Wimbledon 1991: Stichs Triumph für die Ewigkeit
Ein Sieg auf dem heiligen Rasen von Wimbledon - davon träumt jeder Tennis-Profi. Für Michael Stich ging er 1991 in Erfüllung. Der Pinneberger gewann das Endspiel gegen seinen großen Konkurrenten Boris Becker.
Alles, was Michael Stich im ersten Moment nach seinem größten Triumph hervorbrachte, war ein spitzer Schrei. Der lange Schlaks aus Pinneberg ging in die Knie. Unter ihm der heilige Rasen von Wimbledon, über ihm nur noch der Himmel. Vor gut 25 Jahren, am 7. Juli 1991, erklomm der damals 22-jährige Stich den Tennis-Olymp und gewann das bedeutendste Turnier der Welt. Im Finale stand dem ebenso begnadeten wie stillen Norddeutschen ausgerechnet die Lichtgestalt des deutschen Tennis gegenüber - Boris Becker. Doch der Leimener, der den Center Court an der Church Road stets als sein "Wohnzimmer" bezeichnete, hatte an diesem Tag keine Chance. Mit 6:4, 7:6 (7:4), 6:4 feierte Stich einen verdienten Sieg.
"Game, Set, Match Becker"?
Nur ein Mann auf dem ausverkauften Center Court konnte das Erdbeben im deutschen Tennis nicht einordnen. "Game, Set, Match Becker", sprach Schiedsrichter John Bryson. Der Irrtum passte irgendwie zu Stichs Karriere. Sogar auf dem höchsten Gipfel stand der Norddeutsche ein wenig im Schatten des Publikumslieblings Becker. Der rotblonde Leimener war im Finale chancenlos, riss die Zuschauer jedoch auch in seiner bittersten Niederlage von den Sitzen. Dagegen ging Stich ins kollektive Gedächtnis der Tennis-Nation Deutschland weniger als Held, sondern vielmehr als unterkühlter Profi ein.
Gnadenlos effektiv, elegant und völlig cool
Weinerlich flehte der dreimalige Champion Becker den Ball an: "Rüber, rüber!" Es half nichts. Mit gnadenloser Effektivität konterte Stich jeden Angriff und zeigte in seinem ersten Grand-Slam-Finale nicht den Hauch von Nervosität. Bewundernswert, wie der als Halbfinalist der French Open an die Church Road gekommene Norddeutsche returnierte, sich elegant an der Grundlinie bewegte und der einzigartigen Atmosphäre unter den Augen von Prinzessin Diana trotzte. Auf der anderen Seite hechtete Becker wie gewohnt nach aussichtslosen Bällen, kam jedoch ein ums andere Mal zu spät und zerschellte kläglich am Eisblock Stich, der im Halbfinale das Duell gegen den noch cooleren Schweden Stefan Edberg in vier spannenden Sätzen für sich entschieden hatte.
Die Verzweiflung stand Becker Minuten nach der Siegerehrung im ersten Interview ins Gesicht geschrieben. "Ein Match zu viel" sei das Finale gewesen, stammelte er ins Mikrofon des englischen Fernsehens, während Stich ungerührt und geduldig im Hintergrund wartete. Der Sieger bot anschließend eine gestochen scharfe Analyse des historischen Matches in makellosem Englisch - und das im Moment seines größten sportlichen Erfolgs. Die weiblichen Fans im All England Club hätten vor Bewunderung ihre aufwendig drapierten Hüte ziehen müssen, doch anstelle begeisterter Jubelstürme war eher gemurmeltes Mitleid für den Verlierer zu vernehmen.
Stich genießt still seinen Triumph
Dass der Löwenanteil der Aufmerksamkeit Becker - ob Sieger oder Verlierer - zukam, störte Stich nicht. So wie er sich zumindest öffentlich auch Jahre nach dem Wimbledonsieg nie über seinen Status als klare Nummer zwei hinter Volkstribun Becker beklagte. Er genoss still seinen Triumph, das anschließende Champions-Dinner an der Seite von Steffi Graf und wohl auch die Videoaufzeichnung seines Vaters Detlef, der den Camcorder stur auf die Zeremonie unten auf dem Rasen gerichtet hatte.
25 Jahre nach dem historischen Duell, das die große Rivalität der beiden begründete, sind die damaligen Kontrahenten noch auf der großen Tennis-Weltbühne unterwegs. Becker trainierte zuletzt mit großem Erfolg Novak Djokovic, Stich hat als Turnierdirektor am Hamburger Rothenbaum und mit seiner Aids-Stiftung seine Rollen gefunden. Weitab von roten Teppichen, die er auch ein Vierteljahrhundert nach seinem Wimbledon-Triumph immer noch gerne anderen überlässt.