Von Hamburg nach Amerika: Als Millionen Menschen auswanderten
Um 1900 ist Hamburg einer der bedeutendsten europäischen Auswandererhäfen. Vor allem Osteuropäer gehen hier an Bord eines Schiffes. Das Ziel: Amerika. Allein zwischen 1850 und 1934 sind fünf Millionen Auswanderer diese Reise angetreten.
Zuvor nutzen die Menschen vor allem Rotterdam, Antwerpen und Le Havre als Ausgangspunkt der Ozeanüberquerung. Doch im Zuge der wachsenden Migrationsströme aus Osteuropa nimmt der Dampferverkehr aus Hamburg und Bremen nach Nord- und Südamerika rapide zu.
Der Armut entkommen - das Glück suchen
Die Motivation zum Auswandern ist so vielfältig wie die Menschen selbst. In der Mitte des 19. Jahrhunderts überwiegen politische Gründe, beispielsweise nach der gescheiterten Revolution von 1848 in den deutschen Staaten. Mit der zunehmenden Industrialisierung treten wirtschaftliche und soziale Nöte in den Vordergrund. Pogrome gegen Juden in Russland, drohender Militärdienst oder ein hinterer Platz in der Erbreihenfolge treiben die Menschen von zu Hause fort.
Einreisesperre nach Ausbruch der Cholera
Die Mehrzahl der Emigranten sind Osteuropäer, die mit dem Zug nach Hamburg reisen. Aber auch Deutsche, vor allem Bauern und Fabrikarbeiter, machen sich auf den Weg in die Hansestadt. Von dort reisen sie auf den Dampfschiffen der Hamburger Hapag-Reederei nach Amerika, müssen aber meist einige Zeit auf einen freien Platz an Bord warten. Angesichts des großen Andrangs sind die privaten Gasthäuser der Stadt oft völlig überfüllt. Einen markanten Einschnitt erfährt die Auswanderung jedoch 1892. Mit dem Ausbruch der Cholera verhängt der Hamburger Senat rigorose Einreisesperren, sodass der Auswandererverkehr in der Hansestadt abrupt zum Erliegen kommt.
Für die Hapag-Reederei bedeutet dies einen großen Verlust. Nach zähen Verhandlungen mit dem Senat gelingt es Generaldirektor Albert Ballin, die Einreise in die Hansestadt für Emigranten ab 1893 wieder zu ermöglichen. Allerdings müssen sich die Auswanderer nun einer medizinischen Kontrolle unterziehen, bevor sie überhaupt einreisen dürfen. Die Hamburger Bevölkerung beäugt fortan vor allem Russen misstrauisch, da sie ihnen die Schuld am Ausbruch der großen Cholera-Epidemie gibt.
Ballin lässt die "Stadt in der Stadt" bauen
Die weiter wachsende Zahl der sogenannten Transitwanderer aus Osteuropa kann die Stadt kaum noch bewältigen. Nun findet Ballin eine Lösung, die die Logishäuser und die zuvor genutzten Baracken entlastet, die Auswanderer weitestgehend aus der Stadt fernhält und nicht zuletzt seinen Schiffen eine hervorragende Auslastung beschert. Der findige Geschäftsmann lässt ab 1901 mehrere Auswandererhallen auf der Elbinsel Veddel bauen. Bis 1907 wird das Gelände ständig erweitert. Es entsteht eine "Stadt in der Stadt". In insgesamt 30 Gebäuden können bis zu 5.000 Personen unterkommen. Jüdische Emigranten werden gezielt angeworben. Für sie gibt es eine Synagoge, eigene Schlafsäle sowie Speisesäle, in denen koscheres Essen serviert wird.
Zwischen Kasernierung und "All inclusive"-Versorgung
Oft halten sich die Auswanderer mehrere Wochen in den Auswandererhallen auf, bevor sie endlich an Bord eines Schiffes gehen können. 150 Angestellte sorgen dafür, dass der straff strukturierte Alltag auf dem Gelände funktioniert. Für zwei Mark pro Tag bekommt ein Auswanderer ein Bett und drei Mahlzeiten. Die Auswanderwilligen schlafen in relativ geräumigen Schlafsälen mit hohen Decken, sodass die Luft hier besser ist als in den alten Baracken, die ihnen vorher zur Verfügung standen. Eine Musikkapelle und ein kleines Geschäft sorgen für Abwechslung. Gottesdienste in Kirche und Synagoge fangen Ängste und Sorgen auf. Zudem betreiben religiöse Organisationen nicht nur Seelsorge, sondern leisten auch praktische Hilfe bei der Beschaffung von Dokumenten oder bei Verständigungsschwierigkeiten.
Einschiffung nur für Gesunde
Hygienische Kontrollen prägen ganz entscheidend das Leben in den Auswandererhallen. Gleich nach ihrer Ankunft müssen die Emigranten baden und sich einer medizinischen Untersuchung unterziehen. Erst wenn auch Kleidung und Gepäck desinfiziert sind, darf der Auswanderer seinen Platz im Schlafsaal beziehen. Während des gesamten Aufenthalts kommt es zu zahlreichen weiteren Visiten. Kurz vor der Einschiffung entscheidet ein abschließender Gesundheitstest, wer tatsächlich die Reise antreten darf. Diese Zwangsmaßnahmen sowie die Ausgangssperre für bestimmte Auswanderergruppen, vor allem Russen, lassen bei vielen ein Gefühl der Kasernierung aufkommen. Proteste bleiben allerdings punktuell und ohne Auswirkungen.
Ein Jahresgehalt für die Überfahrt
Auf kleineren Schiffen für bis zu 300 Personen, den sogenannten Tendern, werden die Auswanderer bis nach Stade oder Cuxhaven gebracht, wo sie endlich an Bord der Überseedampfer gehen können. Wegen ihres großen Tiefgangs können die Ozeanriesen die Elbe nicht weiter flussaufwärts befahren. Die Passage auf einem Dampfschiff dauert in der Regel zwei Wochen, später auf den Schnelldampfern lediglich neun Tage. Die Mehrzahl der Emigranten reist für 160 Mark auf dem fensterlosen Zwischendeck. Die Summe entspricht in etwa dem Jahresgehalt eines Arbeiters. Dafür bekommen die Zwischendeckspassagiere wenig geboten: Schlechte Durchlüftung, Platzmangel, Nässe und die Folgen der Seekrankheit machen den Menschen zu schaffen. An Deck dürfen sie nur begrenzt, bei Sturm gar nicht.
Ellis Island: Eingangstor in die Neue Welt
Erstes Ziel in den USA ist die New York vorgelagerte Insel Ellis Island. Hier müssen sich die Auswanderer erneuten Gesundheitsprüfungen unterziehen, bevor sie endlich das Land ihrer Träume betreten dürfen. Diejenigen, denen die Einreise verweigert wird, müssen auf dem nächsten Schiff auf Kosten der Reederei in die alte Heimat zurückkehren. Im Jahr 1907 kehren 48.000 Auswanderer nach Hamburg zurück. Einem kleinen Teil ist die Einreise verweigert worden, die meisten kommen allerdings freiwillig: Sie haben in Übersee ein kleines oder großes Vermögen gemacht.
Vom Kriegsgefangenenlager zur Notunterkunft
192.733 Auswanderer begeben sich 1913 von Hamburg aus auf die Reise - mehr als je zuvor. Nur wenige Monate später stoppt der Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Auswanderung. Mitte der 1920er-Jahre wird aus den Auswandererhallen das "Überseeheim". Gehobener Komfort soll die höheren Ansprüche der nun zumeist deutschen Emigranten erfüllen. 1934 fällt ein Teil der Hallen in den Besitz der SS, später wird das gesamte Gelände als Kriegsgefangenenlager genutzt. Nach dem Krieg dienen die Gebäude als Unterkünfte für ausgebombte Hamburger. 1962 werden die Gebäude abgerissen, einzig der Pavillon Nr. 13/14 bleibt stehen. Hier hat über viele Jahre ein Autohof seine Filiale. Mit Beginn der 1980er-Jahre zieht ein portugiesisches Restaurant in die Halle ein. Fast 100 Jahre nach dem Bau der Auswandererhallen wird 2005 der Grundstein für das Erlebnismuseum "BallinStadt" gelegt.