Mit Heinkel und Ohain vom Düsenjet zum Düsenjäger
Flugzeugbauer Ernst Heinkel und der Physiker Hans Joachim Pabst von Ohain gelten als Luftfahrt-Pioniere. Am 27. August 1939 fliegt ihre "He 178" als erster Düsenflieger der Welt über Rostock. 1941 folgt mit einem zweistrahligen Jagdflieger die nächste Weltpremiere.
Die Entwicklung eines Strahltriebwerks - der Grundlage für ein Düsenflugzeug - nimmt 1936 ihren Anfang, als zwei Männer mit Visionen und Tatendrang zusammentreffen: der Flugzeugbauer Ernst Heinkel und der Physiker Hans Joachim Pabst von Ohain. Heinkel betreibt die Heinkel-Werke in Rostock-Marienehe. Mit viel Pioniergeist entstehen hier immer leistungsfähigere Flugzeuge. Heinkel erkennt früh, dass Geschwindigkeit und Reichweite von Propeller-Flugzeugen mit Kolbenmotor begrenzt sind. In den 1930er-Jahren liegt die Reisegeschwindigkeit bei Verkehrsflugzeugen bei Tempo 220, bei Jagdflugzeugen bei 450 km/h - verglichen mit heutigen Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 1.000 km/h bei zivilen Maschinen und über 3.000 km/h bei Militärflugzeugen sind das überschaubare Werte.
Ziel: Flugzeug mit Strahlantrieb
Deshalb beginnt Heinkel mit alternativen Antriebsarten zu experimentieren. Er stellt von Ohain ein, der bereits 1935 ein erstes Patent für einen Turbostrahl-Antrieb angemeldet hat. Ziel dieser Zusammenarbeit: möglichst schnell ein Flugzeug mit Strahlantrieb zu entwickeln.
Von Beginn an ist klar, dass dieses Projekt rein privat und ohne das Reichsluftfahrtsministerium (RLM) vollbracht werden soll. Denn Heinkel ist ernüchtert über die Zusammenarbeit mit dem RLM. Fast gleichzeitig zur Entwicklung des Turbinenstrahltriebwerks baut Heinkel mit Wernher von Braun ein Raketentriebwerk, bei dessen Entwicklung er sich vom Ministerium nicht ausreichend unterstützt fühlt.
Geheimprojekt nimmt Form an
Da Heinkel die Entwicklung des Strahltriebflugzeugs ohne Kenntnis und Unterstützung des Ministeriums vorantreibt, stellt er von Ohain sowie den beteiligten Flugzeug-Konstrukteuren und Mechanikern eine Sonderbaracke auf dem Gelände seines Werks zur Verfügung. Hier entsteht im Geheimen nach einer Reihe von Rückschlägen nach gut zwei Jahren das Triebwerk "He S3".
Die neue Antriebsart stellt besondere Anforderungen an das Flugzeug, das sie tragen soll: Die "He 178" hat einen Rumpf aus Duraluminium-Blech, einer besonders stabilen Aluminiumlegierung. Die hölzernen Tragflächen sind an der Oberkante des Rumpfes angeordnet und wegen der starken Hitzeentwicklung zum Teil mit Asbest beschichtet. Ein konisches Schubrohr am Heck und das Fehlen der Propeller zeigen auf den ersten Blick, dass dieses Flugzeug sich deutlich von allem bisher bekannten unterscheidet.
Jungfernflug der "He 178" - Testpilot Warsitz begeistert
Als Testpiloten kann Heinkel den erfahrenen Erich Warsitz gewinnen. Die beiden verbindet eine große Leidenschaft: das Streben nach höherer Geschwindigkeit. In den frühen Morgenstunden des 27. August 1939 ist es soweit: Die "He 178" wird zum Jungfernflug an den Start geschleppt. Mit 600 Kilometern pro Stunde dreht Erich Warsitz zwei Platzrunden über dem Flugplatz in Rostock-Marienehe - und läutet damit am 27. August 1939 eine neue Ära in der Luftfahrt ein. Der Jungfernflug des ersten Düsenflugzeugs der Welt ist eine technische Sensation.
Wegen der Geheimhaltung hat Testpilot Warsitz im Vorfeld nicht einmal Rollversuche unternehmen können. Doch der Flug verläuft ohne Zwischenfälle. Warsitz erzählt später, dass er "sofort das Gefühl der völligen Sicherheit" gehabt habe. "Es war herrlich zu fliegen", schwärmt er noch Jahrzehnte nach der Pionierleistung. Einzig das Fahrwerk lässt sich nicht einfahren, doch das Triebwerk und die Maschine funktionieren perfekt.
Ministerium hat kein Interesse an "He 178"
Da Heinkel dem RLM das fertige Produkt vorstellen möchte, ist beim Jungfernflug von offizieller Seite niemand vertreten. Auf Einladung Heinkels zu einem späteren Termin kündigt sich Generalfeldmarschall Hermann Göring an. Doch am 1. November 1939 erscheint lediglich sein Stellvertreter mit einer kleinen Delegation. Interesse an einer Serienproduktion gibt es nicht. Insgesamt zwölf Testflüge absolviert die "He 178", bevor sie im Rostocker Werk bei einem Bombenangriff zerstört wird. Nachbauten des ersten Flugzeugs mit Strahltriebwerk sind im Phantechnikum in Wismar sowie im Flughafen Rostock zu sehen.
Parallele Entwicklung durch Frank Whittle
Von Ohain ist nicht der Einzige, der damals mit Turbostrahltriebwerken experimentiert. Der Engländer Frank Whittle entwickelt unabhängig von Ohain ein ähnliches Triebwerk, das im Mai 1941 seinen Jungfernflug erlebt. Auch bei BMW in München und Junkers in Dessau finden Forschungen in Richtung eines Strahltriebwerks statt. Doch nur Heinkel setzt diese Idee so zügig in die Tat um.
30. März 1941: Erstflug eines zweistrahligen Jagdflugzeugs
Ernst Heinkel lässt seinen Tüftler von Ohain weiter am Strahlantrieb arbeiten, um dem Wunsch des RLM nach einem Jagdflugzeug mit Strahltriebwerken nachzukommen. Aus den Entwürfen und Tests geht die "He 280" hervor. Weil die Triebwerke noch nicht fertig sind, findet die Flugerprobung des Jagdfliegers am 22. September 1940 zunächst im Schleppflug statt. Pilot Paul Bader lässt sich auf der Erprobungsstelle in Rechlin in der "He 280" motorlos von einer umgebauten "He 111" im Schlepptau durch die Luft ziehen. Ein gutes halbes Jahr später ist es soweit: Die "He 280" absolviert am 30. März 1941 den ersten Flug eines zweistrahligen Jagdflugzeugs. Fritz Schäfer dreht eine Platzrunde über dem Testgelände in Rechlin und bringt den Düsenjäger sicher zurück auf den Boden.
Weltpremiere mit Schleudersitz
Der Erstflug ist ein voller Erfolg. Doch danach gerät die Entwicklung ins Stocken. Die Leistungsfähigkeit der Triebwerke bereitet Probleme. Später treten bei Geschwindigkeiten über 800 km/h zudem Schwingungen am Leitwerk der Maschine auf. Heinkel experimentiert weiter mit unterschiedlichen Turbinen und Versuchsflugzeugen. Bei einem Schleppflug der modifizierten "He 280 V1" am 13. Januar 1942 kommt es zu technischen Problemen beim Ausklinken des Schleppseils. Pilot Rudolf Schenk rettet sich mit dem Schleudersitz - der erste Notausstieg der Luftfahrtgeschichte.
Düsenjäger "Me 262" ausgereifter als "He 280"
Doch das Jagdflugzeug ist von der geplanten Serienfertigung weit entfernt. Von den zwölf gebauten Maschinen sind nur neun flugfähig. Im Frühjahr 1943 beendet Heinkel das Projekt aufgrund technischer Probleme und gestoppter Förderung. Denn das Reichluftfahrtsministerium setzt inzwischen auf die technisch ausgereiftere "Me 262" von Messerschmitt, die 1944 in Serienfertigung geht und gegen Ende des Krieges im Luftkampf zum Einsatz kommt. Heinkel und von Ohain haben einer bahnbrechenden Technologie den Weg bereitet. Die Weiterentwicklung und Produktion von Düsenflugzeugen betreiben nun jedoch andere. Dass der Beginn des Düsenzeitalters in Rostock stattgefunden hat, bleibt lange Zeit vergessen.
Enge Verbindung zum NS-Regime
Das Kriegsende bedeutet das Aus für die Heinkel-Werke. Der Großteil der Firmenanlagen wird enteignet, zerstört oder demontiert. Heinkel selbst gilt zwar ein genialer Ingenieur, war aber während der NS-Zeit politisch nicht unbelastet geblieben. Als Mitglied der NSDAP bekam er ab 1933 viele Aufträge der Nationalsozialisten, die er bereitwillig annahm, und wurde 1937 zum Wehrwirtschaftsführer ernannt. Außerdem beschäftigten die Heinkel-Werke während des Zweiten Weltkrieges viele Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge.
Nach Kriegsende versucht Heinkel, sich als Gegner des Nazi-Regimes darzustellen. Dennoch wird er 1948 zunächst von den Alliierten verhaftet, später aber als Mitläufer eingestuft. Die Entlastung gelingt ihm aufgrund seiner Kontakte zum Widerstandskreis um Admiral Canaris in einem Berufungsverfahren.
Lange Zeit standen Heinkels Errungenschaften in der Luftfahrt im Vordergrund seiner historischen Einordnung. Inzwischen sieht die Forschung das Ausbeuten von Zwangsarbeitern und die Übernahme ehemals jüdischer Werke sehr viel kritischer. Viele Wissenschaftler teilen die Auffassung, dass Ernst Heinkel die Möglichkeiten zur Expansion und zu größerem Profit unter dem NS-Regime voll ausgeschöpft hat, ohne Rücksicht oder erkennbare moralische Bedenken.