Das Ende der hässlichen Grenze
Der Beobachtungsturm bei Lauenburg war einer der letzten DDR-Grenzposten in Norddeutschland. Am 5. Februar 1991 wurde er abgerissen - 452 Tage war die Mauer damals bereits geöffnet, die DDR seit 125 Tagen Geschichte. "Als der Turm niedergerissen wurde, fuhr anschließend ein Bergungspanzer über die Reststücke, und so sind diese Sperranlagen endlich im Müll verschwunden" erinnert sich Dieter Schmidt, der den Abbruch filmte. "Viele Leute hatten in dem ehemaligen Grenzstreifen auch 1991 noch Angst, dass sie auf eine Mine treten, aber die waren zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise schon entfernt". Für den Zollbetriebsinspektor war es ein Moment der Befreiung. 25 Jahre hatte er an dieser Grenze gearbeitet, die er von beiden Seiten kannte: Als Zehnjähriger war er mit seiner Familie aus der DDR geflohen, einfach mit der S-Bahn aus Berlin in die Bundesrepublik, 1955, als es die Mauer noch nicht gab.
Grenzöffnung: Lieber spät als nie
Drei Tage nach dem Mauerfall in Berlin fiel die Grenze in Mustin. Hier wurde während der Wende die erste zusätzliche Grenzübergangsstelle in Norddeutschland aufgemacht. Dieter Schmidt, Zollinspektor, Filmer und ehemaliger Flüchtling in Personalunion, verfolgte die Ereignisse um Lauenburg mit seiner Kamera. Den eigentlichen Mauerfall am 9. November hatte er geradezu verschlafen: Er lag lesend auf dem Sofa, das Telefon leise gestellt. Erst am nächsten Morgen erfuhr er aus der Zeitung von der Wende: "Wir Norddeutschen sind ja so ein bisschen langsamer, und am 12. November 1989 wurde dann in der Nähe von Ratzeburg die Grenze geöffnet", erzählt er. "An dem Tag hatte ich Tränen in den Augen, die fielen auch nicht auf. Aber ich war natürlich nicht traurig, dass die Grenze gefallen ist, während der Dreharbeiten habe ich erfahren, dass mein Vater gestorben ist".
Auf gute Nachbarschaft
Eine Silvesterüberraschung ist die Öffnung der Grenze zwischen Schlagsdorf (damals DDR) und Wietingsbek, Gemeinde Ziethen: In dem seenreichen und hügeligen Gebiet im Herzogtum Lauenburg prosteten sich die Bürgermeister aus Ost und West am 31. Dezember 1989 zu und öffnen den Grenzzaun. Noch heute tauschen Karl-Horst Salzsäuler und Willi Tönnigs Erinnerungen beim Bier: Bis zuletzt waren sich die beiden nicht sicher, ob das Unfassbare, die Grenzöffnung überhaupt klappen kann: "Für mich war der bewegendste Moment, als wir dort rüber gegangen sind, wir standen an einer Grenze, die Grenze war unpassierbar", erinnert sich Karl-Horst Salzsäuler, auch heute noch Bürgermeister. "Und plötzlich steckt einer den Schlüssel in das Schloss, schließt auf, und der eine kann nach links und der andere nach rechts gehen - das war für mich eigentlich der erhabenste Augenblick in meinem Leben".
Dokument über den Dokumenteur
Bereits 1968 hatte Dieter Schmidt, der heute im Zollmuseum Hamburg arbeitet, seine erste Super 8 Kamera gekauft - um seine Zeit zu dokumentieren und festzuhalten. So war er auch bei dieser Grenzöffnung am Silvestermorgen 1989 dabei. Bis zum heutigen Tag hat er die Ausgabe der Lübecker Nachrichten von damals aufbewahrt: "Nach fast 20 Jahren ist der Artikel schon so ein bisschen vergilbt, da sieht man auf einem Foto, wie die Bürgermeister sich zuprosten, und im Hintergrund bin ich mit meiner Kamera zu sehen, die das dann auch festgehalten hat." Festgehalten hat seine Kamera auch eine junge blonde Frau, die immer wieder auf seinen Aufzeichnungen der Grenzöffnungen in Mustin und Wietingsbek auftaucht. Plötzlich ruft Bürgermeister Salzsäuler aus: "Da, guck mal: Das ist doch Helga Fabinski! - Ja, das ist sie!"
Vor Freude tanzen
Und tatsächlich, fast 20 Jahre später erinnert sich Helga Fabinski, die blonde Frau aus den Aufnahmen Dieter Schmidts, genau an diesen Tag: "Wir haben getanzt auf der Straße, wir haben einfach vor Freude getanzt. Man hörte von weitem die Musik, und dann sah man in der Ferne die Menschen auf uns zukommen. Die fielen sich in die Arme, das war für mich ganz schön heftig. Freude und vergangenes Leid eigentlich miteinander". Selbst Jahrzehnte später kommen die Emotionen von damals wieder hoch. Die Ratzeburgerin begrüßt das Ehepaar Melchin. "Das war das Glücklichste in meinem Leben" sagt Gerda Melchin aus Groß Molzahn. "Vorher durften wir gar nicht rübergucken und auf einmal können wir rübergehen".
Auch ihr Mann ist immer noch ungläubig, wenn er an diesen Tag zurückdenkt: "Wir machen den Draht vorne hoch, dass sie durch können", erzählt Horst Melchin. "Das kann doch wohl nicht sein. Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich." Aber es war wahr, wie die Aufnahmen des Hobby-Filmers Dieter Schmidt beweisen.