Udo Lindenberg: Ein Mann, zwei Karrieren
Seine Bemühungen um eine Auftrittsgenehmigung in Ost-Berlin sind legendär: 1983 spielte Udo Lindenberg sein erstes und einziges Konzert in der DDR. Im Jahr 2022 wurde Lindenberg Hamburger Ehrenbürger.
Nuschelnder Hutträger mit Sonnenbrille - Udo Lindenberg in klischeehaften Bildern zu beschreiben, liegt auf der Hand. Und tatsächlich sind genau diese Attribute zu seinen Markenzeichen geworden, die er durchaus pflegt. Über sein Nuscheln sagte er einmal: "Ist ja auch ein Sound, der berühmte Nuschel als 'Trademark', also mache ich das ganz bewusst."
Mensch und Musiker Udo Lindenberg
Doch welche Persönlichkeit verbirgt sich hinter dem nuschelnden Panik-Rocker? Manche beschreiben ihn als authentisch, andere als zu schräg, um wahr zu sein. In jedem Fall ist es ein Mann mit genug Durchhaltevermögen für zwei Karrieren. Als er 1992 mit dem Echo für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird, vermutet wohl niemand, dass er noch einmal richtig durchstarten würde. Mit "Stark wie Zwei" (2008) und "Stärker als die Zeit" (2016) produziert er noch zwei weitere Nummer-eins-Alben. 2021 ist sein Album "Udopium - Das Beste" - mit Liedern aus seiner 50-jährigen Karriere - erschienen.
Lindenbergs Karriere beginnt als Schlagzeuger
Die Karriere des 1946 im nordrhein-westfälischen Gronau geborenen Udo Lindenberg beginnt als Schlagzeuger. Er probiert sich in verschiedenen Bands aus, studiert ein paar Semester an der Musikhochschule Münster und spielt mit bekannten Jazzmusikern wie Klaus Doldinger und Gunter Hampel. Der Durchbruch gelingt ihm 1973 mit seinem dritten Album "Alles klar auf der Andrea Doria" - die erste Zusammenarbeit mit seiner Band, dem Panik-Orchester.
Seine sechste Tournee, die spektakuläre "Rock Revue '79", inszeniert Theaterregisseur Peter Zadek. Musiklegende Eric Burdon begleitet Lindenberg, der zu diesem Zeitpunkt bereits das Schlagzeug gegen das Mikrofon getauscht hat. Der für ihn charakteristische "Sprechgesang" bleibt nicht unumstritten und beschäftigt die Kritiker. "Der frühere Jazzrock-Schlagzeuger ist eigentlich kein Sänger, und so versucht er auch gar nicht erst, den Gestus des Profi-Sängers anzunehmen und die Melodien in das übliche feste Metrum zu zwängen", schreibt damals beispielsweise Wolfgang Sandner in der "FAZ".
Mit dem "Sonderzug nach Pankow"
Seit den 80ern macht Udo Lindenberg neben der Musik vor allem durch sein politisches Engagement auf sich aufmerksam. Er setzt sich für den Umweltschutz und die Friedensbewegung ein. Seine jahrelangen Bemühungen um eine Auftrittsgenehmigung in Ost-Berlin sind legendär: Als die DDR-Behörden ihm einen Auftritt verwehren, schreibt Lindenberg 1983 den an Erich Honecker gerichteten Song "Sonderzug nach Pankow" - und bekommt endlich die lang ersehnte Erlaubnis. Im Oktober tritt er im Ost-Berliner Palast der Republik auf, darf aber noch immer nicht in der DDR auf Tour gehen.
Lindenberg für Klimaschutz und Friedensbewegung
Vier Jahre später macht Lindenberg von sich reden, als er Erich Honecker einen offenen Brief und eine Lederjacke schickt. Im Gegenzug erhält er eine Schalmei und einen Brief, in dem sich Honecker laut Lindenbergs Website folgendermaßen bedankt: "Mit der Übersendung der Lederjacke haben Sie mir eine Überraschung bereitet, für die ich Ihnen danke. Wenn ich es recht verstehe, ist sie ein Symbol rockiger Musik für ein sinnvolles Leben der Jugend ohne Krieg und Kriegsgefahr, ohne Ausbildungsmisere und Arbeitslosigkeit, ohne Antikommunismus, Neofaschismus und Ausländerfeindlichkeit."
Kurz darauf, im September 1987, überreicht Lindenberg Erich Honecker bei dessen Besuch in Wuppertal eine "nicht ganz billige" Gitarre mit der Aufschrift "Gitarren statt Knarren". Trotz dieses intensiven Austausches muss der "Panikrocker" bis zum Mauerfall warten, um auf die lang ersehnte Tournee gehen zu können. 1990 starten Udo und Band endlich ihre Tournee durch den Osten Deutschlands, auf der sie das Album "Bunte Republik Deutschland" vorstellen.
Lindenberg war ein Superstar in der DDR, auch hier hatte er Millionen Fans. Allerdings nur inoffiziell unter den Jugendlichen, die ihre Jeansjacken gerne mit großflächigen "Udo L"-Kugelschreiber- Aufschriften auf der Rückenseite auffrischten. Zum 75. Geburtstag von Udo Lindenberg erinnerte eine NDR Dokumentation aus der Reihe "Unsere Geschichte" an den Panikrocker. Darin kommen auch seine treuen Anhänger zu Wort, zum Beispiel Uwe Neumann, heute Leiter der Rostocker Kunsthalle, damals Diskotheker und Leiter der Rostocker Jugendclubs "Uni-Mensa", wo er hinter verschlossenen Türen mit subversivem Westrock die Rostocker Jugend begeisterte und ständig "die Stasi auf der Matte" hatte.
Engagement für Kunst und Kultur
Mitte der 90er wird es musikalisch immer ruhiger um Lindenberg. Er widmet sich vor allem der Kunst und profiliert sich als Maler und Zeichner. Seine "Likörelle" entstehen mit Hilfe von Eierlikör, Blue Curaçao und anderen alkoholischen Getränken. Mit dem multimedialen Projekt "Atlantic Affairs" macht er dann 2002 erstmals wieder musikalisch auf sich aufmerksam. Lindenberg will damit an die von den Nationalsozialisten vertriebenen Künstler und die Kultur der 20er- und 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts erinnern. Außerdem greift er weiterhin selbst zum Pinsel: 2006 präsentiert er neue "Likörelle", in denen er seine Stasi-Akten verarbeitet. Die im selben Jahr gegründete Udo-Lindenberg-Stiftung will junge Texter und Musiker fördern, kulturpolitische Aktivitäten unterstützen und nicht zuletzt das Leben und Werk von Hermann Hesse mit moderner Musik verbinden.
2008: Udo Lindenbergs unerwartetes Comeback
Auch wenn Udo Lindenberg nie komplett von der Bildfläche verschwunden ist, kann er jahrelang nicht an seine früheren Erfolge anknüpfen. Im Jahr 2008 gelingt dem damals 61-Jährigen dann etwas, was dem Alt-Rocker wohl kaum einer zugetraut hatte: ein unglaubliches Comeback. Sein Album "Stark wie Zwei" beschert ihm Top-Chartplatzierungen, eine ausverkaufte Tournee, viel Lob von den Kritikern und zahlreiche Preise. Seitdem fühlt es sich an, als wäre Udo Lindenberg nie wirklich weg gewesen. Im Juni 2011 gibt er ein "MTV Unplugged"-Konzert in Hamburg - ein Ritterschlag für jeden Musiker. Und auch seine "Ich mach mein Ding"-Tour im Jahr 2012 ist extrem erfolgreich.
"Matrix-Paniker" im Panoptikum
Im Panoptikum auf der Reeperbahn können Fans seit 2010 das Wachsfigur-Double von Lindenberg bestaunen. "Der ist so echt, jetzt müsste er bloß noch singen können, dann schicke ich ihn los als Matrix-Paniker", sagt der Sänger anlässlich der Enthüllung seines Doubles. Im Wachsfigurenkabinett dürfte sich Lindenbergs Doppelgänger ausgesprochen heimisch fühlen. Nicht nur, dass seine Karriere als Schlagzeuger auf St. Pauli begann. Auch sein früherer Hamburger WG-Mitbewohner Otto Waalkes ist im Panoptikum wieder Lindenbergs direkter Nachbar.
"Hinterm Horizont" geht's weiter: Lindenbergs eigenes Musical
Und Udo Lindenberg hat es nicht nur zur eigenen Wachsfigur, sondern auch zu einem eigenen Musical gebracht. "Hinterm Horizont" feiert 2011 am Berliner Theater am Potsdamer Platz Premiere und erzählt seitdem die - vermutlich wahre - Liebesgeschichte zwischen Udo Lindenberg und dem FDJ-Mädchen Jessy - untermalt von rund 26 Lindenberg-Hits wie "Andrea Doria", "Sonderzug nach Pankow" und natürlich "Hinterm Horizont".
Ende April 2016 haut der Proto-Deutschrocker auch noch das Album "Stärker als die Zeit" raus. Es ist ein musikalisches Statement gegen Beliebigkeit, gegen Wankelmut und gegen die Oberflächlichkeiten unserer Zeit. Dieser Longplayer ist - ähnlich wie auch die im Mai 2021 erscheinende Werkschau "Udopium" - wie Lindenberg selbst: authentisch.
2022: Udo Lindenberg wird Ehrenbürger der Stadt Hamburg
Nach einem Musical zu seinen Liedern und einer Erlebniswelt zu seinem Lebenswerk wurde Udo Lindenberg 2022 auch noch Ehrenbürger der Stadt Hamburg. Auf dem Ruhekissen des Erfolgs wird sich der im Hamburger Hotel Atlantic lebende Künstler mit Sicherheit auch in Zukunft nicht ausruhen. Und wenn seine zweite Karriere tatsächlich mal ins Stocken geraten sollte: Ein Udo Lindenberg ist nie zu alt für ein Comeback.