Das Buchcover des Buches "Bauern Bonzen Bomben" von Hans Fallada. © picture alliance / akg Foto: akg-images

1. August 1929: Der "schwarze Donnerstag" in Neumünster

Stand: 01.08.2024 00:00 Uhr

Die Landwirte rebellierten, weil die Preise im Keller und die Zinsen und Steuern zu hoch waren. Heute vor 95 Jahren demonstrierten etwa 3.000 Landwirte in Neumünster. Die Polizei griff ein, Blut floss.

von Werner Junge

Das Jahr 1929. Seit fast zwölf Monaten rumort es in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Die Landwirte rebellieren. Schlechte Ernten, Importweizen überschwemmt den Markt, die Preise sind im Keller, die Zinsen und Steuern hoch. Die Weimarer Republik kommt den Bauern nicht entgegen. Im Gegenteil: Es wird hart durchgegriffen und versucht, Schulden zur Not mit der Hilfe der Polizei einzutreiben. Am 1. August 1929 entlädt sich der Protest erneut in einer Demonstration. Etwa 3.000 Landwirte marschieren durch Neumünster. Vorneweg - an einer Stange mit senkrecht angebrachter Sense - trägt Walter Muthmann eine schwarze Flagge mit weißem Pflug und rotem Schwert: das Symbol der neuen Landvolkbewegung. Dieses Symbol will die Polizei nicht sehen. Mit gezogenem Säbel drängen die grün uniformierten Polizisten in den Protestzug. Es kommt zum Handgemenge, Blut fließt, am Ende ist die schwarze Flagge in der Hand der Polizei. Der Tag geht als "schwarzer Donnerstag" in die Neumünsteraner Stadtgeschichte ein.

Folge: Neumünster wird boykottiert

Die gewaltsame Beschlagnahme der Landvolkflagge hat Folgen. Die Bauern aus dem Umland boykottieren Neumünster. Märkte fallen aus, Lebensmittel werden nicht geliefert, das Notwendige nicht mehr in der Schwalestadt gekauft. Ein schwerer Schlag für die rund 40.000 Neumünsteraner. Die Leder- und Tuchindustrie liegen danieder. Nach dieser Krise kommt die Weltwirtschaftskrise und dann der Boykott. Erst nach 16 Monaten gibt der Bürgermeister auf. Im November 1930 wird die Fahne in einem feierlichen Akt an die Landvolkbewegung zurückgegeben.

Eine Bewegung ohne Strukturen

Die Landvolkbewegung hat es so nur in Schleswig-Holstein gegeben. In bewusster Opposition zu den eigenen überbrachten bäuerlichen Verbänden hat sie keine Organisationsstruktur entwickelt. Dafür gibt es damals zwei Führungsfiguren. Das ist zum einen der Eiderstedter Wilhelm Hamkens. Er sitzht bis zum "schwarzen Donnerstag" in Neumünster im Gefängnis. Um ihn in der Boostedter Straße abzuholen, hat sich der Demonstrationszug formiert. Die andere Leitfigur ist der Norderdithmarscher Claus Heim.

Im Januar 1928 hat Deutschland zum ersten Mal die Landvolkbewegung wahrgenommen. In den 20 Kreisstädten der preußischen Provinz Schleswig-Holstein demonstrieren zusammen 140.000 Landwirte gegen das "System". Hamkens und Heim gehen unterschiedliche Wege. Heim steht hinter zahlreichen Bomben, die seit dem Mai 1929 unter anderem vor Landratsämtern explodieren. Wie durch ein Wunder verursachen sie lediglich erhebliche Sachschäden.

Porträt
Porträt des Schriftstellers Hans Fallada © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images

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Zeitzeuge Rudolf W. F. Dietzen

Als "Hilfsredakteur" beobachtet Rudolf Wilhelm Friedrich Dietzen den "schwarzen Donnerstag". Auch bei den daraus folgenden Prozessen ist er dabei. 1931 verarbeitet er das Miterlebte in dem Roman "Bauern, Bonzen und Bomben". Für den als Hans Fallada schreibenden Autor wird dieses Buch zum Durchbruch. Auch wenn Neumünster als "Altmark" bezeichnet wird und Hamkens und andere Beteiligte neue Namen bekommen, gibt der Roman ein sehr präzises Zeitbild über das Ende der Weimarer Republik in Schleswig-Holstein und die "Landvolkbewegung".

Landvolk und die Nationalsozialisten

Der gelernte Historiker und spätere Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg stellt in seiner Untersuchung zu den Strömungen im schleswig-holsteinischen Landvolk zwischen 1918 und 1933 fest, das Wahlverhalten im Norden sei auffällig gegen den Trend in Deutschland gewesen. So wählt kurz nach dem Ersten Weltkrieg die Provinz Rot, zum Ende der Weimarer Republik kippt das Wahlverhalten genau ins Gegenteil. Schon von 1929 an fährt die NSDAP vor allem auch in den Hochgebieten der Landvolkbewegung ihre besten Ergebnisse ein. Es gibt zwischen den Nationalsozialisten und der Landvolkbewegung auch Berührungen. Gauleiter Hinrich Lohse versucht, alles so zu steuern, dass es klare Grenzen zur Landvolkbewegung gibt. Claus Heim - eigentlich nach den Bombenattentaten zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt - kommt schon 1932 frei. Er bleibt seinen Idealen treu, wahrt aber zu den Nationalsozialisten und ihrer Ideologie bewusst Distanz.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 01.08.2019 | 21:20 Uhr

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