Polizeispezialisten untersuchen im Mai 1995 einen Fluchtwagen. Am 23. Mai 1995, hatte die Polizei eine Geiselnahme im Celler Hochsicherheitsgefängnis nach 51 Stunden unblutig beendet. © dpa Foto: Wolfgang Weihs

Die Flucht mit dem Porsche aus dem Celler Knast

Stand: 18.05.2021 17:00 Uhr

Eine spektakuläre Geiselnahme hält ab dem 21. Mai 1995 für zwei Tage Niedersachsen in Atem: Zwei Häftlinge sind aus dem Celler Hochsicherheitsgefängnis geflohen und haben einen Wärter in ihrer Gewalt.

Es ist ein Sonntagmorgen, an dem sich Peter S. und Günther F. in der Gefängnis-Bibliothek aufhalten. Die beiden sitzen in Celle ein, im Hochsicherheitsgefängnis für Schwerverbrecher. An diesem Sonntag, den 21. Mai 1995, überwältigen die Häftlinge in der Bibliothek einen Aufseher. Sie wissen genau, was sie wollen: Peter S. und Günther F. fordern ein Funktelefon, ein schnelles Auto und 200.000 D-Mark. Sollte die Polizei das Gefängnis stürmen, würden sie den Wärter töten.

Zweite Geiselnahme durch Peter S.

Die Drohung der Häftlinge wird sehr ernst genommen. Denn elf Jahre zuvor war Peter S. schon einmal geflohen, hatte vorher ebenfalls eine Geisel genommen und diese mit einer Handgranate Marke Eigenbau bedroht. Die Polizei geht deshalb davon aus, dass die beiden selbstgebaute Waffen besitzen, was sich später als richtige Annahme herausstellt. Es folgt eine spektakuläre Flucht.

Fernseh-Interviews während der Flucht

Das schnelle Auto bekommen die Geiselnehmer: Mit einem silbergrauen Porsche rauschen der 38-jährige Peter S. und der 37 Jahre alte Günther F. vom Gelände der Justizvollzugsanstalt (JVA) - unter den Augen zahlreicher Schaulustiger und Journalisten, die sich mit Kameras und Fotoapparaten vor dem Gefängnis versammelt haben. Den Ausbrechern scheint die Aufmerksamkeit recht zu sein: Auf ihrer Fahrt quer durch Niedersachsen telefonieren sie mehrfach mit einem Fernsehsender. Telefonate gibt es auch mit der Polizei, doch die Verhandlungen führen offenbar zu keinem Ergebnis - aufgeben wollen S. und F. jedenfalls nicht.

Ziellose Flucht endet an einer Osnabrücker Ampel

Von ihrem Sportwagen trennen sich die Ausbrecher bald. An der Autobahn 2 in Bad Eilsen im Landkreis Schaumburg stellen sie den Porsche ab und stehlen einen VW Golf. Weiter geht die wilde, offenbar ziellose Fahrt durchs Land. Sie endet zwei Tage nach der Flucht in Osnabrück: Am 23. Mai hält der Golf an einer roten Ampel in der Innenstadt. Blitzartig schlägt die Polizei zu: Spezialkräfte rammen den Golf von zwei Seiten, es gibt kein Entkommen. Der 38-jährige Justizvollzugsbeamte wird befreit.

Geiselnehmer hatten "chaotische Phase" erreicht

Ein Happy End ohne Blutvergießen - doch es hätte offenbar leicht anders kommen können. Die Polizei erklärt nach der Festnahme, die Geiselnehmer seien in eine "chaotische Phase" geraten. Das Leben der Geisel sei akut gefährdet gewesen. Die Ausbrecher waren offenbar verzweifelt und möglicherweise zu allem bereit. Ein weiteres Mal entkommen die beiden nach ihrer erneuten Festsetzung übrigens nicht.

Regierung beschließt neues Sicherheitskonzept

Nachdem die Gefahr gebannt ist, brechen die Diskussionen los. Denn bei der Geiselnahme im Celler Knast von 1995 handelt es sich bereits um die dritte innerhalb von nur elf Jahren. Die Landesregierung beschließt daraufhin ein neues Sicherheitskonzept für ganz Niedersachsen. Vier Gefängnisse erhalten sogenannte Sicherheitsstationen mit 46 Einzelhaft-Zellen.

1996: Gewalttätige Geiselnahme - wieder in Celle

Trotz der Debatten und des überarbeiteten Konzepts nimmt allerdings nur knapp ein Jahr später wieder ein Häftling in Celle eine Geisel. Und diesmal gibt es kein Happy End. Es ist eine Sozialarbeiterin, die der Täter im Februar 1996 in seine Gewalt bringt. Der Häftling vergewaltigt sein Opfer. Die Leiterin des Gefängnisses begibt sich im Austausch für ihre Mitarbeiterin freiwillig in die Gewalt des Mannes - und wird ebenfalls von ihm vergewaltigt. Seit 2014 ist die betroffene Abteilung Salinenmoor geschlossen.

Nach 1995: Ausbrüche mit tragischen Folgen

Seit den 90er-Jahren ist an der Sicherheitstechnik immer weiter gearbeitet worden. Mittlerweile habe das Land laut Justizministerium "Hochsicherheitsanstalten mit modernsten Sicherheitsstandards". Ausbrüche hat es in Niedersachsen dennoch gegeben, zum Teil mit tragischem Ausgang: 2014 zum Beispiel kam der Sicherungsverwahrte Reinhard R. von einem Ausgang nicht zurück in die JVA Lingen (Landkreis Emsland). Auf seiner Flucht soll er ein 13-jähriges Mädchen vergewaltigt haben. Vor allem geflohene Sicherungsverwahrte haben die Landesregierung immer wieder in Bredouille gebracht. Am 2. Oktober 2014 konnte beispielsweise ein Sicherungsverwahrter aus der JVA Rosdorf während eines Freigangs beim Einheits-Bürgerfest am Maschsee in Hannover untertauchen. Anfang 2016 wiederum floh ein Sicherungsverwahrter - ebenfalls aus der JVA Rosdorf - bei einem begleiteten Besuch seiner Schwester durch ein Toilettenfenster. Beide Männer konnten später wieder festgenommen werden. In der Folge reduzierte die Landesregierung die begleiteten Ausgänge für Sicherungsverwahrte von zwölf auf vier Ausgänge pro Jahr.

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Das als 'Celler- Loch' bekanntgewordene Mauerstück in der Celler Justizvollzugsanstalt. © dpa - Fotoreport

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Hallo Niedersachsen | 21.05.2015 | 19:30 Uhr

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