Deutschlandvertrag: Wie die Bundesrepublik souverän wurde
Am 26. Mai 1952 kommen die Außenminister von Großbritannien, Frankreich und den USA mit Bundeskanzler Konrad Adenauer in Bonn zusammen, um mit dem Deutschlandvertrag ein epochales Abkommen zu unterzeichnen.
Der Deutschlandvertrag - auch Bonner Vertrag oder Generalvertrag genannt - soll endlich das Besatzungsstatut aufheben. Denn noch immer ist die drei Jahre zuvor gegründete Bundesrepublik kein souveräner Staat, steht ihre Regierung unter der Kontrolle der Westalliierten. In der DDR ist die Sowjetunion ebenfalls noch immer Besatzungsmacht.
Feierlicher Akt zur Vertragsunterzeichnung in Bonn
Bei feinem Nieselregen betreten die Herren am 26. Mai 1952 um kurz vor 10 Uhr das Bundeshaus. Schaulustige säumen die Straße, Journalisten belagern mit Schreibblöcken und Fotoapparaten versehen den Eingang. Deutsche Polizei und amerikanische Militärpolizei kontrollieren die Ausweise.
Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) erwartet die Minister Anthony Eden aus Großbritannien, Robert Schuman aus Frankreich und Dean Acheson aus den USA bereits. Er ist eine halbe Stunde früher erschienen, um Vorbereitungen für das Prozedere zu treffen. In der Aula der ehemaligen Pädagogischen Akademie, dem Versammlungsort des Bundesrates am Rhein, ist ein langer Tisch mit einer weißen Decke festlich hergerichtet worden. Davor nehmen die Außenminister und ihre Mitarbeiter nun auf zwölf mit rotem Leder bezogenen Stühlen Platz. Als Zuschauer der Zeremonie sind die Minister des Bundeskabinetts vollzählig erschienen, ebenso Vertreter von Bundestag und Bundesrat sowie Abgesandte der Regierungsparteien.
Lange thront die Alliierte Kommission über Bonn
Monatelang haben beide Seiten um den Text des Vertrags gerungen, der das Besatzungsstatut ablösen soll. In diesem Statut, einem Dokument des Misstrauens und der Vorsicht gegenüber dem Land, das die Welt in den Zweiten Weltkrieg gestürzt hat, haben sich die drei Westmächte bei Gründung der Bundesrepublik 1949 umfassende Hoheitsrechte vorbehalten.
In Bonn wacht damals die Alliierte Hohe Kommission auf dem Petersberg über die junge Demokratie und den Bundestag, dessen Gesetze sie ablehnen kann. Sie kontrolliert die Außenpolitik, den Außenhandel, den Geldverkehr, die Reparationsleistungen, überwacht die Entmilitarisierung des Landes, die Beschränkungen für Industrieproduktion und Luftfahrt, ist auch für Flüchtlinge und Vertriebene zuständig. Auf all diesen Gebieten darf die Bundesregierung nur mit Erlaubnis der Kommission tätig werden. Als letztes Mittel, etwa bei Eintritt eines Notstandes, kann sie sogar die vollständige militärische Besetzung des Landes anordnen.
Adenauer will die volle Souveränität
Seit Gründung der Bundesrepublik hat Adenauer immer wieder versucht, einzelne Souveränitätsrechte zu erlangen, etwa mit dem Petersberger Abkommen vom 22. November 1949 konsularische Beziehungen zu anderen Staaten erwirkt. Außerdem wird die Demontage wichtiger Industriebetriebe bald beendet. Im März 1951 wird zur Pflege der Außenbeziehungen sogar das Auswärtige Amt wieder eingerichtet, dessen Leitung Adenauer übernimmt. Doch der Kanzler will mehr: die gleichberechtigte Aufnahme in die westeuropäische Staatengemeinschaft und die volle Souveränität über innere und äußere Angelegenheiten.
Die Idee einer euopäischen Armee und eine Bedingung
Die alliierten Besatzungsmächte beharren lange Zeit auf ihren Hoheitsrechten. Aber wegen des aufbrechenden Ost-West-Konflikts brauchen sie auch den Beitrag der Bundesrepublik zu der geplanten westeuropäischen Verteidigungsgemeinschaft, über die parallel verhandelt wird. Deshalb macht Adenauer die volle Souveränität zur Bedingung für die Aufstellung von Truppen in einer gemeinsamen Armee. Erst nach einem Jahr sind alle Hindernisse beseitigt und die Verträge unterschriftsreif.
Der Generalvertrag soll den Frieden sichern
Im Bundesraatssaal des Bonner Bundeshauses werden an diesem 26. Mai 1952 zunächst feierliche Reden gehalten. Adenauer betont, der Deutschlandvertrag werde den Frieden sichern und die Wiedervereinigung in Freiheit bringen. Der französische Außenminister Robert Schuman spricht die Worte: "Wie müssen langsam lernen, Vertrauen zueinander zu haben, nach all den Gegensätzen, die uns bisher getrennt haben. Eine neue Welt muss geschaffen werden."
Dann treten die drei Minister nacheinander an einen kleinen Tisch mitten im Saal, wo der Vertrag in dunkelblauen Ledermappen mit Goldprägung ausliegt. Füllfederhalter werden auf einem silbernen Tablett bereit gehalten. Als letzter unterzeichnet Bundeskanzler Konrad Adenauer das Abkommen.
Die europäische Verteidigungsgemeinschaft scheitert
Am nächsten Tag wird in Paris der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft beschlossen, der vorsieht, dass Frankreich, Italien, die Benelux-Staaten und die Bundesrepublik eine gemeinsame Armee aufstellen. Doch das Vorhaben scheitert zwei Jahre später am Widerstand des französischen Parlaments, das einen europäischen Oberbefehl über französische Truppen ablehnt und dem deutschen Militär noch immer misstraut.
Letzte alliierte Vorbehalte bis 1990
Das Besatzungsstatut hingegen verliert erst 1955 seine Gültigkeit - nach einer Überarbeitung des Deutschlandvertrags. Sechs Jahre nach ihrer Gründung ist die Bundesrepublik nun ein (fast) souveräner Staat und die Besatzer werden zu Verbündeten. Im selben Jahr erfolgt der Beitritt zur NATO und die damals umstrittene Aufstellung der Bundeswehr. Letzte Vorbehaltsrechte geben die Alliierten aber erst Jahrzehnte später auf, etwa in Bezug auf die Truppenstationierung oder Berlin und Deutschland als Ganzes. Diese Rechte erlöschen mit der Zustimmung zur Wiedervereinigung im Zwei-plus-vier-Vertrag vom 12. September 1990.