Moorbrand bei Meppen: Bundeswehr löst 2018 Großfeuer aus
Zehn Quadratkilometer Moor brennen Anfang September 2018 nach Raketentests der Bundeswehr in Niedersachsen. Tausende Helfer sind im Emsland bei Meppen im Einsatz. Der Schaden ist immens - ebenso die Kosten.
Die Rauchsäule ist sogar aus dem All zu sehen. Satellitenbilder des Deutschen Wetterdienstes zeigen, wie dunkle Wolken aus dem Emsland Richtung Nordosten ziehen. Im mehr als hundert Kilometer entfernten Bremen ist die Sicht zeitweise trüb, der Brandgeruch liegt selbst 200 Kilometer weiter in Hamburg in der Luft. Die Leitstellen in der Region nehmen Mitte September 2018 zahlreiche Anrufe beunruhigter Menschen entgegen. Doch die Ursache für ihre Sorge liegt viele Tage und Kilometer zurück.
Moorbrand bei Meppen breitet sich weitreichend aus
Seit dem 3. September brennt nahe Meppen der Moorboden. Auf dem Testgelände der Wehrtechnischen Dienststelle 91, kurz WTD 91, erprobt die Bundeswehr seit mehreren Tagen Waffen. Ein "Tiger"-Kampfhubschrauber feuert 74 Luft-Boden-Raketen in dem Gebiet ab. Dabei fängt der Torf Feuer. Die hauseigene Feuerwehr ist mit mehreren Fahrzeugen im Einsatz, darunter einer geländetauglichen Löschraupe. Über Nacht unterbrechen die Kräfte aus Sicherheitsgründen die Arbeit - denn das Testgelände ist unwegsam und gespickt mit Munitionsresten. Der "Oberflächenbrand" scheint unter Kontrolle, wie aus einer Chronologie des Verteidigungsministeriums hervorgeht. Am nächsten Tag springt von der Löschraupe eine Kette ab - und die zweite ist in der Werkstatt. Währenddessen schwelt es im Boden weiter, Glutnester breiten sich über das Naturschutzgebiet "Tinner Dose-Sprakeler Heide" aus. Bald brennt es auf zehn Quadratkilometern Fläche und bis zu 60 Zentimeter tief in der Erde.
Tausende Helfer am Boden, Hubschrauber und Tornados in der Luft
Zeitweise sind bis zu 1.700 Helferinnen und Helfer von Bundeswehr, Feuerwehren, Technischem Hilfswerk (THW), Polizei sowie Landwirte vor Ort im Einsatz. Rettungsdienste versorgen mithilfe von Anwohnerinnen und Anwohnern die Einsatzkräfte. Die Löscharbeiten gestalten sich kompliziert. Die Feuerwehrleute dürfen das Moor wegen der Explosionsgefahr nicht betreten. Aus der Luft lässt sich das Feuer nur oberflächlich bekämpfen, denn das von Löschhubschraubern abgeworfene Wasser dringt kaum bis zu den unterirdischen Glutnestern vor. Tornado-Jets fliegen deshalb über das Gebiet, um mit Wärmebildkameras Aufnahmen zu machen. Die Einsatzkräfte legen derweil Schlauchleitungen, durch die unter anderem Wasser aus Ems und Radde ins Moor gepumpt wird.
Ausnahmezustand in Stavern: Muss evakuiert werden?
Die Menschen in der Umgebung - und teilweise in Bremen und Oldenburg - werden wegen des anhaltenden Qualms von den Behörden aufgefordert, Türen und Fenster geschlossen zu halten. Der Landkreis Emsland ruft zeitweise den Katastrophenfall aus, Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinden Groß Stavern und Klein Stavern müssen sich darauf vorbereiten, ihr Zuhause zu verlassen. Rettungsdienste bereiten Notunterkünfte vor. Nach knapp einer Woche gibt die Verwaltung Entwarnung. Der Brand ist so weit unter Kontrolle, dass keine Evakuierung nötig ist.
Moorbrand-Ende im Oktober: Helfer ziehen ab, Fragen bleiben
Am 10. Oktober ist der Moorbrand gelöscht. Mithilfe von Drohnen beobachtet die Bundeswehr weiterhin das Gebiet. Die Hilfskräfte können abbauen und in ihren Alltag zurückkehren. Insgesamt sind in den fünf Wochen des Brandes mehr als 11.000 Helferinnen und Helfer im Emsland im Einsatz, die später vom Verteidigungsministerium als Zeichen der Anerkennung und für ihren gemeinsamen Einsatz eine Moorbrand-Plakette erhalten. Mit der Abfahrt der letzten THW- und Rote-Kreuz-Fahrzeuge ist der Moorbrand jedoch nicht zu den Akten gelegt. Nun geht es darum, zu klären: Wer trägt die Verantwortung für das Feuer? Welche Schäden hat es hinterlassen? Und wer bezahlt Großeinsatz, Pflege der verbrannten Flächen und andere Folgekosten?
Kritik an Bundeswehr: Raketentests trotz Trockenheit
Über Wochen häuft sich die Kritik an der Bundeswehr. Zum einen beklagen Behörden, Einsatzkräfte und Anwohnende die zögerliche Kommunikation nach Ausbruch des Moorbrands. Zum anderen fordern sie Aufklärung. Weshalb testet das Militär trotz Trockenheit und Hitze Raketen? "Jeder andere, der im Moor bei einer solchen Gefahrenlage aufgrund extremer Trockenheit zündelt oder auch nur eine Zigarettenkippe wegwirft, müsste sich strafrechtlich verantworten", sagt etwa der grüne Landtagsabgeordnete Christian Meyer. Aus Sicht der Bundeswehr waren an jenem Tag alle Bedingungen für einen Raketentest erfüllt. Der stellvertretende Leiter der WTD 91, Thomás Malyuß, sagt im NDR Interview, dass es bei weiter anhaltender Trockenheit vermutlich auch ohne Tests gebrannt hätte. Später räumt das Verteidigungsministerium in einem Bericht unter anderem "Defizite in den Bereichen Material, Organisation, Vorbereitung und Ausbildung mit Blick auf Großschadenereignisse", Fehleinschätzungen bei der Entwicklung des Moorbrandes, "Ausfall und Beschädigung von Feuerlöschgerät und nicht ausreichend vorhandenes Ersatzmaterial" ein.
Einsatz und Schäden kosten Bundeswehr Millionen Euro
Die Kosten durch den Moorbrand veranschlagt die Bundeswehr zunächst auf rund 16,5 Millionen Euro. Darin sind unter anderem sieben Millionen Euro für die Amtshilfe von Landkreisen, Kommunen, THW, Deutsches Rotes Kreuz und Polizei enthalten. Hinzu kommen rund 630.000 Euro Schadenersatz für Privatpersonen, bei denen etwa Solaranlagen durch Rauch verdreckt wurden, und Landwirte, deren Äcker bei den Löscharbeiten beschädigt wurden. Zudem signalisiert die Bundeswehr, die Kosten für die Helferinnen und Helfer, die wegen des Katastrophenfalls im Einsatz waren, zu übernehmen. Diese müsste andernfalls das Land beziehungsweise der Landkreis zahlen.
637.000 Tonnen Treibhausgase: Kreis fordert Geld für Ausgleich
Den größten Schaden durch den Brand nimmt die Natur. Neben den offenkundigen Schäden am Moor setzt das Feuer Kohlendioxid (CO2) frei. "Da haben wir jetzt für Jahre schon mal unsere Klimaziele verpasst", resümiert die damalige Leiterin des Naturschutzbundes (NABU) Emsland/Grafschaft Bentheim, Jutta Over. Die Bundesregierung gibt die sogenannten CO2-Äquivalente - die Menge aller ausgestoßenen Treibhausgase umgerechnet auf die Schädlichkeit von CO2 - in einem Bericht an das Klimasekretariat der Vereinten Nationen mit 637.000 Tonnen an. Zum Vergleich: Haushalte und Verkehr im Landkreis Emsland haben im gesamten Jahr 2017 jeweils rund eine Millionen Tonnen emittiert. Für die zusätzliche CO2-Belastung wegen des Feuers fordert der Landkreis seither einen finanziellen Ausgleich von Bundeswehr beziehungsweise Bundesregierung. Er verweist auf ein Versprechen der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) während ihres Besuchs im Herbst 2018. Der Bund aber lehnt eine Kompensation mit Verweis auf eine fehlende Rechtsgrundlage ab. Laut Landesregierung geht es um etwa 25 Millionen Euro.
Zerstörtes Ökosystem: Bundeswehr will Moor beleben
Die verbrannten Moorflächen und das zerstörte Ökosystem will die Bundeswehr mithilfe eines dreiteiligen Konzepts wieder beleben. Nach dem Feuer werden dafür in einem ersten Schritt die sogenannten Notschotterwege abgetragen. Langfristig sollen Landschaftspflege - zu der etwa das Roden junger Birken und Pappeln mithilfe neuer Spezialfahrzeuge gehört - und Wiedervernässung helfen, den Lebensraum für Pflanzen und Tiere bewohnbar zu machen. Wie lange es dauert, bis sich das Moor regeneriert, ist Experten zufolge unklar.
Wer muss sich verantworten? Juristische Aufarbeitung dauert
Wer letztlich für den schweren Moorbrand verantwortlich ist, steht - zumindest aus juristischer Sicht - nicht fest. Im Dezember 2021 erhebt die Staatsanwaltschaft Osnabrück zwar Anklage gegen drei Mitarbeiter der WTD 91 wegen fahrlässiger Brandstiftung. Doch weil das Landgericht wegen zahlreicher Nachfragen noch kein Hauptverfahren eröffnet hat, gibt es vorerst weder Details zu den Vorwürfen bekannt noch ist klar, ob oder wann ein Prozess beginnen könnte. Die Anwälte der Beschuldigten weisen die Verantwortung ihrer Mandanten im Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" zurück. "Von Relevanz scheint eher die Fragestellung zu sein, warum Personaldecke und Ausstattung der Bundeswehr-Feuerwehr zur Brandbekämpfung nicht ausreichend waren und es bis heute offenbar weiterhin nicht sind", sagt ein Verteidiger der Zeitung.
Bilanz des Moorbrands: Einige Fragen weiter unbeantwortet
Vier Jahre nach dem Moorbrand bei Meppen sind immer noch wichtige Fragen nicht beantwortet - etwa die nach den Verantwortlichen. Zudem ist offen, wie viel Geld der Brand mit all seinen Konsequenzen kostet und wer dafür zahlt. Und nicht zuletzt: Welche Schäden hat das Feuer langfristig auf den zehn Quadratkilometern Moor hinterlassen? Aus Sicht von Experten wie Jan Peters vom Greifswald Moor Centrum (GMC) "kann es Jahrzehnte dauern, bis auf der abgebrannten Fläche überhaupt wieder etwas wächst".