Das Hamburger Hospiz mit dem Regenbogen baut Brücke zu den Sternen

Stand: 17.05.2023 05:00 Uhr

Ein Hospiz für schwerstkranke Kinder, das Schule macht: Am 17. Mai 2003 öffnet die Sternenbrücke in Hamburg. Das Modellprojekt im Westen der Hansestadt dient längst als Vorbild für vergleichbare Einrichtungen im In- und Ausland.

von Stefanie Grossmann

Das weltweit erste Kinderhospiz "Helen House Hospice" eröffnet 1982 in Oxford. Von England aus breitet sich die moderne Hospizbewegung in den 1980er-Jahren auch nach Deutschland aus. Tod und Sterben sind damals noch weitgehend tabuisiert. Den Tod wieder mehr ins Leben zurückzuholen - darum ging es der Hospizbewegung. Ziel ist es, Schwerkranken ein möglichst würdevolles und selbstbestimmtes Leben bis zum Ende zu ermöglichen. Das gilt vor allem auch für Kinder.

Das erste Hospiz für unheilbar kranke Kinder und ihre Familien in Norddeutschland feiert am Samstag (17.05.2003) in Hamburg seine Eröffnung. © picture-alliance / dpa/dpaweb Foto: Ulrich Perrey
Am 17. Mai 2003 wird die Eröffnung der Sternenbrücke gefeiert.

In Deutschland sind heute rund 50.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unheilbar erkrankt, sie sterben frühzeitig. Doch bis zum Sterben können Wochen, Monate oder Jahre vergehen. Das belastet auch Eltern und Geschwister psychisch wie physisch. Unterstützung für die Angehörigen können Kinderhospize sein. Eins der ersten Modellprojekte in Deutschland ist die Sternenbrücke in Hamburg.

Am 17. Mai 2003 wird das Haus mit dem Regenbogen-Symbol im Stadtteil Rissen feierlich eröffnet. 450 offiziell geladene Gäste aus Politik und Prominenz sowie betroffene Familien sind dabei.

Ziel von Ute Nerge ist ein "familiengerechtes" Kinderhospiz

Doch von der Planung der "Sternenbrücke" bis zur Eröffnung ist es ein langer, steiniger Weg. "Wir erfuhren größte Berührungsängste in der Öffentlichkeit, wenn wir über unser Vorhaben, ein Kinderhospiz auf den Weg bringen zu wollen, berichteten", sagt Mitbegründerin Ute Nerge im Rückblick. Bereits 1998 reift in der gelernten Kinderkrankenschwester der Entschluss, "lebensbegrenzt erkrankten jungen Menschen sowie ihren Angehörigen besser zur Seite zu stehen und hierfür einen besonderen Ort zu schaffen". Sie betreut damals schon nebenbei schwerstkranke Kinder und ihre Familien. Dazu gehört auch die neunjährige Jenny. Das Mädchen ist unheilbar an einem Tumor erkrankt. Mit ihrer kleinen Patientin entwickelt Nerge erste Ideen für ein "familiengerechtes" Kinderhospiz mit einer umfassenden palliativmedizinischen Begleitung. Einen überzeugten Unterstützer findet sie in Peer Gent, der Sozialpädagoge leitet damals einen Pflegedienst.

Förderverein 1999 gegründet

Als nächsten Schritt gründen Nerge und Gent am 1. Dezember 1999 zusammen mit der Kinderkrankenschwester Reinhild Pohl, der betroffenen Mutter Christine Oelckers und dem Trauerbegleiter Uwe Sanneck den Förderverein für das Kinder-Hospiz Sternenbrücke e. V., um Spenden sammeln zu können. Dabei werden sie von Isabella Vértes-Schütter, Intendantin des Ernst-Deutsch-Theaters, und der damaligen Leiterin des Diakonischen Werks Hamburg, Annegrethe Stoltenberg, unterstützt.

Ehrenamtliches Projekt auf der Suche nach Geldgebern

Als provisorischer Arbeitsort dient zunächst Nerges Wohnzimmer. Computer, Fax, Anrufbeantworter - Fehlanzeige. Doch der Platz reicht bald nicht mehr aus, und so beziehen die Ehrenamtlichen im Jahr 2000 ein kleines Büro am Rödingsmarkt. Zeitgleich beginnt die Suche nach einem geeigneten Objekt für das Kinderhospiz. Dafür braucht es vor allem eins: finanzielle Mittel. Also heißt es, weiter Geld zu sammeln, vier Millionen D-Mark sind das Ziel. Das bedeutet auch, in die Öffentlichkeit zu treten, vor Mikrofonen und Kameras zu sprechen, Sponsoren zu gewinnen. "Das kann ich nicht", denkt Nerge. "Meine Herren, ich bin eine leidenschaftliche Tänzerin, und wir brauchen neue Duschtüren", erzählt sie der Frauenzeitschrift "Brigitte" über den Gedanken, bei einer Spendengala auftreten zu müssen. Die Frau, die ihr Leben lang auf Sicherheit aus war, muss ihren Job kündigen. Weil alles zu viel ist. "Hier war ein Projekt, bei dem mir keiner garantieren konnte, ob es funktionieren würde, so Nerge gegenüber der "Brigitte" weiter.

Aus einem ehemaligen Bildungszentrum wird ein Kinderhospiz

Ein Jahr später findet Nerge ein geeignetes Haus. Den Tipp bekommt sie von der Mutter eines schwerkranken Kindes. Im Hamburger Stadtteil Rissen liegt das Objekt der Begierde: das ehemalige Bildungszentrum der Albinigia-Versicherung. Es entspricht genau Nerges Vorstellungen: Das Gebäude ist von einem weitläufigen, ruhigen Garten umgeben und besitzt eine direkte Anbindung an die Innenstadt mit eigener Bushaltestelle. Nachdem die Bezirksversammlung in Altona grünes Licht für die Eröffnung des Kinderhospizes Sternenbrücke gibt, wird am 18. Mai 2001 der Mietvertrag für die Villa im Sandmoorweg 62 unterschrieben. Im September desselben Jahres geht das Projekt Sternenbrücke in eine Stiftung über.

Auch Bundesmittel fließen in den Umbau der Sternenbrücke

Noch ist das Projekt zu 100 Prozent auf Spenden vieler Hamburger angewiesen. Im Dezember 2001 zeichnet der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Sternenbrücke im Rahmen des "start social" Wettbewerbs als einen von fünf Siegern unter 2.000 Projekten mit einem Preis von 5.000 D-Mark aus. Dann fließen auch Bundesmittel: Bei einem Besuch der Sternenbrücke 2003 sichert die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) 1,64 Millionen Euro für den behindertengerechten Umbau des Hauses zu. Insgesamt kostet der Umbau des Haus 2,55 Millionen Euro. Der Unterhalt der Sternenbrücke beträgt pro Jahr 1,5 Millionen Euro.

Als Ulla Schmidt das Hospiz am 14. Juli 2009 noch einmal besucht, ist sie äußerst angetan: "Es ist schön zu sehen, wie das Projekt, das ich 2003 besuchte und das damals eine Anschubfinanzierung erhielt, nun so mit Leben gefüllt ist. Die Arbeit der Sternenbrücke gibt vielen Familien Entlastung und Halt."

"Die Sternenbrücke versteht sich als Ergänzung zu (Kinder-) Krankenhäusern. Höchste Priorität hat die Verbesserung der Lebensqualität durch die Linderung von Schmerzen und die Vermeidung von Isolation." Aus der Broschüre der Stiftung Kinder-Hospiz Sternenbrücke (2019)

Schmerztherapie ist die Basis in der Sternenbrücke

Gäste des Kinderhospizes "Sternenbrücke" in Hamburg spielen am Mittwoch (16.08.2006) auf dem hauseigenen Spielplatz. © picture alliance / dpa Foto: Ulrich Perrey
Auf dem weitläufigen Gelände des Kinderhospizes können die schwerstkranken Kinder und ihre Angehörigen ein paar "schöne Stunden verbringen".

In den Räumlichkeiten entstehen zwölf Zimmer für schwerstkranke Kinder. Dort können sie während der Sterbephase begleitet oder im Rahmen der ambulanten Kurzzeitpflege 28 Tage lang betreut werden. Die Not und die Bedürfnisse von betroffenen Familien stehen stets an erster Stelle. Um die unheilbar erkrankten jungen Menschen bis zu einem Alter von 27 Jahren und ihre Angehörigen kümmern sich rund um die Uhr 15 Kinderkrankenschwestern, ein Schmerztherapeut, eine Sozialpädagogin, ein Psychologe und ein Trauerbegleiter. Immer im Blick der Leitspruch: "Wir können dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben." Die Basis ihrer Arbeit ist eine sorgfältige Schmerztherapie. Denn nur Menschen, die keine Schmerzen ertragen müssen, können das Leben, das ihnen noch bleibt, bewusst erleben und sich Zeit mit Familie und Freunden erfreuen, so der Tenor der Sternenbrücke.

Langsam Abschied nehmen vom verstorbenen Kind

Im "Abschiedszimmer" des Hamburger Kinder-Hospiz "Sternenbrücke" stehen am Mittwoch (28.04.2004) Hospiz-Leiterin Ute Nerge (l) und Geschäftsführer Peer Gent. © picture alliance / dpa Foto: Kay Nietfeld
Im Abschiedsraum steht das "Sternenbett" - es verfügt über eine Kühlfunktion. Eltern haben so genug Zeit, von Ihren Kindern Abschied zu nehmen.

Dazu gehört auch die Ausgestaltung der Sternenbrücke: "Ich wollte ein Haus voller Wärme und Fröhlichkeit", sagt Nerge der "Brigitte". Die Zimmer sind in einem freundlichen Gelb gehalten. Im heimeligen Snoezelen-Raum können kranke Kinder Sinnesreize aufnehmen, sich entspannen und Ruhe finden. Es gibt außerdem ein Spielzimmer, einen Musiktherapieraum, ein Therapiebad, einen Klanggarten und vieles mehr.

Im Abschiedsraum funkeln Sterne an der Decke. Darin steht das "Sternenbett". Wegen der integrierten Kühlfunktion kann ein verstorbenes Kind dort fünf Tage liegen bleiben - Zeit zum Abschied nehmen für Eltern und Angehörige. Und im 2005 geschaffenen Garten der Erinnerung, der die Form eines Unendlichkeitszeichens hat, brennt für jedes verstorbene Kind ein Licht. Ein großer Engel aus Sandstein, den Nerge gemeinsam mit einem Steinbildhauer und nach Vorstellungen der Kinder geschaffen hat, wacht über die Verstorbenen.

Die Würde der Kinder und Angehörigen steht an erster Stelle

Weil Würde für Nerge das wichtigste Wort ist, gibt es die Sternenbrücke. Dazu gehört, einem kranken Kind sein Lieblingsessen zu servieren, notfalls auch über eine Magensonde. Oder aber auch die Wahrheit zu sagen, dass es sterben wird. Für den Umgang mit sterbenden Kindern brauche sie viel innere Stabilität, so Nerge im "Hamburger Abendblatt". "Wenn ein Kind stirbt, das ich lange begleitet habe, dann weine ich auch, lebe die Trauer … Es gibt mir Energie, dass wir hier aus verbleibenden Tagen gute Tage machen können."

Corona-Zeit stellt die Sternenbrücke vor Herausforderungen

Die Corona-Pandemie stellt ab Anfang 2020 auch das Kinderhospiz vor große Herausforderungen. Aufgrund der strengen Kontaktbeschränkungen dürfen externe Besucherinnen und Besucher das Haus nicht mehr betreten. Veranstaltungen wie der Tag der offenen Tür, um Spenden zu sammeln, müssen ausfallen. Um die kranken Kinder und ihre Angehörigen zu schützen und den nötigen Abstand einzuhalten, werden nicht alle Zimmer belegt. Seit 2022 hat sich die Lage in der Sternenbrücke wieder entspannt. Gründerin Ute Nerge ist in der Zwischenzeit, im August 2021, in den Ruhestand gegangen.

"Vor nun 20 Jahren durfte ich gemeinsam mit Kindern das Band zur Eröffnung der Sternenbrücke durchschneiden. Wenige Minuten danach wurde ich mit den Kindern aus dem Haus zurück zur Tür gerufen. Sprachlos und zutiefst berührt zeigten alle zum Himmel: Über dem Haus stand am sonnigen Himmel ein großer Regenbogen. Es wirkte, als würde er das Haus beschützen und eine Verbindung von der Erde zum Himmel symbolisieren. Diesen Augenblick werde ich mir immer bewahren." Ute Nerge im Infobrief vom 4. April 2023 zu 20 Jahren Sternenbrücke

Sternenbrücke ist Modellprojekt für Kinderhospize weltweit

Ohne Nerge gäbe es das Haus mit dem Regenbogen nicht. Das Modellprojekt dient längst als Vorbild für vergleichbare Einrichtungen im In- und Ausland. Seit der Eröffnung des Kinderhospizes Sternenbrücke im Jahr 2003 hat es rund 700 Familien ein Zuhause auf Zeit gegeben.

Angehörige verweilen am Sonntag im "Garten der Erinnerung" am Tag der offenen Tür im Kinder-Hospiz "Sternenbrücke" in Hamburg. © picture alliance / dpa Foto: Christian Charisius
Im Garten der Erinnerung steht für jedes verstorbene Kind ein Lämpchen, mit dem jeweiligen Namen.

Anlässlich von 20 Jahre Sternenbrücke drücken Betroffene ihre Dankbarkeit über die Arbeit des Hospizes aus. Ein Angehöriger schreibt im virtuellen Gästebuch: "Was die Sternenbrücke besonders macht? Ich glaube, sie symbolisiert all das, worauf es im Leben ankommt. Gesehen zu werden." Und Dörthe Jürgens, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter dieses Frühjahr zu ihrem zweiten Aufenthalt in die Sternenbrücke kam, meint aus tiefstem Herzen: "Danke, dass ihr für uns da seid."

204 Kinder sind in den 20 Jahren seines Bestehens in der Sternenbrücke verstorben. Das Hospiz ist letzte Station im Leben vieler Todkranker. Doch wissend, dass das Leben der Angehörigen weitergeht, lautet das Motto der Sternenbrücke auch: "Wir bleiben auf unserem Weg nicht stehen."

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 01.05.2023 | 19:30 Uhr

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