Französische Soldaten auf einer Brücke in Hamburg, Lithographie © picture-alliance / akg-images

1814: Nach Hamburgs Franzosenzeit kommen die Russen

Stand: 31.05.2024 09:30 Uhr

Am 30. Mai 1814 verlassen die französischen Besatzer die Stadt, die sie großteils zerstört und niedergebrannt haben. Tausende Bewohner sind vertrieben worden. Einen Tag feiern die Hamburger die eintreffenden russischen Truppen als "Befreier".

von Janine Kühl

Einen vernichtenden Höhepunkt erreicht die Belagerung am 7. Dezember 1813: Hamm brennt. Ein Teil des Hamburger Vorortes fällt den Flammen zum Opfer. Die Bewohner des kleinen Dorfes müssen ihr Hab und Gut zusammenraffen und sich ein neues Zuhause suchen - keine leichte Aufgabe im extrem kalten Winter 1813/14. Der Brand gehört zu den Verteidigungsmaßnahmen der französischen Besatzer Hamburgs, die vor dem Befestigungsgraben ein so genanntes Glacis anlegen: eine von der feindlichen Feldseite her leicht ansteigende Erdanschüttung ohne Bewuchs und Bebauung. Denn die alliierten Truppen, vor allem Russen, ziehen einen Belagerungsring um die Hansestadt zusammen. Um vor den Wällen ein freies Schussfeld zu haben, lassen die Franzosen Vororte abreißen oder niederbrennen. Zugleich nehmen sie so dem Feind die Möglichkeit, sich hier einzuquartieren.

Hamburg gehört zu Frankreich

Hamm muss weichen, damit Napoleon die Festung Hamburg halten kann. Bereits seit dem Jahr 1806 steht Hamburg unter französischer Besatzung - mit einigen Unterbrechungen und in unterschiedlicher Form. Das Verbot des Handels mit England führt zu Bankrotten einiger Hamburger Handelshäuser und verschärft Arbeitslosigkeit und Armut. Am 1. Januar 1811 wird Hamburg als Hauptstadt des Departements der Elbmündungen ins französische Kaiserreich eingegliedert. An der Elbe hat nun Marschall Louis Nicolas Davout das Sagen. Der Code Civil stellt alle Bürger gleich und ersetzt das Hamburger Stadtrecht, ein Munizipalrat löst die Bürgerschaft ab. Neben der Einrichtung von Behörden nach französischem Vorbild verlangen die neuen Herrscher viele Steuerabgaben, die vor allem die unteren Bevölkerungsschichten treffen.

Departement der Elbmündungen

Das Departement der Elbmündungen gehörte ab dem 1. Januar 1811 zum französischen Kaiserreich. Es umfasste die vier Arrondissements Hamburg, Lübeck, Lüneburg und Stade. Hamburg war unterteilt in sechs städtische und drei ländliche Kantone. Zum Generalgouverneur des Departements ernannte Napoleon Marschall Louis-Nicolas Davout.

Eine Brücke verbindet Hamburg mit Harburg

Französische Soldaten auf einer hölzernen Brücke bei Hamburg 1813. © Stubbe da Luz, Scheiblich Foto: Reinhard Scheiblich
Um Hamburg mit Harburg zu verbinden, bauen die Franzosen eine Brücke über die Elbe.

Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts größtenteils geschleiften Wälle Hamburgs werden im Herbst 1813 von Hamburger Zwangsarbeitern wieder aufgebaut. Zudem lassen die Franzosen eine Brücke von Hamburg über die Elbinsel Wilhelmsburg bis zur Festung Harburg bauen. Sie soll Bestandteil der geplanten Reichsstraße Paris-Wesel-Hamburg-Lübeck werden. Dieser Bohlenweg auf Stelzen ersetzt allerdings noch nicht die Fähren über die Norder- und Süderelbe.

Huftritte und Gewieher in den Kirchen

Alle Kirchen außer St. Michaelis sowie die Börse werden in Magazine und Pferdeställe umgewandelt. Davout lässt Vorräte aus dem Umland für seine Leute in die Stadt schaffen. Die Hamburger Bevölkerung verpflichtet er, sich mit Nahrungsmittelvorräten für sechs Monate einzudecken. Für viele ist das unmöglich, sie leben kaum von der Hand in den Mund.

Mehr als 30.000 Menschen werden vertrieben

Menschen bei Nacht in der St. Petri Kirche in Hamburg © Stubbe da Luz, Scheiblich Foto: Reinhard Scheiblich
In der Weihnachtsnacht 1813 harren Menschen in der St. Petri-Kirche aus, bevor sie am Morgen ausgewiesen werden.

Doch die Besatzer halten sich strikt an ihre Vorgaben. Ab Mitte Dezember 1813 halten sie die Stadttore geschlossen. Lediglich um die Mittagsstunden stehen die Tore offen, um den "Unverproviantierten" den Auszug zu ermöglichen. Wer nicht freiwillig geht, wird zum Verlassen der Stadt gezwungen. Insgesamt müssen mehr als 30.000 "überflüssige Esser" - das ist knapp ein Viertel der damaligen Bevölkerung - Hamburg verlassen, ein Großteil davon über die Weihnachtstage. Am 24. Dezember gehen über 6.000 Menschen, am 27. sind es knapp 2.500, am 31. etwa 1.200. Bis Ende März dauert die Vertreibung der Stadtbewohner an.

In der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember holen französische Soldaten mehrere Tausend arme Stadtbewohner aus ihren Wohnungen. Sie verbringen die Nacht in der St. Petri-Kirche, bevor sie am Morgen bei strenger Kälte ausgewiesen werden. Die meisten schlagen den Weg ins benachbarte Altona ein, das zum mit Napoleon verbündeten Dänemark gehört. Auf dem Weg dorthin sterben allein 1.138 Menschen an Kälte und Unterernährung.

Gezielte "Demolierung" der Vororte

Während des gesamten Winters fallen Vororte wie Hamm der Schaffung eines freien Schussfeldes zum Opfer. Auch auf dem Hamburger Berg (heute St. Pauli), in Eimsbüttel, Rotherbaum, Bergedorf, Marmstorf und anderen Vororten kommt es im Winter 1813/14 zur "Demolierung", wie zeitgenössische Schriften berichten. Noch Ende März 1814 brennen die Besatzer die südlich Hamburgs gelegenen Dörfer Marmstorf und Appelbüttel nieder. Die französischen Okkupanten wollen dort Lebensmittel erbeuten und alliierte Stellungen angreifen. Den heimatlos gewordenen Dorfbewohnern bleibt nichts anderes übrig, als ins Umland zu ziehen. Viele finden in Altona, Lübeck und Bremen eine Bleibe.

Zeittafel zur Franzosenzeit

Franzosen ziehen im Mai 1814 ab

Am 30. Mai 1814 jedoch endet die Franzosenzeit in Hamburg. Die französischen Streitkräfte sind zu diesem Zeitpunkt arg dezimiert, weil alliierte Einheiten einen Belagerungsring rund um die Stadt geschlossen haben. Davout zieht mit seinen Soldaten ab. Er übergibt die Stadt dem Anführer der russischen Truppen, General Levin August von Bennigsen. Die einen Tag später einrückenden Russen werden von der Bevölkerung als Befreier gefeiert. Sie bleiben bis zum 15. Januar 1815.

Die Belagerung durch die Franzosen und die damit verbundenen Leiden haben Hamburg und seine Einwohner schwer getroffen. Von 130.000 Einwohnern im Jahr 1800 sind 1814 nur noch 100.000 übrig. 1815 garantiert der Wiener Kongress die Souveränität Hamburgs. Die Stadt tritt dem Deutschen Bund bei und nennt sich seit Ende 1819 Freie und Hansestadt.

Franzosenzeit als Fluch oder Chance?

Vor allem die Ärmeren haben während der Belagerung unter Arbeitslosigkeit und Hunger gelitten. Daher, so der Hamburger Historiker Helmut Stubbe da Luz, "entwickelte sich eine franzosenfeindliche Stimmung vor allem an der Basis der Gesellschaft". Ohne die qualvolle Belagerung hätten allerlei Neuerungen, die sich uns heute als Modernisierung darstellten, in Hamburg weiterhin Bestand gehabt. Doch stattdessen werden sie abgeschafft. Der Code Civil und die damit verbundene juristische Gleichstellung aller Bürger müssen der alten Ständeordnung weichen, ebenso die sehr effiziente Organisation der Verwaltung unter den Franzosen. Ähnlich sieht es im Bereich der Infrastruktur aus. Der auch im zivilen Bereich überaus nützliche Bohlenweg von Hamburg nach Harburg wird abgerissen; von den Franzosen gebaute Straßen pflegen die Hamburger nicht im erforderlichen Maß. So werden viele Neuerungen und Reformen aus der Franzosenzeit in Hamburg erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen.

Hamburger Gedenksteine
Ein Denkmal mit alten Kanonenkugeln vor einem Gebäude © NDR.de Foto: Janine Kühl

Spuren der Franzosenzeit in Hamburg

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 05.05.2017 | 19:30 Uhr

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