15. Oktober 1944: Schlimmster Bombenangriff auf Braunschweig
Am 15. Oktober 1944 geht das alte Braunschweig im Bombenhagel unter. Ein halbes Jahr später - am 12. April 1945 - befreien die Amerikaner die Löwenstadt. Mit im Gepäck haben die GIs auch heißbegehrtes Kaugummi.
Willi Meyer hat die Nacht zum 15. Oktober 1944 nie vergessen, in der der schlimmste Bombenhagel kurz vor Kriegsende auf Braunschweig niederging. Eigentlich war es wie immer, erzählt der Klempnermeister im Ruhestand, der damals zwölf Jahre alt war, dem NDR 2015: "Bombenalarm war für uns nichts Ungewöhnliches." Deshalb spielt er auch mit seiner Mutter eine Partie Schach, als die Sirenen heulen. Doch diesmal schlagen Bomben auf das Haus in der Leopoldstraße 4 ein. Er verbarrikadiert sich mit seinen Eltern und anderen Hausbewohnern im Keller. Erst als die Detonationen aufhören, trauen sie sich wieder heraus. Auf das Grundstück fallen innerhalb von 40 Minuten 26 Brandbomben und zwei Phosphorbomben. Dort befindet sich auch die Klempnerei seines Vaters.
Schwerster Angriff auf Braunschweig
Braunschweig erlebte in dieser Nacht den schwersten Bombenangriff während des Zweiten Weltkriegs. Britische Flugzeuge warfen über 200.000 Bomben über der Löwenstadt ab. Die Stabbrand- und Phosphorbomben sorgten für ein Inferno. Der Feuersturm wütete zwei Tage lang in der Innenstadt. "Die Hitze war so groß, dass die Tapeten durch die Mauer anfingen, schwarz zu werden und drohten in Flammen aufzugehen", erinnert sich Willi Meyer. Sie rückten alle Möbel ab und versuchten mit Wasserpatschen, Sand und Wasser die Wohnung vor dem Feuer zu schützen. Willi Meyer senior versuchte, die Brandherde im Hof zu löschen. Der Phosphor, wenn er auf entzündliches Material spritzt, lässt sich kaum löschen. Doch der Klempnermeister war bei der technischen Nothilfe und ausgebildet in Brandbekämpfung. Er schaffte es, das Haus vor der vollständigen Zerstörung durch das Feuer zu bewahren. Die Existenz - die Klempnerei - blieb der Familie erhalten. "Ich hatte Glück", sagt Meyer, "denn ohne den Betrieb, ohne das Haus, wäre wohl alles anders gekommen." Doch ringsherum war alles zerstört.
Trümmerberge statt Fachwerkkulisse
Rund drei Millionen Kubikmeter Trümmer prägen nun das Stadtbild von Braunschweig. 90 Prozent der Gebäude liegen in Schutt und Asche. Zwischen den eingestürzten oder ausgebrannten Häusern ist es schwierig, Straßen wiederzuerkennen. Dennoch: Willi Meyer und seine Mutter machen sich auf den Weg zu den Großeltern und müssen dabei über meterhohen Schutt hinwegklettern. "Ich kann mich erinnern, dass die Steine sehr warm waren und wir gemacht haben, dass wir über den Berg hinüber kamen, sonst hätten wir heiße Füße bekommen", erzählt Willi Meyer 2015. Offiziell sterben bei dem Angriff etwa 600 Menschen. 80.000 sind obdachlos. Das Schienen- und Straßennetz, die Versorgung für Gas und Wasser, alles ist lahmgelegt. Der Klempnermeister erinnert sich, wie voll auch auf einmal die Wohnung nach dem Angriff ist. "Die Leute, die ausgebombt waren, die kamen in Notunterkünfte, wie zum Beispiel bei einem Bauern auf dem Land in die Scheune. Bei uns wurde auch eine Familie einquartiert." Statt zu dritt lebt die Familie Meyer noch nach dem Kriegsende zu sechst in ihrer kleinen Wohnung.
Heißbegehrtes Kaugummi
Als die Amerikaner Braunschweig am 12. April 1945 befreien, harren viele Bewohner in den 24 Bunkern der Stadt aus - auch Willi Meyer, für den die letzten Tage dort bedrückend sind. Denn bis zum Schluss liefern sich Deutsche und Amerikaner blutige Gefechte. "Die Explosionen der Granaten waren beängstigend", sagt Willi Meyer. Die meisten verbringen die Zeit im Bunker mit Lesen oder Radio hören. Im Volksempfänger tönen die Propagandisten der NS-Führung noch vom "Endsieg" und der "Festung Harz". Doch die US-Panzer rollen bereits durch die Straßen. "Irgendwann haben wir uns vor die Tür getraut. Viele Leute hatten weiße Bettlaken aus den Fenstern gehalten, um sich zu ergeben." Für den damals Zwölfjährigen ein besonderer Moment. Denn die amerikanischen GIs seien viel lockerer als die stramm gedrillten Wehrmachtssoldaten gewesen. "'Have you a gum?', habe ich gleich gefragt. Wir haben immer versucht, etwas abzustauben bei den Amerikanern."
Nichts soll in Vergessenheit geraten
Willi Meyer versucht das Erlebte zu verarbeiten. Über Jahrzehnten hat er 27 Fotoalben angelegt und unzählige Zeitungartikel gesammelt. Nichts soll in Vergessenheit geraten. "Eigentlich war es ein Gefühl der Erleichterung, als es endlich vorbei war, aber dennoch gab es noch große Schwierigkeiten - wie zum Beispiel Essen zu besorgen." Kriegsende bedeutet gleichzeitig Neuanfang. In einem Buch für seine Familie hat er sein Leben aufgeschrieben. Wie er den Krieg überlebte, wie er den Betrieb seines Vaters weiterführte und wie er ihn auch stolz an seinen Sohn Ingo abgegeben hat.