihren Markenzeichen gehören ihre mondäne Erscheinung und ihr tiefes Timbre in der Alt-Stimme. Melancholische Hits wie "Zigeunerjunge" oder "Mein Freund, der Baum" machen sie berühmt - über Deutschland hinaus. Alexandra arbeitet mit Udo Jürgens und französischen Chansonniers zusammen, sie ist Liebling der Kritiker. Ihre steile Karriere wird durch den frühen Tod jäh beendet - sie stirbt mit gerade mal 27 Jahren bei einem Autounfall auf einer Landstraße im Kreis Dithmarschen.
1944: Flucht vor der Roten Armee nach Kiel
Alexandra kommt als Doris Wally Treitz am 19. Mai 1942 in Heydekrug in Ostpreußen auf die Welt. Es ist die östlichste Stadt des damaligen Deutschen Reichs, unweit des Kurischen Haffs. Sie ist die jüngste von drei Töchtern von August Treitz und Wally Swetosch.
Als die Rote Armee 1944 ins Memelland vorrückt, flieht die Familie in Richtung Westen und gelangt über Sachsen schließlich nach Schleswig-Holstein. Kiel wird die neue Heimat, dort wächst Doris in kleinbürgerlichen Verhältnissen auf. Der Vater arbeitet als Justizsekretär. Sie besucht zunächst die Volkschule, anschließend ein Mädchengymnasium, die Ricarda-Huch-Schule. Doris ist ein kreatives Kind: Sie singt, tanzt und malt. Mit zehn Jahren beginnt sie, Klavier zu spielen. Sie ist im Kirchenchor und kauft sich von ihrem ersten selbst verdienten Geld schließlich eine Gitarre, beginnt Lieder und Gedichte zu schreiben.
1961: Umzug mit Mutter und Schwester nach Hamburg
"Für mich einfach verlorene Zeit", sagt sie als Sängerin Alexandra später über die Schule. Zwei Jahre vor dem Abitur schmeißt Doris hin und beginnt 1959 an der Kieler Muthesius Kunsthochschule, Grafik zu studieren. Nebenbei jobbt sie. 1961 zieht sie zusammen mit ihrer geschiedenen Mutter und ihrer Schwester nach Hamburg, in den Stadtteil Rothenburgsort. In der Hansestadt besucht Doris die Meisterschule für Mode, außerdem singt die damals 20-Jährige in Bars und Kneipen im Hamburger Rotlichtmilieu slawische Lieder und Eigenkompositionen. Nebenbei arbeitet sie als Stenotypistin in einem Hamburger Verlag, dann als Sekretärin in einer hanseatischen Spedition.
1962: Hochzeit mit dem viel älteren Nikolai Nefedov
Mit 19 Jahren verliebt sie sich in den bei der Familie lebenden Untermieter Nikolai Nefedov. Der russische Emigrant ist 30 Jahre älter als Doris. Das Paar heiratet 1962, ein Jahr später wird der gemeinsame Sohn Alexander geboren. Der Plan, in die USA auszuwandern, scheitert 1964 allerdings ebenso wie wenig später die junge Ehe. Doris und Alexander bleiben in Deutschland.
Schauspielausbildung bei UFA-Star Margot Höpfner
Doris Nefedov träumt noch immer von einer Karriere als Sängerin und Schauspielerin. Sie besucht die Schauspielschule vom einstigen UFA-Star Margot Höpfner in Hamburg. Um Geld zu verdienen, arbeitet sie nebenbei als Zeichnerin. Margot Höpfner erkennt ihr Talent, vor allem die Kraft ihrer Stimme. Direkt nach der Ausbildung bekommt Doris 1965 ein Engagement an einem Theater in Neumünster, dort spielt sie in John Carlinos Einakter "Käfige". Nebenbei nimmt sie Gesangsunterricht und tritt mit der Folk-Rock-Gruppe City Preachers auf, zu der später auch Inga Rumpf und Udo Lindenberg gehören.
Aus Doris Nefedov wird der Schlagerstar Alexandra
Der Musikproduzent Fred Weyrich wird auf die markante Stimme der Sängerin aufmerksam. Ihm gefällt, dass sie auch auf Russisch singt. Er vermittelt der jungen Frau einen Fünf-Jahres-Vertrag bei einer Plattenfirma. Hans R. Beierlein von der Agentur Montana nimmt Doris Nefedov unter seine Fittiche. Der Musikverleger und Promoter managt Udo Jürgens und fördert das französische Chanson auf dem deutschen Musikmarkt. Er baut die junge Sängerin unter dem Namen Alexandra zum Star auf. Sie bedient mit ihrer außergewöhnlichen Ausstrahlung und ihren melancholischen Liedern voller Sehnsucht ein bisher noch nicht da gewesenes Format in der Schlagerbranche: die Russland-Romantik.
1967 erscheinen ihre Hits "Zigeunerjunge", "Sehnsucht" - das sie selbst überhaupt nicht mag - und die erste Schallplatte. Im gleichen Jahr tourt sie mit dem Hazy-Osterwald-Sextett ins Land ihrer Kindheit - und bis nach Eriwan. Alexandra schafft den Durchbruch als Sängerin.
"Mein Freund, der Baum": Alexandra streift Folklore-Image ab
Doch Alexandra will mehr als nur slawisch-folkloristische Titel wie "Kleine Anuschka" oder "Schwarze Balalaika" singen. Sie sucht Kontakt zu Chansonniers wie Gilbert Bécaud, Salvatore Adamo und Yves Montand. Und sie schreibt und komponiert 1968 eigene Stücke wie die Öko-Hymne "Mein Freund, der Baum". "Sie war mit ihren Texten und Themen ihrer Zeit voraus", sagt Beierlein viele Jahre später dem Boulevardblatt "Neue Post".
Alexandra freundet sich mit Udo Jürgens an, aus ihrer Zusammenarbeit entsteht "Illusionen": Er komponiert, sie textet. Kritiker bemängeln, dass ihre Lieder ins Herz gehen, aber nicht ins Ohr. Alexandra stört sich nicht daran, für sie sei das ein Kompliment, sagt sie in einem Interview mit dem Saarländischen Rundfunk. 1968 erhält sie die "Goldene Europa", den ältesten deutschen Fernsehpreis. Auf einem Musikfestival in Brasilien lernt Alexandra den Bossa-Nova-Komponisten Antônio Carlos Jobim näher kennen. Diese Reise fängt der Fernseh-Regisseur Truck Branss mit der Kamera für die ARD-Reihe "Portraits in Musik" ein.
Alexandra gerät seelisch und körperlich unter Druck
Alexandra ist beruflich viel unterwegs. Im Privatleben ist es nicht weniger ruhig: Sie verlegt ihren Wohnsitz und zieht im Herbst 1968 mit Mutter und Sohn nach München. Als sie ihren Vater Anfang 1969 in Hamburg besuchen will, findet sie ihn tot auf. In Amsterdam lernt sie den Franko-Amerikaner Pierre Lafaire kennen - und verlobt sich mit ihm. Allerdings ist die Beziehung nicht glücklich, das Paar trennt sich wieder.
Die Sängerin bekommt das Angebot für eine 90-Tage-Tournee durch die USA. Doch der schnelle Ruhm setzt die junge Mutter auch unter Druck, oft fühlt sie sich wie eine Getriebene. Und sie ist nicht die, die sie sein will: Alexandra ist gesundheitlich angegriffen, physisch wie psychisch. Ärzte raten ihr, kürzer zu treten.
Unfalltod von Alexandra 1969 in Dithmarschen
Nach drei Jahren, in denen sie ununterbrochen gearbeitet hat, entschließt sich Alexandra, Urlaub zu machen. Mit Mutter Wally und Sohn Alexander bricht sie am 31. Juli 1969 mit ihrem generalüberholten Mercedes von Hamburg nach Sylt auf. In Tellingstedt im Kreis Dithmarschen (Schleswig-Holstein) rast ein Lkw an einer schwer einsehbaren Kreuzung in den Wagen, schiebt ihn von der Fahrbahn. Die Sängerin hatte vermutlich ein Stoppschild übersehen. Alexandra stirbt noch am Unfallort, ihre Mutter wenig später im Krankenhaus in Heide. Nur der damals sechsjährige Alexander überlebt leicht verletzt auf der Rückbank. Der Unfallort entwickelt sich zur Pilgerstätte, Fans legen Blumen ab. Die Beisetzung findet am 5. August in München statt.
Alexandras Unfalltod wird zu einem Mysterium
Um den Unfalltod Alexandras ranken sich bis heute Mythen, zu denen auch das vorige Verhalten der Künstlerin selbst beiträgt. Denn Alexandra ändert wenige Tage vor dem Unfall ihr Testament, sie erhöht ihre Lebensversicherung, bezahlt das Schulgeld ihres Sohnes ein Jahr im Voraus und kauft ein Familiengrab. Marc Boettcher, Dramaturg und Filmemacher, beginnt in den 1980er-Jahren im Fall Alexandra zu recherchieren. Auslöser ist ein Telefongespräch mit Udo Jürgens. Dieser erzählt ihm: "Man habe Alexandra auf dem Gewissen." Marc Boettcher stößt auf Halbwahrheiten und Ungereimtheiten: So waren Unbekannte noch in der Nacht nach dem Unfall in die Leichenhalle eingebrochen, in der Alexandra aufgebahrt war. Der Unfallwagen war verschwunden, bevor er untersucht werden konnte. Auch die Unfallakten waren offenbar manipuliert worden. Marc Boettcher bekommt Drohanrufe, die ihn davor warnen, weiterzuforschen. Doch er macht weiter: 1999 erscheint schließlich seine Biografie über Alexandra, im selben Jahr sein Dokumentarfilm; beide mit dem Titel "Die Legende einer Sängerin". Sowohl Biografie und Film lassen den Tod von Alexandra in einem neuen Licht erscheinen.
"Alexandra ist eine schlechte Autofahrerin gewesen"
Im Jahr 2004 veröffentlicht Marc Boettcher neue Erkenntnisse zu seinen Recherchen. Er findet heraus, dass Pierre Lafaire als Geheimagent für die USA tätig war. Bei seiner Verlobung mit Alexandra soll er in Dänemark bereits verheiratet gewesen sein. Marc Boettcher gibt als Quelle dafür Stasi-Unterlagen der Behörde an. Manager Hans R. Beierlein will sich den Verschwörungstheorien nicht anschließen, er bescheinigt Alexandra keine guten Fahrkünste: Sie sei eine schlechte Autofahrerin gewesen. "Der Unfall ist passiert, weil sie nicht aufpasste", erklärte er 40 Jahre nach Alexandras Unfalltod der "Neuen Post".
Warum Alexandra an diesem Sommertag im Juli 1969 stirbt, bleibt für manche ein Rätsel. Für Show-Größen wie Frank Elstner, der sie persönlich kannte, bleibt sie "eine Unsterbliche". Das sieht auch ihr Sohn Alexander in einem Interview mit den "Kieler Nachrichten" anlässlich ihres 50. Todestages im Jahr 2019 so: "Alexandra bleibt unvergessen."