Jahrhunderthochwasser überflutet 1946 Hannover
Anfang Februar 1946 wird es nach einem strengen Winter überraschend schnell warm. Der Schnee schmilzt und es beginnt heftig zu regnen. Es folgt das schlimmste Hochwasser in der Geschichte Hannovers.
Zwei Jungen aus dem Stadtteil Ricklingen gehören vor 75 Jahren zu den Ersten, die das rasant ansteigende Wasser bemerken. Alfred Hagemann und Klaus Wolandewitsch wohnen gleich hinter der Leinemasch und machen sich seit Tagen einen Spaß daraus, den Menschen im Stadtteil den aktuellen Wasserstand mitzuteilen. Am 9. Februar 1946 ist jedoch etwas anders als sonst.
"Wasser lief uns hinterher"
Der inzwischen 84-jährige Hagemann erinnert sich gut: "Aus den Gullys spritzte überall das Wasser, die Nachbarn standen kniehoch darin", erzählte er dem NDR im Jahr 2016. "Das Wasser kam uns schon vor den ersten Häusern entgegen", sagte Wolandewitsch , der mittlerweile verstorben ist. "Wir bekamen Angst und liefen zurück und das Wasser ist uns praktisch hinterhergelaufen bis zu unserem Haus."
Akten versinken in lehmigem Leinewasser
In der provisorischen Dienstwohnung des Staatsarchivs flieht indessen Magazinverwalter August Bertram mit seiner Familie samt Federbetten ins obere Stockwerk. Innerhalb einer Stunde steigt das Wasser im Staatsarchiv von 1,50 auf 2,20 Meter. Ohne Strom, Heizung und Verpflegung sitzt die Familie dort drei Tage fest. Niemand hört ihre Hilferufe. Der Magazinverwalter muss zudem mit ansehen, wie seine Akten im lehmigen Leinewasser untergehen.
"Wir haben einzigartige Urkunden verloren"
"Es war eine Tragödie. Erst hatten zwei Bombentreffer einen Teil des Hauses zerstört und dann kam auch noch das Hochwasser. Wir haben einzigartige Urkunden und Handschriften verloren", sagte Sabine Graf, Leiterin des Landesarchivs, in einem NDR Interview 2016. Der Verlust ist umso tragischer, da die überfluteten Akten nur provisorisch im Erdgeschoss standen. Sie waren während des Zweiten Weltkriegs ausgelagert worden. Die britischen Besatzungsmächte hatten die Zeitdokumente aus dem 19. Jahrhundert gerade wieder ins Archiv zurückgebracht. Da das Staatsarchiv teilweise zerbombt war, wurden die wertvollen Akten wegen Platzmangels einfach im Erdgeschoss abgestellt.
Hartem Winter folgt Hochwasser
Wie konnte ein solch schlimmes Hochwasser die Stadt so überraschen? Die Hannoveraner hatten gerade einen der härtesten Winter mit strengem Frost und viel Schnee im Harz hinter sich. Anfang Februar 1946 wurde es plötzlich warm, der Schnee schmolz und es regnete tagelang heftig. Die Flutwelle setzte sich in Gang. Der Wettermeldedienst, bis zum Ende des Kriegs von der Luftwaffe betrieben, war von den Alliierten aufgelöst worden. Der Hochwasserwarndienst funktionierte ebenfalls nicht. Die Hannoveraner waren ahnungslos.
Fahrgäste retten sich auf Bahndach
Der damals 17-jährige Dieter Tasch aus Hannover erinnert sich, wie damals eine Stadtbahn am Goetheplatz stecken blieb. "Das Wasser stieg so schnell, dass die Fahrgäste und die beiden Schaffner nicht mehr durch das eiskalte Wasser flüchten konnten. Sie stiegen alle aufs Dach und mussten die ganze Nacht dort ausharren. Erst am nächsten Tag wurden sie gerettet", sagte Tasch 2016 in einem Gespräch mit dem NDR.
Kein Strom und keine Vorräte
Menschen zu retten ist schwierig in diesen unübersichtlichen Nachkriegszeiten. Das Polizeipräsidium und Feuerwehrstationen sind ebenfalls überflutet. Zehntausende Menschen sitzen in den oberen Stockwerken von Häusern fest, ohne Strom und Heizung, die Toiletten außer Betrieb. Nur die wenigsten haben in diesen schweren Nachkriegszeiten Vorräte im Haus.
Britische Armee rettet Akten
Am 12. Februar zieht sich das Wasser endlich zurück. Der Magazinverwalter des Staatsarchivs und seine Familie sehen jetzt das Ausmaß der Zerstörung. Die Archivmitarbeiter stellen Kokskörbe auf und versuchen, die einzigartigen historischen Dokumente zu trocknen. Aber es ist hoffnungslos. Als ein Mitarbeiter des Archivs einem britischen Major erzählt, dass auch die britische Geschichte betroffen sei, weil es sich um Akten aus der Zeit der Personalunion handele, lässt der britische Offizier zwölf Kriegsgefangene und zwei Lkw holen und so viele Kisten wie möglich packen. Die Briten bringen die Akten ins Celler Schloss zum Trocknen.
Schäden bleiben - bis heute
Viele dieser hochwassergeschädigten Akten gibt es heute noch. "Viele Historiker warten darauf, endlich einen Blick in diese Akten zu werfen. Ohne diese Akten fehlt uns die Geschichte zwischen 1800 und 1815, ein ganz wichtiger Teil der Landesgeschichte", so Archivleiterin Graf.