Ein Gedenkstein mit der Aufschrift "In Gedenken - Peter Deutschmann" liegt auf dem Gelände einer Kirche. © picture alliance/dpa Foto: Philipp Schulze

1999 in Eschede: Neonazis prügeln Peter Deutschmann tot

Stand: 10.08.2024 22:41 Uhr

Am 9. August 1999 verprügeln zwei Neonazis Peter Deutschmann in seiner Wohnung in Eschede brutal. Am nächsten Tag stirbt er im Krankenhaus. Der Sozialhilfeempfänger wird nur 44 Jahre alt. Ein Gedenkstein erinnert an ihn.

von Jochen Lambernd

Sie sollen "den Scheiß mit dem Skinhead-Gehabe" lassen: Weil Peter Deutschmann es gewagt hat, zwei jungen Neonazis seine Meinung zu sagen, muss er kurze Zeit später sterben. Als Reaktion auf Deutschmanns Worte, die sie als Provokation empfinden, dringen die zwei jungen Männer gegen 1.30 Uhr am 9. August 1999 in die Wohnung des damals 44-Jährigen in Eschede im Landkreis Celle ein. Sie schlagen und treten auf Deutschmann ein. Außerdem malträtieren ihn die 17 und 18 Jahre alten Täter mit Glasscherben und zertrümmern seinen Kehlkopf. Ihr Opfer erleidet schwere Schlag- und Schnittverletzungen. Sie lassen es stark blutend zurück. Um zu verhindern, dass Deutschmann Hilfe holt, zerschlagen sie das Telefon. Als Nachbarn seine Hilferufe hören, ist es zu spät. Am 10. August stirbt Peter Deutschmann im Krankenhaus.

Erst insolvent, dann obdachlos

Peter Deutschmann hat damals eine Ehe hinter sich, die Beziehung ist gescheitert. Sozialarbeiterin Marlies Petersen, heute auch Sprecherin des Bündnisses gegen Rechts in Eschede, sagt dem NDR 2024, dass Kleinunternehmer Deutschmann in die Insolvenz geraten und dann in die Obdachlosigkeit abgerutscht sei. Tochter Stefanie ist ein Jahr alt, als sich die Eltern trennen. Der Kontakt reißt ab, erst kurz vor der Tat sehen sich Vater und Tochter zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder. Deutschmann lebt 1999 in einer Sozialwohnung, die die Gemeinde Eschede ihm zugewiesen hat.

"Love, Peace and Harmony" als Credo

Eine Bank, auf der Peter Deutschmann in Eschede häufig saß. © NDR Foto: Angela Hübsch
Auf einer Bank in der Nähe eines Supermarkts hat Peter Deutschmann häufig gesessen.

Petersen erinnert sich an Deutschmann: Er habe lange, lockige Haare gehabt, schon in der Jugend sei "so ein bisschen Protestbewegung dabei" gewesen. Sein Credo: Love, Peace and Harmony. Der Sozialhilfeempfänger habe den Tag oft mit anderen Leuten seiner Gruppe auf einer grünen Bank neben einem Supermarkt verbracht. "Von dort aus hat er den Menschen immer freundlich zugewunken", weiß der ehemalige Pastor von Unterlüß und Mitgründer des Netzwerks Südheide gegen Rechtsextremismus, Wilfried Manneke, 2024 im Gespräch mit dem NDR zu berichten.

Große Liebe zur Musik

Deutschmann mag Reggae-Musik, besonders Bob Marley. Im Ort wird er auch "Hippie" genannt, wie Manneke sagt. Der Musikbegeisterte habe als DJ mit Freunden in der Diskothek "Freedom" im Celler Stadtteil Altenhagen aufgelegt. Wilfried Lilie, ein damaliger Freund und Wegbegleiter, erinnert sich an Peter Deutschmann als einen liebevollen und hilfsbereiten Menschen. "Peter war ein freundlicher, lustiger Mensch, mit dem man gut auskommen konnte und der niemals Streit gesucht hat", sagt Lilie dem NDR 2012.

"Fassungslos über das Tun"

Auf Streit sind aber die beiden Neonazis aus. Ihre Rache für seine klaren Worte artet in einer brutalen Gewalttat aus. "Wir waren fassungslos über das Tun", erzählt 2012 der Vater von Johannes Kneifel, so heißt der 17-jährige Neonazi. "Wir haben uns natürlich gedacht: Hätten wir irgendwie was verhindern können?" Auch Eckhard Nührig, damals Leiter des Internats in Hildesheim, auf das Kneifel gegangen ist, fragt sich, ob man hätte voraussehen können, "dass so etwas Schreckliches passiert".

Tochter Stefanie muss als Erbin die Wohnung ihres Vaters aufsuchen, um die Leerräumung sowie das Begräbnis zu organisieren. Das sei "ein Schock" für sie gewesen, sagt sie dem NDR 2012. "Im ersten Moment habe ich das gar nicht richtig realisiert [...], das kam erst mit der Zeit."

Fünf Jahre Jugendstrafe für die Neonazis

Die beiden Neonazis werden zu fünf Jahren Jugendstrafe verurteilt - wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung mit Todesfolge. Einen politischen Hintergrund erkennt das Landgericht Lüneburg laut "Zeit" 2010 nicht. Marco S., der damals 18 Jahre alte Täter, machte laut Manneke Peter Deutschmann auch dafür verantwortlich, dass sein Vater mit Drogen in Kontakt gekommen war. Der Vater war mit dem Sozialhilfeempfänger befreundet. Marco S. taucht noch während der Haft weiter in die Neonazi-Szene ein. Er soll sich Manneke zufolge sogar mit der Tat in Eschede gebrüstet haben und wird nach seiner Entlassung erneut mehrfach straffällig. In nur wenigen Jahren gibt es mehr als 50 Ermittlungsverfahren gegen ihn und er kommt wieder in Haft. Erst vor einigen Jahren soll er aus der rechten Szene ausgestiegen sein.

Kehrtwende bei einem der Täter

Auch der 17 Jahre alte Täter, Johannes Kneifel, gilt damals als sehr gefährlich, ist polizeibekannt und hat sich schon länger offen zu seiner politischen Position bekannt. Im Gefängnis ist er zunächst noch ein "harter Hund". Aber der junge Mann ist auch intelligent und willensstark. Noch in der Haft vollzieht er eine Kehrtwende. Er wendet sich der Kirche zu und wird religiös. Nach seiner Strafe beginnt er ein Studium der Evangelischen Theologie, um Pastor zu werden. Und er schreibt ein Buch: 2012 erscheint "Vom Saulus zum Paulus: Skinhead, Gewalttäter, Pastor - meine drei Leben". Außerdem hält er Vorträge gegen Rechtsextremismus. Später wechselt Kneifel zur Katholischen Kirche und zieht in die Nähe von Frankfurt am Main, wie er der "Welt" 2019 erzählt. Er wird wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Pastoraltheologie. Laut Manneke arbeitet er auch als Pastoralreferent.

Zwei Menschen mit Regenschirmen vor einer bunt mit Schriftzeichen und Symbolen bemalten Wand © picture alliance/chromorange
AUDIO: Johannes Kneifel - "Vom Saulus zum Paulus" (2 Min)

Dass Deutschmann eine Tochter hat, erfährt Kneifel erst 2012 während der Dreharbeiten zu dem Film "Vom Mörder zum Pastor". Diese Information erschüttert ihn: Er hat nicht nur einen Mann getötet, sondern auch einer jungen Frau ihren Vater genommen.

Ein langer Weg bis zu einem Gedenkstein in Eschede

Die Amadeu Antonio Stiftung zählt in Deutschland von 1990 bis 2024 insgesamt 219 Todesopfer rechtsextremer Gewalt und 16 weitere Verdachtsfälle. Allein zehn Opfer stammen aus Niedersachsen. 

In Eschede kommt der Wunsch nach einem Gedenkstein für Peter Deutschmann auf. Am 10. August 2010 steht ein provisorischer Gedenkstein aus Pappmaché für kurze Zeit unweit des Tatorts. Die Gemeinde, die sich laut Petersen sehr für den Kampf gegen Rechtsextremismus einsetzt, tut sich zunächst schwer mit einem dauerhaften Stein. Es folgen eine langwierige Kontroverse und ein mühsamer Prozess, um doch noch einen Gedenkstein für Peter Deutschmann zu errichten. Ein Arbeitskreis befasst sich von 2012 an mit dem Thema. Er schlägt dann Standort und Beschriftung vor. Schließlich stimmt der Gemeinderat zu. Am 10. August 2013 wird an der Escheder Johanniskirche der Gedenkstein enthüllt.

Jedes Jahr wird in Eschede an seinem Todestag an Peter Deutschmann erinnert, unter anderem vom Netzwerk Südheide gegen Rechtsextremismus, vom Celler Forum gegen Gewalt und Rechtsextremismus und vom Bündnis gegen Rechts in Eschede.

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