Unterwegs im historischen Freihafen
Hübsch zurechtgemachte Hausboote dümpeln neben Schrottschiffen vor der Hamburger Skyline, das historische Herz des Hafens schlägt hier immer noch, wenn auch sehr leise, und überall stehen Container - in manchen wird sogar gegessen: Auch nach der Auflösung des Freihafens lädt das Gebiet zu einer Entdeckungsreise ein.
Freihafen: Aufheben wegen der Aufhebung
Zum Jahreswechsel wurde um den historischen Freihafen noch einmal viel Aufheben gemacht, und zwar wegen dessen Aufhebung nach über 124 Jahren: An Neujahr traten neue Zollvorschriften in Kraft, und die bisher durchgeführten Fracht-Kontrollen an den Zollstationen fielen weg - sie erfolgen künftig direkt am Container-Terminal. Hamburg gehört damit zollrechtlich erstmals vollständig zu Deutschland. Der Zaun, der den Freihafen umgibt, wird nicht mehr gebraucht und verschwindet nach und nach.
An Hausbooten und Schrottschiffen entlang
Bereits am Startpunkt erwartet einen der Zaun: Nach der Anfahrt mit der S-Bahn bis zum Bahnhof Veddel sind es nur wenige Hundert Meter bis zum Spreehafen, der hinter dem Deich an der Harburger Chaussee verläuft. In der Vergangenheit war der Deich bereits Teil des abgesperrten Freihafens, mittlerweile hat der Zaun hier große Löcher. Auf der Spitze des grünen Hügels drehen Jogger ihre Runden, Anwohner der nahen Großsiedlung gehen spazieren oder radeln mit Weitblick auf die hinter den Hafenanlagen aufragende Hamburger Skyline mit Elbphilharmonie und Michel.
Im Wasser vor dem Deich liegen einige Hausboote, aus deren Schornsteinen Rauch kommt. Auf einem blauen Holzboot mit roten Fenstern wird draußen die Wäsche getrocknet. Neben diesen hübsch hergerichteten Beispielen alternativen Wohnens treiben einige Schrottschiffe. Die "Helene" mit ihren verrosteten Aufbauten hat sicher schon bessere Tage gesehen, und auch die "Robust" erscheint so, als würde sie ihrem Namen nicht mehr so ganz gerecht werden.
Einblick in den modernen Hafenbetrieb
Über die Hafenrandstraße wird die Zollstation am Ernst-August-Kanal erreicht. In der Vergangenheit kam es an dem Kontrollposten oft zu Staus, da jeder Lkw aufwändig untersucht werden musste. Damit soll es nach dem Freihafen-Ende vorbei sein.
Im ehemaligen Freihafen geht es zunächst am stark befahrenen Veddeler Damm entlang. Die Nebenstraßen tragen exotische Namen - Kamerunweg, Windhuk-Kai, Indiastraße, ohne Pause fahren Lkw von den riesigen Parkplätzen der hier angesiedelten Logistik-Firmen, schwer beladen mit Containern. Hier wird nachvollziehbar, in welch schneller Taktung moderner Hafenbetrieb funktioniert, auch wenn man außer viel Verkehr, großen Lagerhallen und Containern nicht viel sieht.
Zu den traurigen Zeugen des alten Hafens
Mehr zu sehen gibt es ein wenig weiter östlich - allerdings ist dort auch deutlich weniger los: Wenn man in die Australiastraße einbiegt, wird es abrupt viel stiller, auch die Szenerie ändert sich komplett. An den Rand des modernen Hafens gedrängt hat hier das einstige Herz der Hamburger maritimen Wirtschaft überlebt: Die Schuppen-Anlagen der sogenannten 50er-Strecke sind die letzten authentischen Bauten aus einer Zeit, bevor der standardisierte Container zur alleingültigen Währung im internationalen Seeverkehr wurde.
Was in den langgezogenen Backsteinbauten aus der vorletzten Jahrhundertwende vornehmlich lagert, lässt sich sofort erschnuppern: Es riecht nach exotischen Gewürzen, Paletten voller Säcke sind durch die geöffneten Schiebetüren zu erkennen. Auf der Rückseite der Schuppen stehen mehr als ein Dutzend alte Kräne in Reih und Glied und darunter historische Züge der Hamburger Hafenbahn - symbolischer kann ein Abstellgleis kaum aussehen. Das Hamburger Hafenmuseum, das in Schuppen 51 residiert, kommt mit der Restauration der stählernen Giganten nicht nach - im Winter hat es sogar ganz geschlossen. So kann man vollkommen ungestört zwischen den Kolossen umherlaufen, die wie traurige Zeugen einer untergegangenen Epoche am Kai des Hansahafens stehen - und von dort aus den unvergleichlichen Blick auf die Skyline der City genießen.
KZ-Zwangsarbeiter in Lagerhaus interniert
Kurz bevor der Stadtteil Veddel erreicht wird, steht in der Dessauer Straße am Saalenhafen eine weitere alte Lagerhallen-Zeile. Zu Beginn weist eine unscheinbare blaue Tafel auf die tragische Geschichte hin: "Von Juli bis September 1944 waren im Lagerhaus G bis zu 1.500 jüdische Frauen aus dem KZ Auschwitz untergebracht." Sie mussten Zwangsarbeiten im Hafen verrichten. Später folgten ihnen 1.500 männliche Gefangene, ehe das Lager im April 1945 aufgelöst wurde.
Imbiss im Container, "Robinson" im Hafen, U-Bahn ohne Station
Gegenüber des Lagerhauses liegt - passend untergebracht in einem Container - der Imbiss "Zum lütten Foffteiner". Dort können sich die Hafenarbeiter mit einem Becher Kaffee für einen Euro oder einem Strammen Max für 4,20 Euro stärken. Am nahe gelegenen Übersee-Zentrum trifft man wieder auf den Zollzaun, der hier direkt vor dem Stadtteil Veddel entlang verläuft. Unmittelbar vor den Elbbrücken wohnt am Holthusenkai der letzte Bewohner des Hafens auf dem Kleinen Grasbrook. Ralf Vaust gilt als "Robinson", fühlt sich aber inmitten der Industrieatmosphäre überhaupt nicht einsam.
Auf der anderen Elbseite, am östlichen Rand der Hafencity im Baakenhafen, durchschneidet der Zollzaun vom Wasser kommend eine betonierte Fläche voller Schutthaufen. Bagger sind hier Anfang Dezember dabei, die letzten nicht mehr genutzten Lagerhallen abzureißen. Das Gebiet wird für die Erweiterung von Hamburgs neuem Stadtteil vorbereitet. Hier an der bisherigen Zollstation geht unsere Tour durch den alten Hamburger Freihafen zu Ende.