VIDEO: 1945: Hamburg kapituliert (4 Min)

Am seidenen Faden: Hamburgs Weg zur Kapitulation

Stand: 03.05.2024 09:00 Uhr

Kämpfen bis zum Untergang: So lautet Hitlers Befehl noch in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs im April 1945. Doch der Einsatz von drei mutigen Männern ebnet am 3. Mai 1945 den Weg zur kampflosen Kapitulation Hamburgs.

Ende April 1945 stehen die britischen Streitkräfte kurz vor Hamburg. Die Frontlinie verläuft lediglich 15 Kilometer südlich der Hansestadt. Die Lüneburger Heide befindet sich in der Hand der Briten, die am 15. April das Konzentrationslager Bergen-Belsen befreien. Lüneburg ergibt sich am 18. April kampflos, Bremen fällt am 27. April - und erleidet große Verluste und massive Zerstörung, weil sich die Stadt bis zum Schluss widersetzt.

Hitler fordert Kampf bis zum bitteren Ende

Der Weg Hamburgs scheint klar. Auf Hitlers Befehl wird die Stadt zur Festung erklärt. Das heißt: Sie soll unter allen Umständen verteidigt werden. Dabei ist die Hansestadt nach dem Bombenkrieg bereits schwer gezeichnet. Ende Februar 1945 erfolgt der 190. Bombenangriff. Von den 563.533 vor Kriegsbeginn vorhandenen Wohnungen sind im Mai 1945 lediglich 114.757 unbeschädigt geblieben. Zehntausende Menschen sind Opfer der Bomben geworden.

Volkssturm soll Abwehrkampf bestreiten

Zerstörte Gebäude in Hamburg-Eilbek nach den alliierten Luftangriffen im Sommer 1943. © picture-alliance / dpa
Im Sommer 1943 ist Hamburg das Ziel massiver Luftangriffe der Alliierten. Im Feuersturm kommen über 40.000 Menschen ums Leben.

Am 22. April beginnt die offizielle "Festungskampfzeit“ in Hamburg. Panzersperren auf der Reeperbahn sollen den Briten Einhalt gebieten. Zudem sollen die Hafenanlagen für den Feind unbrauchbar gemacht werden, etwa durch das Versenken von Schiffen. Allerdings kann die Hamburger Militärführung Großadmiral Karl Dönitz davon überzeugen, den Befehl zur Zerstörung des Hafens zunächst auszusetzen. Neben den 20.000 verbliebenen regulären Soldaten steht der so genannte Volkssturm - alle waffenfähigen Männer zwischen 16 und 60 Jahren - zum Abwehrkampf bereit.

Alibi-Angriffe durch Kampfkommandanten - Harburg unter Beschuss

Hamburgs Kampfkommandant Generalmajor Alwin Wolz © Familie Sahlmann
Kommandant Alwin Wolz soll Hamburg bis zum letzten Mann verteidigen. Doch als sich die Chance bietet, kapituliert er und rettet die Stadt.

Doch Kampfkommandant Alwin Wolz ist die Aussichtslosigkeit der Lage bewusst. Wohl um dem Befehl offiziell nachzukommen, lässt Wolz Ende April zwei kleine Angriffe auf die südlich gelegenen Ortschaften Hoopte und Vahrendorf unternehmen, die sich bereits in britischer Hand befinden.

Unterdessen verharren die Briten vor der Stadt. Die britische Artillerie ist bereits so nah, dass sie gelegentlich Hamburger Außenbezirke beschießt. Im Visier der Briten stehen insbesondere wichtige Knotenpunkte wie der Harburger Bahnhof. In unmittelbarer Nähe des Bahnhofs liegen die Phoenix Werke, wo Reifen für Wehrmachtsfahrzeuge hergestellt werden. Zudem befindet sich im Werk ein Lazarett, in dem auch britische Kriegsgefangene liegen.

Mutiger Plan zur Rettung des Lazaretts

Um das Lazarett zu schützen, lässt Stabsarzt Hermann Burchard ein Rotes Kreuz auf dem Werksdach anbringen und fasst mit Phoenix-Generaldirektor Albert Schäfer einen mutigen Entschluss: Sie wollen den Briten als Unterhändler entgegentreten und so das Lazarett retten. Burchard lässt sich die geplante humanitäre Rettungsaktion von Wolz genehmigen.

Zeitzeugen-Bericht
Kinder spielen 1946 in den Trümmern von Hamburg. © picture-alliance / dpa

Zwischen Flak-Splittern und nahbaren Briten

Peter Maertens erlebt den Zweiten Weltkrieg als Junge in Hamburg. Seine jüdische Mutter überlebt den NS-Terror nur durch eine List. mehr

Mit weißer Fahne zu den britischen Linien

Am Morgen des 29. April startet ihre Mission: Gemeinsam mit ihrem Dolmetscher Leutnant Otto von Laun nähern sich Burchard und Schäfer den britischen Linien - und werden trotz weißer Fahne zunächst beschossen. Die Engländer erklären später, dass sie fürchteten, mit diesem Trick von der Wehrmacht ausspioniert zu werden. Die drei Unterhändler werden mit verbundenen Augen zum britischen Captain Thomas Martin Lindsay nach Buchholz gebracht. Dort versichern sie den Briten, dass das Werk seine Produktion vollständig eingestellt hat, und erhalten die Zusage, dass das Lazarett ab sofort nicht mehr beschossen wird.

Briten loten Möglichkeit einer Kapitulation aus

Albert Schäfer, Generaldirektor der Harburger Phoenix-Werke während des Zweiten Weltkriegs © Familie Schäfer
Albert Schäfer übernimmt eine heikle Mission: Er soll einen Brief überbringen, der die kampflose Kapitulation Hamburgs einleitet.

Der britische Captain nutzt das Zusammentrefffen, um sich in Einzelgesprächen mit den Emissären nach der Möglichkeit einer kampflosen Kapitulation Hamburgs zu erkundigen. Als Militärangehörige dürfen Burchard und von Laun allerdings lediglich über das Lazarett verhandeln - und halten sich daran. Zivilist Schäfer jedoch erklärt, dass die Hamburger nach seiner Einschätzung kriegsmüde seien und Gauleiter Karl Kaufmann vernünftig handeln werde. Daraufhin entschließt sich Lindsay, Schäfer ein Schreiben an den Kampfkommandanten Wolz mitzugeben. Darin fordert Lindsays Vorgesetzter Generalmajor Lewis Lyne die Hansestadt zur kampflosen Kapitulation auf.

Unterhändler Schäfer überbringt brisantes Schreiben

Am 30. April schicken die Briten Schäfer zurück nach Hamburg zu Wolz - mit dem brisanten Schreiben unter der Einlegesohle seines rechten Schuhs. Eine heikle Mission: Wäre der Brief entdeckt worden, hätte Schäfer als Hochverräter gegolten. Doch er kommt durch. Der Kampfkommandant empfängt Schäfer im Befehlsbunker in der Rothenbaumchaussee und erklärt sich bereit, bei Reichsstatthalter Kaufmann die Zustimmung zur Kapitulation zu erwirken. Mit Erfolg: Angesichts der aussichtslosen militärischen Lage versperrt sich der Gauleiter nicht mehr der Einsicht, dass der Krieg verloren ist. Er willigt ein, die kampflose Übergabe der Hansestadt vorzubereiten.

Nachricht vom Tod Hitlers

Mitten in diese sensiblen Vorbereitungen platzen am 1. Mai zwei Meldungen. Über den Reichssender Hamburg wird - mit einem Tag Verspätung - die Nachricht vom Tod Adolf Hitlers verbreitet. Zudem erfährt Wolz, dass er in Kürze abgelöst werden soll. Eile ist geboten. Noch am Abend des 1. Mai begeben sich zwei deutsche Offiziere auf Weisung von Wolz zu den Briten und überbringen Generalmajor Lyne das Antwortschreiben: Darin erklärt sich die Hamburger Führung bereit, die kampflose Übergabe der Stadt zu verhandeln.

Dönitz erfährt von Kapitulations-Absichten

Einen Tag später versetzt eine Veröffentlichung der "Hamburger Zeitung" die Bevölkerung in Aufruhr. Ab dem Mittag des 2. Mai ist im Schaufenster der Zeitung ein Abdruck des Aufrufs zu lesen, der im Fall einer Kapitulation verbreitet werden soll. Davon erfährt auch Hitlers Nachfolger, Großadmiral Dönitz. Obwohl er nicht in die Verhandlungen eingebunden war, stimmt er der kampflosen Übergabe Hamburgs zu. Denn inzwischen haben die Briten Lübeck und die US-Amerikaner Wismar eingenommen.

Kapitulation bei Lüneburg besiegelt

Britische Soldaten marschieren am 3. Mai 1945 in Hamburg ein. © dpa Foto: Imperial War Museum
Über die Mönckebergstraße rollen die britischen Panzer am Abend des 3. Mai 1945 Richtung Rathaus.

Noch am Abend des 2. Mai begibt sich Wolz zu Generalmajor Lyne und bereitet mit den Briten die Kapitulation vor. Am nächsten Morgen fährt er ins Hauptquartier der Zweiten britischen Armee nach Häcklingen bei Lüneburg. Dort unterschreibt er die Kapitulationsurkunde. Unterdessen verbreitet der Rundfunk seit den frühen Morgenstunden des 3. Mai in Hamburg die Nachricht, dass die Briten am Nachmittag einmarschieren werden. Zwischen 13 und 19 Uhr herrscht Ausgangssperre.

Hamburgs NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann bei einer Rede © dpa/ Picture-Alliance
AUDIO: Gauleiter Karl Kaufmann spricht zu Hamburgern (4 Min)

Hamburg in britischer Hand

In drei großen Marschsäulen aus Richtung Buxtehude, Tötensen und Hittfeld rollen die britischen Truppen ab 16 Uhr auf die Hamburger Innenstadt zu. Um 18.25 Uhr übergibt Wolz vor dem Rathaus die Stadt Hamburg an den britischen Brigadegeneral John Michael Spurling. Am 4. Mai wird Karl Kaufmann, eine Woche später Bürgermeister Krogmann festgenommen. Ab sofort kontrollieren die Briten alle Bereiche des öffentlichen Lebens.

Die Hamburger Bevölkerung ist erleichtert, dass endlich Frieden herrscht. Daran haben Alwin Wolz, Albert Schäfer und Captain Thomas Lindsay einen großen Anteil. Lindsay kehrt nach England zurück und wirkt dort als Komponist und Übersetzer. Wolz muss für zwei Jahre in Kriegsgefangenschaft. Danach lebt er als Bauer in Bayern. In späteren Jahren leitet er den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Der mutige Zivilist Schäfer übernimmt Ende 1946 für neun Jahre den Posten des Präses der Hamburger Handelskammer.

Weitere Informationen
Brennende Öltanks im Hamburger Hafen nach einem Luftangriff während des Zweiten Weltkriegs © dpa-Bildfunk

Kriegsende: Was im Hamburger Hafen passierte

Große Teile des Hamburger Hafens sind nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört. Noch funktionierende Anlagen werden verschifft. Bürgermeister Max Brauer verhindert die Sprengung von Dock Elbe 17. mehr

Britische Soldaten füttern 1945 vor dem Hamburger Rathaus Tauben.. © picture-alliance/ dpa/dpaweb Foto: Imperial War Museum

Kriegsende: Was passierte im Hamburger Rathaus?

Nach dem Krieg war das Hamburger Rathaus in erstaunlich gutem Zustand. Die Militärregierung übernimmt, bald wird Rudolf Petersen zum Ersten Bürgermeister ernannt. mehr

Britische Soldaten marschieren am 3. Mai 1945 in Hamburg ein. © dpa Foto: Imperial War Museum

Vom Feind zum Freund: Die Briten im Norden

Im Mai 1945 besetzen die Briten Norddeutschland. Sie bringen Nissenhütten, Popmusik und demokratische Strukturen. mehr

Ausschnitt der Europa-Karte vom 1. Mai 1945 aus dem "Atlas of the World Battle Fronts in Semimonthly Phases" des United States War Department, 1945, der die Gebietslage in zweiwöchigen Abständen dokumentiert. © This image is a work of a U.S. Army soldier or employee, taken or made as part of that person's official duties. As a work of the U.S. federal government, the image is in the public domain. Foto: United States War Department, General Staff 1945

Chronik des Kriegsendes im Norden

Im Frühjahr 1945 ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Wie verliefen die letzten Kriegsmonate? Welche überregionalen Ereignisse waren relevant? mehr

Wehrmachtssoldaten ergeben sich 1945 und halten weiße Tücher hoch. © picture alliance/akg-images Foto: akg-images

Dossier: Wie der Weltkrieg im Norden zu Ende ging

Am 8. Mai 1945 kapituliert die deutsche Wehrmacht. Viele Städte und Lager sind von den Alliierten da bereits befreit worden. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Das Hamburger Hafenkonzert | 03.05.2020 | 06:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Hamburger Geschichte

Zweiter Weltkrieg

Mehr Geschichte

Bertha Keyser, der "Engel von St. Pauli" © Hauptkirche St.Michaelis

60. Todestag von Bertha Keyser: Der echte "Engel von St. Pauli"

Bertha Keyser hat sich ein halbes Jahrhundert lang um Arme und Obdachlose in St. Pauli gekümmert. Am 21. Dezember 1964 starb sie. mehr

Norddeutsche Geschichte