KZ Moringen: Ein Lager für "falsche" Jugendliche
Das Konzentrationslager Moringen in Südniedersachsen gehörte zu den ersten Lagern, die von den Nationalsozialisten aufgebaut wurden. Gleich drei dieser Lager hatten die Nazis zwischen 1933 und 1945 nacheinander in der Kleinstadt im Landkreis Northeim errichtet. Während des Zweiten Weltkrieges waren es vor allem Jugendliche, die hier inhaftiert waren. Vor 75 Jahren, am 9. April 1945, befreiten US-Truppen das Jugend-KZ.
Das "Verbrechen" dieser Jugendlichen? Sie hörten die falsche Musik oder trugen die falsche Kleidung. So sei es in Moringen darum gegangen, die jungen Menschen auszugrenzen, die aufgrund ihrer musikalischen Vorlieben wie der Swing-Musik nicht ins Bild der sogenannten Volksgemeinschaft passten, sagt Dietmar Sedlaczek, der Leiter der KZ-Gedenkstätte Moringen. Jugendliche, die durch ihre andere äußere Erscheinung aufgefallen seien: sich etwa anders kleideten. Und zum Beispiel "mit langen Haaren und englischen Sakkos und mit ihrem ganzen Gebaren zum Ausdruck gebracht haben, dass sie mit diesem System nichts am Hut hätten", erläutert Sedlaczek. "Und das wurde als Bedrohung empfunden."
Jugendliche mussten Autobahnbrücken bauen
Bis zum Kriegsende waren knapp 300 Jugendliche und junge Männer im KZ Moringen eingesperrt. Die jüngsten waren erst 13 Jahre alt. Die Inhaftierten mussten innerhalb und außerhalb des Lagers für Firmen arbeiten, unter anderem waren sie auch am Bau der Autobahnbrücken an der A7 beteiligt.
Unterschlagungsversuche in den 80er-Jahren
Nach dem Krieg wollten sich die Moringer nicht mehr an dieses dunkle Kapitel erinnern. Zur 1.000-jährigen Feier des Ortes 1983 habe man versucht, die Existenz des KZ zu unterschlagen: "Es gab sogar eine Abstimmung im Stadtrat, ob es denn tatsächlich ein Konzentrationslager gegeben hat. Das ist einmalig: Ein Stadtrat entscheidet darüber, ob es ein bestimmtes Ereignis gegeben hat", sagt Sedlaczek.
Schicksal von Altersgenossen ruft besondere Nähe hervor
Doch seit 1993 befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers eine Gedenkstätte. Vor allem Schülerinnen und Schüler seien oft sehr wissbegierig, wie Sedlaczek beobachtet hat. Die Geschichte des Jugend-KZ rufe ein besonderes Interesse hervor, da die Jugendlichen hier auf die Schicksale von Altersgenossen aus der NS-Zeit stoßen. "Das hat natürlich eine andere Nähe, wenn es das Schicksal von anderen Jugendlichen ist."
Corona: Gedenkstätte erinnert an Opfer und Befreiung digital
Ursprünglich hatte die Gedenkstätte Moringen zur Erinnerung an die Befreiung des Lagers am 9. April 1945 durch US-Truppen eine Gedenkveranstaltung geplant - die im Zuge der Corona-Pandemie aber abgesagt werden musste. "Das schmerzt sehr, da wir in diesem Jahr ehemalige Häftlinge des Jugend-KZ aus Österreich und Slowenien mit ihren Angehörigen erwartet haben", teilte ein Sprecher der KZ-Gedenkstätte im Landkreis Northeim mit.
Stattdessen wird der Opfer des Jugend-KZ nun digital gedacht - mit Fotos und historischen Dokumenten, die als multimediale Post bis zum 20. Mai von der Gedenkstätte auf deren Facebook- und Twitter-Präsenz verbreitet werden.
Vermittlung des Grauens über Comics und Theaterstücke
In Zeiten ohne Corona-Krise setzt die Gedenkstätte Moringen auf den direkten Kontakt und versucht gezielt, Jugendliche anzusprechen. Zum Beispiel mit dem Theaterstück "Die Besserung", das in Zusammenarbeit mit der Theaterproduktion Göttingen entstanden ist. So war die Gedenkstätte auch die erste, die das schwere Thema der nationalsozialistischen Verfolgung in Form von Comics aufgegriffen hat.
Zudem arbeitet die Gedenkstätte normalerweise mit der Kooperativen Gesamtschule in Moringen zusammen. Dort ist Stefan von Huene Geschichtslehrer. Seine Schülerinnen und Schüler besuchen die Gedenkstätte im Ort in der 6. und in der 9. Klasse, und mit einem Oberstufenkurs fährt von Huene in der Regel auch jeweils für eine Woche nach Auschwitz: dorthin, wo auch Inhaftierte aus Moringen den Tod fanden. Für dieses sehr intensive Projekt habe er sehr positive Rückmeldungen von den Schülern und deren Eltern bekommen, erzählt von Huene. Es habe die Schüler sehr viel weiter gebracht, sich mit diesen Abgründen der Geschichte auseinanderzusetzen.
"Geschichte und politisches Engagement gehören zusammen"
Einer seiner Schüler ist Steven Achterberg. Der 18-jährige hat seine Facharbeit über medizinische Versuche an sterilisierten Frauen in Auschwitz geschrieben. Für ihn gehört der Blick zurück in die Geschichte des NS-Systems und politisches Engagement heute zusammen: "Die Geschehnisse sind schon weit weg. Aber dadurch, dass wir heute wieder einen Rechtsruck spüren, muss man wieder deutlicher in den Mittelpunkt rücken, wie es damals war - damit so was nicht noch mal passiert."