"Aktion Reinhardt": Hamburger Polizei verübt Massaker von Józefów
Im Rahmen der "Aktion Reinhardt" erschießt das Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 am 13. Juli 1942 im polnischen Józefów mindestens 1.500 Juden. Zigtausend weitere Opfer sollen folgen. Die Täter hätten eine Wahl gehabt.
Rund 500 Hamburger Polizisten sind am frühen Morgen des 13. Juli 1942 im polnischen Józefów bei Lublin angetreten. Dort verkündet ihnen Major Wilhelm Trapp den Einsatzbefehl: Sie sollen die 1.800 Juden des Ortes zusammentreiben, die arbeitsfähigen Männer abtransportieren - die älteren aber sowie Frauen und Kinder sollen sie erschießen.
Major Wilhelm Trapp gibt den Mordbefehl unter Tränen
Der 53-jährige Kommandeur des Reserve-Polizeibataillons 101 kämpft anscheinend mit den Tränen. So sagen es einige seiner Männer in den späteren Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft aus. Trapp nennt die Aufgabe "furchtbar unangenehm" und "höchst bedauerlich". Aber der Befehl komme von "ganz oben". Seine Männer sollten einfach an die Bombenangriffe der Alliierten auf deutsche Frauen und Kinder denken.
Teilnahme an der Erschießung ist freiwillig
Die meisten Reservisten sind entsetzt. Zwar waren manche bereits an Deportationen der jüdischen Bevölkerung in Hamburg beteiligt. Aber als sie vor drei Wochen am Bahnhof Sternschanze in den Zug nach Polen gestiegen sind, haben sie nur mit Wachdiensten gerechnet. Doch Trapp macht den Männern ein überraschendes Angebot: Wer von den Älteren sich der Aufgabe nicht gewachsen fühle, dürfe beiseite treten.
Die Ausführenden sind zum Gehorsam erzogen
Es bleibt still in Józefów. Die Männer zögern. Viele sind Familienväter. Noch vor Kurzem haben sie in zivilen Berufen gearbeitet, als Hafenarbeiter, Seeleute, Lastwagenfahrer, als Kellner, Friseure oder Gärtner. Doch sie sind auch im Untertanen-Geist des Kaiserreichs erzogen worden, haben gelernt, Befehlen zu gehorchen. Viele sind sicher auch von der NS-Propaganda beeinflusst, die bereits seit Jahren die Juden als "minderwertige Schädlinge" brandmarkt - von der Ausgrenzung und Diskriminierung bis hin zur Entrechtung.
Nur wenige weigern sich, zu töten
Deshalb meldet sich auf Trapps Angebot zunächst auch nur ein Mann, dann zehn oder zwölf weitere, die genaue Zahl ist nicht bekannt. Sie dürfen die Waffen ablegen. Die anderen Polizisten umstellen den kleinen Ort mit seinen weißen, strohgedeckten Häusern. Sie durchsuchen das jüdische Viertel und treiben die Bevölkerung zum Marktplatz. Etwa 300 Männer werden ins Arbeitslager gebracht, die übrigen 1.500 Menschen nach und nach auf Lastwagen in einen nahegelegenen Wald gefahren und erschossen.
Morden unter Effiezienzgesichtspunkten
Immer wieder diskutieren die Offiziere um Major Trapp, wie sie das Töten, das ihnen zu langsam vorangeht, effizienter organisieren können. Bis zum Abend arbeiten die Erschießungskommandos. Nur wenige Polizisten entziehen sich dem Morden, verzögern die Hausdurchsuchungen absichtlich, verstecken sich vor ihren Offizieren oder bitten, zum Wachdienst am Marktplatz eingeteilt zu werden.
Die anderen arbeiten willig, auch dann noch, als längst klar ist, dass den Verweigerern tatsächlich nichts passiert. Am Abend werden die Toten einfach im Wald zurückgelassen, ihre Habseligkeiten auf dem Marktplatz verbrannt. Dann fahren die Polizisten in ihre Unterkünfte zurück.
Das Hamburger Polizeibataillon 101 und der Holocaust
Die Erschießung der 1.500 Menschen in Józefów Mitte Juli 1942 ist Teil der "Aktion Reinhardt", der systematischen Ermordung von Juden und Roma im Generalgouvernement - dem besetzten Teil Polens, den das Deutsche Reich nicht annektiert hat. Bis Ende 1942 töten SS- und Polizeitruppen mehr als 1,3 Millionen Juden, vor allem in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka, aber auch bei Deportationen und Aktionen wie in Józefów.
Für das Reserve-Polizeibataillon 101 ist das Massaker vom 13. Juli 1942 nur der Anfang. In der Folgezeit sind die Hamburger Polizisten an zahlreichen weiteren Morden beteiligt, auch über die "Aktion Reinhardt" hinaus. Bis Oktober 1943 erschießen sie mindestens 38.000 Menschen und deportieren mehr als 45.000 in die Vernichtungslager. Nach dem Krieg kehren viele der Täter nach Hamburg zurück und arbeiten wieder in ihren zivilen Berufen. Einige werden sogar in den Polizeidienst übernommen.
Die juristische Verfolgung beginnt spät
Erst Anfang der 1960er-Jahre werden die Verbrechen bekannt. Nach Hinweisen der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, die auch heute noch tätig ist, setzt die Hamburger Polizei eine Sonderkommission ein. Deren Beamte befragen bis 1967 mehr als 200 ehemalige Bataillonsangehörige.
Um überhaupt Aussicht auf Bewältigung eines so umfangreichen Verfahrens zu haben, grenzen sie die Suche nach Tätern auf die Offiziere ein. Einfache Polizisten behandeln sie zumeist als Zeugen, die Befehle ausführen mussten, um das eigene Leben nicht zu gefährden. Von Major Trapps Angebot am Morgen des 13. Juli 1942, das diese Zwangslage aufgehoben hatte, wissen sie da noch nichts. Es wird erst während der Untersuchungen bekannt.
Die Beamten ermitteln jahrelang
Die Beamten, die von manchen Kollegen als "Verräter" und "Nestbeschmutzer" geschmäht werden, tragen in großem Umfang Informationen über die Verbrechen der Hamburger Polizeitruppe zusammen. Sie recherchieren im Laufe der Jahre die Namen aller Bataillonsangehörigen und die Taten, an denen sie in Polen beteiligt waren. Im Oktober 1967 werden schließlich 14 Polizisten, vor allem ehemalige Kompanie- und Zugführer, wegen Beihilfe zum Mord angeklagt und im Jahr darauf fünf von ihnen verurteilt.
Erfolg trotz niedriger Strafen
Die Haftstrafen fallen mit höchstens acht Jahren wesentlich niedriger aus als von der Staatsanwaltschaft gefordert. Sie werden später sogar noch einmal reduziert. Auch müssen nicht alle Verurteilten ihre Strafe antreten. Das Gericht hat wie damals üblich ihre angebliche Machtlosigkeit in der "Maschinerie der Endlösung" angenommen. Zudem hat Trapps Angebot in Józefów keine strafverschärfende Rolle gespielt. Denn es konnte nicht bewiesen werden, dass alle Angeklagten davon gewusst hatten.
Dennoch gilt das Verfahren als einer der seltenen Erfolge in der juristischen Aufarbeitung der Taten von NS-Polizeibataillonen - auch wegen der zahlreichen Fakten, die die Ermittler zusammengetragen haben. Heute dokumentiert die Hamburger Polizei die Verbrechen in ihrem historischen Museum. 2016 hat sie im südostpolnischen Józefów zudem die Errichtung eines Gedenksteins initiiert.
Innensenator und Staatsrätin zum Gedenken in Józefów
Dort wurde am Mittwoch der Opfer des Massakers durch das Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 gedacht - erstmals auch in Anwesenheit eines Hamburger Innensenators. Seit zwei Jahrzehnten fahren junge Hamburger Polizisten und Polizistinnen nach Józefów, um der dortigen Holocaust-Opfer zu gedenken. Innensenator Andy Grote (SPD) und die für auswärtige Angelegenheiten zuständige Staatsrätin Almut Möller legten gemeinsam mit Angehörigen von Opfern und Vertretern der Stadt einen Kranz im Wald nieder - dort, wo vor 80 Jahren die rund 1.500 jüdischen Kinder, Frauen und Männer erschossen worden waren.
Zu der Gedenkfeier vor der ehemaligen Synagoge der Kleinstadt kamen auch Angehörige von Opfern aus Israel und New York. "Diese Reise ist eine harte und schmerzhafte Konfrontation mit dem Ausmaß an Unmenschlichkeit, zu dem Menschen fähig sind", sagte Grote. "Dass junge Polizistinnen und Polizisten seit mehr als 20 Jahren hierher kommen, macht sie stärker und immuner gegen jede Form von Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit."