1994: Kaufhaus-Erpresser "Dagobert" wird geschnappt
1992 erhält Karstadt ein Erpresser-Schreiben, kurz darauf explodiert eine Rohrbombe in einer Hamburger Filiale. Rund zwei Jahre narrt Erpresser "Dagobert" die Polizei. Am 22. April 1994 wird er in einer Berlin Telefonzelle gefasst.
Im Juni 1992 erscheint im "Hamburger Abendblatt" eine seltsame Anzeige: "Onkel Dagobert grüßt seine Neffen." Was klingt wie ein Scherz eines überzeugten Walt-Disney-Fans, ist eine vom Kaufhaus-Konzern Karstadt geschaltete Nachricht. Der verabredete Text signalisiert einem Erpresser die Zahlungsbereitschaft des Unternehmens. Eine Million Mark hat der Erpresser in einem Schreiben an Karstadt am 13. Juni gefordert, sonst werde er Bomben in den Kaufhäusern zünden. Tatsächlich lässt er in der folgenden Nacht eine Rohrbombe in der Porzellanabteilung einer Hamburger Karstadt-Filiale explodieren, um der Forderung Nachdruck zu verleihen.
Ist der Erpresser ein alter Bekannter?
Die Polizei vermutet in dem Erpresser einen alten Bekannten. Bereits 1988 wurde das Berliner Kaufhaus KaDeWe um eine halbe Million Mark erpresst. Auch damals explodierte nachts ein Sprengsatz im Kaufhaus. das Lösegeld warfen Polizeibeamte auf Anweisung des Erpressers aus einer fahrenden S-Bahn. Vier Jahre später nun die gleiche Handschrift: Auch diesmal soll das Geld aus einem fahrenden Zug abgeworfen werden.
Geldübergabe mit technischer Finesse
Beim Karstadt-Erpressungsfall 1992 verfeinert der Täter den Übergabeplan. Damit er selbst über den Ort des Abwurfs bestimmen kann, installiert er eine magnetische Metallhalterung an einem Zug auf der Strecke Berlin - Rostock. Per Fernsteuerung soll sich die Vorrichtung vom Waggon lösen. Nach einem Fehlversuch löst sich der Magnet im zweiten Anlauf planmäßig. Der Erpresser flieht mitsamt Geldtasche auf einem Fahrrad. Doch in der Tasche befinden sich nur wenige Scheine - der Rest ist mit Papierschnipseln aufgefüllt.
Katz-und-Maus-Spiel zwischen Erpresser und Polizei
Der Täter gibt sich mit der geringen Summe nicht zufrieden und beharrt auf seiner Forderung. In den folgenden zwei Jahren liefert sich "Dagobert" - wie der Täter aufgrund der ersten Zeitungsanzeige inzwischen von der Presse genannt wird - ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Bei rund 30 versuchten Geldübergaben kann Dagobert immer wieder entkommen. Vier weitere Bomben zündet er in norddeutschen Karstadt-Filialen, dazu eine in Berlin. Wie durch ein Wunder werden bei den Detonationen lediglich zwei Menschen leicht verletzt: Zwar zündet "Dagobert" die meisten Sprengsätze nachts, doch in zwei Fällen explodieren seine Bomben in Fahrstühlen, während sich Kunden und Mitarbeiter in den Kaufhäusern aufhalten.
Öffentlichkeit sympathisiert mit "Dagobert"
Dennoch sympathisiert die Öffentlichkeit mit dem findigen Kaufhaus-Erpresser. Der namensgebende Comic regt die Fantasie der Menschen an. Die Raffinesse seiner technischen Konstruktionen, mit denen der Erpresser an das Geld kommen will, erinnern stark an den Disney-Erfinder "Daniel Düsentrieb". Auch die Medien greifen das Comic-Vokabular bereitwillig auf: "Düsentriebtäter Dagobert" oder "Dagoberts Gullytrick - gluck, gluck, weg" lauten die Schlagzeilen der Boulevardpresse.
Comicartige Übergabeversuche und Polizeipannen
Immer wieder überrascht "Dagobert" die Polizei mit überaus kreativen Geldübergabe-Plänen. So platziert er eine Streusandkiste auf einem Gullydeckel in Berlin. Von unten öffnet er das Versteck und entkommt wieder einmal mit einer Tasche. Darin: wenige Geldscheine und viel wertloses Papier. Dazu kommen Fahndungspannen der Ordnungshüter. Bei einem Zugriffsversuch entkommt der Erpresser, weil der verfolgende Polizist just in dem Moment ausrutscht, als er den Flüchtenden am Kragen packen will.
Spektakulär: Mini-Lore entgleist mit 1,4 Millionen Mark
Für viel Aufsehen sorgt ein spektakulärer Übergabeversuch im Januar 1994: Mit einer selbst gebauten Mini-Lore will "Dagobert" das Geld zu einem Versteck fahren lassen. Dafür hat er ein stillgelegtes Gleis in Berlin präpariert. Dank Stolperdrähten und Feuerwerkskörpern kann das Mini-Fahrzeug die Beamten auf der etwa einen Kilometer langen Strecke erfolgreich abhängen. Doch 30 Meter vor dem Ziel kippt die Lore aus den Schienen. Besonders ärgerlich für "Dagobert": In diesem Fall liegen tatsächlich die inzwischen geforderten 1,4 Millionen Mark in der Tasche.
Arno Funke wählt Pseudonym "Dagobert" zufällig
Am 22. April 1994 endet einer der längsten und aufwendigsten Erpressungsfälle in der deutschen Kriminalgeschichte. Gut zwei Jahre lang hat "Dagobert" die Polizei genarrt, die Öffentlichkeit mit seinen Tricks fasziniert und ein Unternehmen viele Nerven gekostet. In einer Berliner Telefonzelle schnappt die Polizei schließlich den Erpresser Arno Funke. Der ist froh, dass es vorbei ist. Und er ist wider Erwarten kein Walt-Disney-Fan, vielmehr hat er sein Pseudonym rein zufällig gewählt: Auf der Suche nach einem markanten Satz, mit dem Karstadt Zahlungsbereitschaft signalisieren soll, war sein Blick im Juli 1992 auf eine Tasche mit aufgedruckter "Dagobert Duck"-Figur gefallen.
Hirnschädigungen und ein hoher IQ
Das Motiv des arbeitslosen und depressiven Berliners Arno Funke ist Geld. Er habe an Selbstmord gedacht und mit der Erpressung seinem Leben eine Wende geben wollen, so Funke vor Gericht. Sieben Jahre und neun Monate Haft wegen schwerer räuberischer Erpressung sowie fünf Millionen D-Mark (rund 2,5 Millionen Euro) Schadenersatzzahlung lautet das Urteil am 17. Januar 1995. Während seiner Haftzeit werden bei Funke Hirnschädigungen durch Lösungsmittel festgestellt, die er während seiner Tätigkeit als Kunstlackierer in einer Kfz-Werkstatt eingeatmet hat. Diese Schädigungen und die daraus resultierenden Depressionen wirken bei der Revision des Falls 1996 strafmildernd - sonst wären es wohl mehr als neun Jahre Freiheitsstrafe für den damals 46-Jährigen geworden.
Umtriebiger Kreativer
Funke, dem in einem Gutachten ein hoher Intelligenzquotient von 120 attestiert wird, unterzieht sich in der Haft einer erfolgreichen Therapie. Gleichzeitig schreibt er eine Autobiografie ("Mein Leben als Dagobert", 1998) und beginnt, Karikaturen für das Satiremagazin "Eulenspiegel" zu zeichnen.
Nach seiner Entlassung im August 2000 lebt der gelernte Schilder- und Lichtreklamemacher in Berlin, arbeitet dort als Grafiker und Buchautor ("Ente kross. Cartoons und Geschichten") - und sucht auch durchaus die Öffentlichkeit, etwa bei Auftritten in Talk- und Fernseh-Shows. Mit einem multimedialen Programm steht er 2007 auf der Bühne. 2013 nimmt Funke an der RTL-Show "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" teil. Unter den insgesamt zwölf "Dschungelcamp"-Teilnehmern der siebten Staffel belegt der damals 62-Jährige am Ende Platz neun.