Hamburger Freihafen: Die zollrechtliche Sonderstellung
Die Geschichte des Hamburger Freihafens begann am 15. Oktober 1888. Sie endete am 1. Januar 2013, als das Zollprivileg aufgehoben wurde. Kontrollen werden seither am Terminal durchgeführt, Zollstationen und Zaun sind überflüssig.
Wucherndes Gestrüpp auf einer Freifläche, die nutzlos am Rand der Straße liegt: Wo sich bis Ende 2012 vor einem roten Backsteingebäude täglich Hunderte Lkw stauten und kontrolliert wurden, erinnert heute nichts mehr daran, dass hier einst ein für den Hamburger Hafen wichtiger Ort lag. Hier prüften Zollbeamte, ob die Frachtpapiere korrekt und die Ladung beim Verlassen des Freihafens ordentlich deklariert war.
Während an der ehemaligen Zollstation am Ernst-August-Kanal in Hamburg-Wilhelmsburg 2012 noch das Schild "Achtung Freihafen - Zollvorschriften beachten" an einer Laterne darauf hinwies, herrscht hier nun freie Fahrt.
Zollstation am Ernst-August-Kanal 2012 und heute. Mit dem Schieberegler können Sie den Vorher-Nachher-Vergleich machen.
Freihafen-Auflösung nach mehr als einem Jahrhundert
Seinen Anfang hatte der Hamburger Freihafen am 15. Oktober 1888 genommen. Kaiser Wilhelm II. kam 14 Tage nach der Gründung persönlich zur feierlichen Einweihung in die neue entstandene Speicherstadt, die zum Zentrum des Freihafens wurde. Dazu waren etliche Wohnhäuser abgerissen worden. Rund 20.000 Hamburger mussten aus diesem Gebiet umgesiedelt werden und in anderen Stadtteilen ein neues Zuhause finden.
Nach rund 125 Jahren wurde der Hamburger Freihafen in der Nacht zum Neujahrstag 2013 aufgelöst. Neue auf EU-Recht beruhende Zollvorschriften traten nun auch in dieser bisherigen Sonderzone in Kraft. Bis dahin konnten Händler Waren zollfrei in dem Gebiet lagern und umschlagen. Dieses Privileg fiel über Nacht weg. "Für die im Freihafen ansässigen Unternehmen war es erforderlich, zollrechtliche Verfahren wie zum Beispiel Zolllager zu beantragen, um auch nach Aufhebung der Freizone noch Lagerung oder Behandlung von Nichtgemeinschaftswaren unter Nichterhebung der Einfuhrabgaben durchführen zu können", heißt es dazu aus der Hamburger Wirtschaftsbehörde. Das heißt konkret: Händler, die etwa Gewürze zollfrei lagern und dann weiterverschiffen wollen, müssen sogenannte Zolllager beantragen, für die ähnliche, allerdings lokal sehr begrenzte Regelungen gelten wie zuvor für das gesamte Freihafengebiet.
Freihafen-Aus bringt Tempo in die Abfertigung
Das stellt für diese Händler zwar einen bürokratischen Mehraufwand dar, insgesamt ist der Hafen durch das Aus für die Freihafen-Regelung laut Wirtschaftsbehörde jedoch schneller geworden: Zollkontrollen erfolgen seither direkt am Container-Terminal, was den Prozess des Weitertransports der Ladung großer Containerschiffe erleichtert. Durch die Umstellung auf eine weitgehend elektronische Zollabfertigung wurden Zäune und Grenzen entbehrlich. Auch die Kontrolle von rund einer Million Lkw-Leerfahrten pro Jahr sei damit unnötig geworden, so die Wirtschaftsbehörde. Die früheren Zollstationen und der ehemalige gut 17 Kilometer lange Freihafen-Zaun, der das Gebiet landseitig begrenzte, waren plötzlich nutzlos - heute sind sie weitgehend verschwunden. Nur an wenigen Stellen stößt man bei einem Besuch im alten Freihafen, der am besten an der S-Bahnstation Veddel beginnt, noch auf Überbleibsel.
Am Spreehafen erinnert nichts an den trennenden Zaun
Am Spreehafen trennte der Zaun die Bewohner, die über den Deich aufs Wasser blicken können, jahrzehntelang vom Zugang zur Deichkrone. Das ist schon seit etwas mehr als zehn Jahren vorbei. Bereits drei Jahre vor der offiziellen Freihafen-Auflösung hatte der hier über mehrere Kilometer schnurgerade verlaufende Zaun Löcher bekommen. Pforten ermöglichten den Zugang zum Spreehafen. Nach dem 1. Januar 2013 ging hier alles recht schnell: Der gesamte Zaun wurde abgebaut, auch der damalige Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) legte mit Hand an der rostigen Eisenkonstruktion an und sägte für die Fotografen mit dem Trennschleifer einige Elemente ab. Heute ist hier vom Zaun nichts mehr zu sehen. Selbst einige Teile, die vor zehn Jahren abseits positioniert worden waren und aussahen, als sollten sie zur Erinnerung dort stehen bleiben, sind verschwunden.
Spreehafen an der Harburger Chaussee in Hamburg-Wilhelmsburg: Im Dezember 2012 verlief hier noch der Freihafen-Zaun, zehn Jahre später ist der Deich komplett frei zugänglich.
Auf einem neu angelegten Weg können die Anwohner wie auch Besucher, die es in den Hamburger Süden zieht, auf dem Deich spazieren, Rad fahren oder joggen - und dabei den Blick über die Hafenanlagen bis hin zum Michel und zur Elbphilharmonie genießen.
Hafengeschichte mit Ausblick bei den 50er-Schuppen
Über den Ernst-August-Kanal und an der Brachfläche der früheren Zollstation vorbei gelangt man ins Innere des einstigen Freihafengebiets. Hier hat sich im vergangenen Jahrzehnt nicht viel verändert. Container stapeln sich auf den Arealen großer Logistikfirmen, Lkw-Verkehr braust laut und gefühlt etwas zu schnell über breite Straßen.
Am Hamburger Hafenmuseum hingegen weisen vier über die Dächer der 50er-Schuppen ragende Masten darauf hin, dass hier Hamburgs neues Wahrzeichen festgemacht hat. Die "Peking", eine aus New York überführte und restaurierte Viermastbark, soll künftig das Aushängeschild des noch zu bauenden Deutschen Hafenmuseums werden. Schon jetzt kann sie im Rahmen von Führungen besichtigt werden. Das Projekt des Deutschen Hafenmuseums ist ins Stocken geraten und so kann man hier an einem sonnigen Dezembermorgen ganz allein unter historischen Hafenkränen und an Waggons der früheren Hafenbahn entlang zum Aussichtspunkt an der Spitze der Kaianlagen laufen. Hier lohnt ein unvergleichlicher Blick auf die Hamburger City.
Kleiner Grasbrook: Hier wächst Hamburgs Zukunfts-Stadtteil
Wenige Hundert Meter weiter wird nach einem weiteren Container-Terminal eine große Sandfläche erreicht. Dort, wo bis vor wenigen Jahren noch Bananen und andere Südfrüchte im Überseezentrum umgeschlagen wurden. In den kommenden 20 Jahren soll auf dem Kleinen Grasbrook ein Innovationsstadtteil entstehen. Geplant sind etwa 3.000 Wohnungen, davon ein Drittel öffentlich gefördert. Außerdem soll es rund 16.000 Arbeitsplätze und eine vielfältige soziale Infrastruktur geben, mit vielen Promenaden und Plätzen entlang des Elbufers.
Dafür muss der Boden bereitet werden - sehr viel Boden. Meterhoch ist Sand aufgeschüttet, um den Stadtteil flutsicher zu machen. 2012 stand hier noch ein rotes Backsteinhaus, in dem der letzte Hafenbewohner Ralf Vaust wohnte. Dieser hatte sich als "Robinson vom Kleinen Grasbrook" bezeichnet, war er doch zusammen mit seiner Frau der letzte, der im Freihafengebiet wohnte. Das Haus ist mittlerweile ebenso abgerissen wie die riesige Halle des Überseezentrums.
Schumacherwerder: 2012 stand hier das Wohnhaus des letzten Hafenbewohners, heute entsteht an diesem Ort das Fundament für einen neuen Stadtteil.
Wohnbebauung statt geteerter Brachflächen im Baakenhafen
Über die Freihafenelbbrücke und an der futuristischen S-Bahnstation Elbbrücken vorbei geht es zum Baakenhafen. Dieses Gebiet am östlichen Ausgang der Hafencity bestand vor zehn Jahren noch weitgehend aus geteerten Brachflächen. Bagger waren damals im Dezember 2012 dabei, die letzten nicht mehr genutzten Lagerhallen abzureißen. Auch hier gab es eine Zollstation, gelegen an der Versmannstraße. Die Station ist längst verschwunden, auch die Straße war es vorübergehend, zumindest an dieser Stelle. Sie wurde während der umfangreichen Bauarbeiten für den neuen Stadtteil ans Wasser verschwenkt, ehe sie nun wieder ungefähr am früheren Ort verläuft.
Versmannstraße in der Hafencity: Hier befand sich auch eine Zollstation.
Ringsum ist die Wohnbebauung fast abgeschlossen, teils bietet sich von den Balkonen ein weiter Blick über den Hafen. Lastenräder parken in Durchgängen zum Wasser, erste Läden und sogar ein Friseur sind in die Geschäfte im Erdgeschoss eingezogen. Dort, wo vor zehn Jahren ein unwirtlicher Ort mit längst vergangenem Hafencharme war, ist ein modernes Viertel entstanden. Nur eines wurde bislang vergessen: an die Historie des Freihafens zu erinnern. Eine Gedenktafel oder ein Relikt des Freihafenzauns sucht man vergebens.