Ernst Heinkel: Flugzeugbauer und Profiteur des NS-Regimes
Ernst Heinkel war Flugzeugkonstrukteur aus Leidenschaft. Am 1. Dezember 1922 gründete er in Rostock-Warnemünde die Ernst Heinkel Flugzeugwerke. Die Firma entwickelte das erste Düsenflugzeug der Welt - und profitierte vom NS-Regime.
Als Maschinenbau-Student der Technischen Hochschule Stuttgart begeistert sich Ernst Heinkel - geboren am 24. Januar 1888 im baden-württembergischen Grunbach - schon früh für die Fliegerei. Das Zeppelin-Unglück vom 5. August 1908 in Echterdingen bei Stuttgart stellt für ihn einen Wendepunkt dar. Bei einer Notlandung verbrennt das Luftschiff - und für Heinkel ist klar: Die Zukunft der Luftfahrt liegt klar bei den Flugzeugen, mit denen er sich nun intensiv beschäftigt.
Unfälle schmälern Heinkels Faszination am Fliegen nicht
Inspiriert von der internationalen Flugschau 1909 in Frankfurt am Main baut er bereits ein Jahr später sein erstes Flugzeug. Mit dem Doppeldecker unternimmt der Autodidakt zahlreiche Flugversuche auf dem Cannstatter Wasen bei Stuttgart. Nicht alle gelingen: Am 19. Juli 1911 stürzt Heinkel über Untertürkheim aus 40 Metern Höhe ab. Doch auch schwere Brüche und Verbrennungen können seine Faszination vom Fliegen nicht schmälern.
Noch im gleichen Jahr nimmt er eine Anstellung als Konstrukteur bei der Luft-Verkehrs-Gesellschaft AG in Johannisthal bei Berlin an. Parallel dazu absolviert er 1912/13 seine Diplom- und Doktorprüfung und wechselt als Chefkonstrukteur zu den benachbarten Albatros-Werken.
Erste Erfolge - und ein jäher Zwischenstopp
Mit einem aerodynamischen Eindecker gewinnt eine Heinkel-Konstruktion 1913 den großen Bodensee-Wettbewerb - der erste von zahlreichen Siegen in den kommenden Jahrzehnten. Heinkels Flieger erringen bei Seeflugwettbewerben Höhen- und Weitenweltrekorde. Während des Ersten Weltkriegs konstruiert Heinkel als technischer Direktor bei den Hansa Flugzeugwerken in Brandenburg Land- und Wasserflugzeuge, darunter viele Kampfflugzeuge. Nebenher leitet er Flugzeugwerke in Wien und Budapest. Das deutsche Heer und das von Österreich-Ungarn nutzen Flugzeuge, die Heinkel konstruiert hat.
1919 setzen die Bestimmungen des Versailler Vertrages dem Schaffen Heinkels allerdings vorübergehend ein Ende: Bis auf Weiteres ist der Flugzeugbau in Deutschland verboten.
Heinkel sucht sich für seine Flugzeuge Partner im Ausland
Doch Heinkel lässt sich nur für kurze Zeit vom Flugzeugbau fernhalten. Als die Auflagen gelockert werden, gründet er am 1. Dezember 1922 sein eigenes Unternehmen: die Ernst-Heinkel-Flugzeugwerke in Marienehe zwischen Rostock und Warnemünde. Hier entwickelt er seine Flugzeuge vor allem für Auftraggeber aus dem Ausland. Einschränkungen umgeht er, indem er seine Konstruktionen unter Lizenz im Ausland bauen lässt. Ein wichtiger Partner ist Japan, für dessen Kriegsmarine die Rostocker Firma ab 1925 katapultgestartete Wasserflugzeuge und die entsprechenden Katapulte entwirft, die in Schweden gebaut werden. Auch an Dänemark, Finnland, Ungarn, die Sowjetunion, die USA und China verkauft das norddeutsche Unternehmen Maschinen und Lizenzen.
Heinkels Flugzeuge sorgen zudem bei europäischen Flugwettbewerben und im nationalen Passagierbetrieb für Aufsehen. Wegen seiner Verdienste verleiht ihm die Technische Hochschule zu Stuttgart 1925 die Ehrendoktorwürde.
Katapultflugzeuge beschleunigen den Postversand
Auch in der zivilen Luftfahrt sieht Heinkel Möglichkeiten für seine Katapultflugzeuge, nämlich im Postdienst zwischen Europa und den USA. Die Kombination von Schiff und Flugzeug mit den Schnelldampfern des Norddeutschen Lloyd und Katapultflugzeugen, die von Bord der Schiffe abfliegen, verringert die Auslieferung der Post zwischen New York und Berlin um 36 Stunden.
Als die Restriktionen in der deutschen Luftfahrt 1926 erneut gelockert werden, wendet sich Heinkel wieder seinem Lieblingsprojekt zu: der Konstruktion von Hochgeschwindigkeitsflugzeugen. So entsteht Anfang der 1930er mit der "He 70" für die Deutsche Lufthansa das schnellste Passagierflugzeug seiner Zeit, das eine Geschwindigkeit von 362 Kilometern pro Stunde erreicht. Die Universität Rostock belohnt die Leistungen mit einer weiteren Ehrendoktorwürde für Heinkel.
Aufrüstung: Heinkel expandiert unter dem NS-Regime
Unter dem NS-Regime wächst Heinkels Unternehmen. Bereits 1933 tritt er in die NSDAP ein. Im selben Jahr erhalten die Heinkel-Werke Aufträge der deutschen Luftwaffe zur Entwicklung und Herstellung von Kampfflugzeugen. Inzwischen hat Ernst Heinkel drei Konstrukteure und Ingenieure um sich geschart, die sich in seinem Sinne um die Entwicklung kümmern: die Brüder Walter und Siegfried Günter sowie Karl Schwärzler. Heinkel widmet sich vermehrt wirtschaftlichen Belangen und Baumaßnahmen. Im Zuge des zunächst geheimen Aufbaus einer deutschen Luftwaffe expandieren die Heinkel-Werke 1936/37 mit dem Bau eines großen Fertigungswerkes in Oranienburg bei Berlin.
Ebenfalls 1937 wird Heinkel zum Wehrwirtschaftsführer ernannt, ein Jahr später folgt die Auszeichnung mit dem von Hitler gestifteten Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft. Auszeichnungen, die der eigenbrötlerische und dickköpfige Konstrukteur für seine Verdienste im Flugzeugbau und trotz seiner häufigen Konflikte mit Parteifunktionären erhält. Das Haus Heinkel bringt eine Vielzahl von Kampfflugzeugen hervor, oft in Konkurrenz zu den Maschinen der Firma Messerschmitt.
Ernst Heinkel läutet das Düsenzeitalter ein
Flugzeuge schneller zu machen, ist weiterhin Heinkels Hauptziel. Mit Wernher von Braun experimentiert er an einem neuartigen Raketenantrieb. Resultat der Forschungen ist die "He 176", die 1938 als erstes mit Flüssigtreibstoff betriebenes Raketenflugzeug der Welt getestet wird. Als bahnbrechend erweist sich Heinkels Zusammenarbeit mit dem Physiker Hans von Ohain. Dieser erfindet als Chefingenieur der Heinkel-Werke das erste Strahltriebwerk der Welt. Der Jungfernflug des ersten Düsenflugzeugs, der "He 178" im Jahr 1939, ist ein Meilenstein der Luftfahrtgeschichte.
Einsatz von Zwangsarbeitern und Versuche mit KZ-Häftlingen
Um die Produktion von Flugzeugen voranzutreiben, scheut Heinkel sich nicht, Zwangsarbeiter einzusetzen. Bereits 1940 lässt er Häftlinge aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen in seinem Werk in Oranienburg arbeiten - und ist laut dem Historiker Roman Fröhlich damit einer der ersten deutschen Industriellen, der diesen Weg geht. Fröhlich hat sich in seiner 2018 veröffentlichten Doktorarbeit ausgiebig mit Heinkels Rolle während der NS-Zeit auseinandergesetzt.
In einem Gespräch mit der "Rems-Murr-Rundschau" vom 5. Juni 2018 berichtet der Historiker von seinen Erkenntnissen: Neben neuen Flugzeugtypen habe der unermüdliche Tüftler Heinkel an der Entwicklung von Schleudersitzen gearbeitet - und auch hier für die nicht ungefährlichen Versuche auf KZ-Häftlinge als Testpersonen zurückgegriffen. Ebenso wenig moralische Bedenken zeigt Heinkel demnach, als er 1939 ein Metallwerk im tirolerischen Jenbach kauft, dessen jüdischer Besitzer zuvor von den Nazis in den Suizid getrieben worden war.
KZ-Außenlager auf Firmengelände in Oranienburg
Durch den massiven Einsatz von KZ-Häftlingen - zeitweise beschäftigt Heinkel bis zu 10.000 Häftlinge gleichzeitig - produzieren die Heinkel-Werke Kampfflugzeuge in großer Stückzahl. Ab 1942 existiert auf dem Firmengelände ein Außenlager des Konzentrationslagers Sachsenhausen, um dem Personalmangel in der Produktion entgegenzuwirken. In seinen polnischen Betrieben in Mielec und Budzyń, die der stets auf Expansion bedachte Heinkel inzwischen aufgebaut hat, müssen Juden aus den polnischen Ghettos arbeiten.
Enteignung und Demontage der Heinkel-Werke in Rostock
1943 wird das Unternehmen auf Druck der Rüstungsbehörde zur finanziellen Konsolidierung in die Ernst Heinkel AG umgewandelt - rund 50.000 Mitarbeiter sind beschäftigt, darunter viele Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Als Aufsichtsratsvorsitzender hat der bisherige Chef fortan weit weniger Einfluss auf das Firmengeschehen. Neben finanziellen Überlegungen ist nach Ansicht des Heinkel-Experten Hans Dieter Köhler auch der Unmut der Rüstungsbehörde über die Eigenwilligkeit und die Alleingänge Heinkels ein Grund für die Umgestaltung des Unternehmens. Das Kriegsende bedeutet schließlich das Aus für die Heinkel-Werke. Unter der sowjetischen Besatzung wird der Großteil der Firmenanlagen 1945 erst einmal enteignet und in den folgenden Jahren zerstört oder demontiert.
Autobiografie soll Heinkel als NS-Gegner zeigen
Ernst Heinkel selbst wird 1948 von den Alliierten verhaftet. Aufgrund seiner Kontakte zum Widerstandskreis um Admiral Canaris erreicht der Flugzeugpionier in einem Berufungsverfahren dann aber seine Entlastung und die Einstufung als Mitläufer, später als Entlasteter. 1953 bringt Heinkel Mithilfe des Autors Jürgen Thorwald die Autobiografie "Stürmisches Leben" heraus. Darin versucht er, sich als Gegner und Opfer des NS-Regimes darzustellen.
Neuanfang mit Motorrollern
In Stuttgart wagt Heinkel 1950 den Neuanfang. Er baut Motoren und bei der Ernst Heinkel Motorenbau GmbH in Karlsruhe ab 1953 auch Motorroller und Kabinenroller. Letzterer soll der Isetta von BMW den Rang ablaufen. Der Verkaufserfolg bleibt jedoch weit hinter den Erwartungen zurück. Und: Heinkel kann nicht vom Flugzeugbau lassen. 1957 beginnt er erneut, einen entsprechenden Unternehmenszweig aufzubauen.
Daran kann der Unternehmer nicht mehr lange mitwirken: Ernst Heinkel stirbt am 30. Januar 1958 kurz nach seinem 70. Geburtstag an den Folgen einer Gehirnblutung. Zunächst übernimmt sein Sohn Karl-Ernst Heinkel das Unternehmen. Mit dem Aus der Heinkel-Werke 1964 wird die Flugzeugsparte in die Vereinigte Flugtechnische Werke GmbH - Fokker GmbH überführt, heute die PFW Aerospace.
Flugzeugpionier Heinkel: Großer Profiteur von KZ-Arbeitern
Lange Zeit standen Heinkels Errungenschaften in der Luftfahrt im Vordergrund seiner historischen Einordnung. Inzwischen sieht die Forschung das Ausbeuten von Zwangsarbeitern und die Übernahme ehemals jüdischer Werke sehr viel kritischer. Roman Fröhlich etwa kommt in seiner Dissertation "Der Häftlingseinsatz wurde befohlen" zu der Erkenntnis, dass Heinkel sich das NS-System zu Nutze gemacht habe, wenn er davon wirtschaftliche Vorteile hatte. Der Historiker Lutz Budraß von der Ruhr-Uni Bochum ist Experte für Luftfahrtgeschichte. Er erklärte 2013 in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung, "dass Heinkel der größte industrielle Profiteur von Arbeitern aus Konzentrationslagern" war. Inzwischen teilen zahlreiche Wissenschaftler die Auffassung, dass Ernst Heinkel die Möglichkeiten zur Expansion und zu größerem Profit unter dem NS-Regime voll ausgeschöpft hat, ohne Rücksicht oder erkennbare moralische Bedenken.