Massenvernichtung im KZ: Zyklon B und die Händler des Todes
Die Hamburger Firma Tesch & Stabenow hat Konzentrationslager mit dem Giftgas Zyklon B beliefert. Mit dem Prozess gegen die Chefs kommen ab dem 1. März 1946 erstmals Unternehmer für ihre Beteiligung am Holocaust vor Gericht.
Die Dosen mit dem tödlichen Giftgas waren sorgfältig verpackt und etikettiert. Darauf der Herstellername: "Tesch u. Stabenow, Hamburg 1 - Messberghof". Im Zweiten Weltkrieg beliefert das Unternehmen mehrere Konzentrationslager mit Zyklon B. Mit dem Gift, ursprünglich zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt, ermorden die Nazis allein in Auschwitz mehr als 900.000 Menschen.
Zyklon B beschert Tesch & Stabenow gute Umsätze
Bis heute steht der Name des Blausäuregases Zyklon B für den industriell organisierten Massenmord. Für das Schädlingsbekämpfungs-Unternehmen Tesch & Stabenow, kurz "Testa", ist Zyklon B aber vor allem eines: ein lukratives Geschäft. In den Jahren 1942/43 steigt der Gewinn der Hamburger Firma sprunghaft an - von 40.000 Reichsmark auf 120.000 Reichsmark im Jahr 1943. Ein besonders guter Kunde ist die SS - die Organisation verwaltet die Konzentrationslager. Allein 1943 liefert die Firma 12.000 Kilogramm Zyklon B nach Auschwitz.
Giftgas Zyklon B: "Effektiv" für die Massenvernichtung
Anfangs nutzt die SS das Mittel, um in den KZ-Baracken Schädlinge wie Ratten, Wanzen oder Schaben zu bekämpfen. Ab September 1941 setzt sie Zyklon B erstmals ein, um gezielt Menschenleben zu vernichten. Bei einem ersten "Test" werden in Auschwitz 600 sowjetische Kriegsgefangene vergast. Lagerkommandant Rudolf Höß erscheint das Mittel so effektiv, dass er entscheidet, dass in Auschwitz künftig vorrangig mit Zyklon B gemordet werden soll. Schon bald töten die Nazis Hunderttausende Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Kriegsgefangene, politische Gefangene und andere Häftlinge in eigens gebauten Gaskammern mit dem Giftgas der Hamburger Firma.
Qualvoller Tod durch Ersticken
Der Tod durch das Blausäuregas Zyklon B ist grauenvoll. Auf krampfartige Schmerzen folgt qualvolles Ersticken. In den Gaskammern kämpfen sich die Stärkeren nach oben, wo sie noch etwas länger Luft holen können. Die Schwachen bleiben unten und sterben zuerst, sodass sich die Leichen in den Gaskammern pyramidenförmig stapeln.
Lehrgänge der Firma Tesch & Stabenow zu KZ-Einsätzen
Der Chemiker Bruno Tesch ist damals Chef des Unternehmens Tesch & Stabenow. Mehrmals reist er in verschiedene Konzentrationslager. Dort gibt er Lehrgänge, auf denen die SS-Männer die Anwendung des Giftgases erlernen. Einer, der an einem dieser "Desinfektoren-Lehrgänge" unter Teschs Leitung teilnimmt, ist der SS-Mann Wilhelm Bahr. Im September und November 1942 beteiligt er sich im Hamburger KZ Neuengamme an der Vergasung von insgesamt 448 sowjetischen Kriegsgefangenen mit Zyklon B, wie er nach dem Krieg bestätigt. Da es in Neuengamme keine Gaskammer gibt, wirft er das Zyklon B durch eine Dachluke in den abgedichteten Arrestbunker. Bahr wird für seine Verbrechen 1946 hingerichtet.
Himmler setzt sich persönlich für die Firma ein
Als die Büroräume von Tesch & Stabenow am 30. März 1945 bei einem Luftangriff auf Hamburg zerstört werden, zeigt sich, welch große Bedeutung die Firma für die SS hat. SS-Chef Heinrich Himmler bittet die Hamburger Baupolizei persönlich, das Unternehmen beim Wiederaufbau zu unterstützen. In einem Schreiben erklärt er, es sei "im Interesse des Reichsführer SS, daß die Firma Tesch & Stabenow so bald wie möglich in der Lage ist, ihre Arbeit wieder aufzunehmen".
1. bis 8. März 1946: Tesch als Kriegsverbrecher vor Gericht
Wenige Wochen später ist der Krieg beendet. Mit der "War Crime Investigation Unit" setzen die Briten in Norddeutschland ein Ermittler-Team ein, das NS-Verbrecher dingfest machen soll, wie das Doku-Drama "Nazijäger - Reise in die Finsternis" in der ARD-Mediathek zeigt. Es dauert noch bis zum 3. September, bis Bruno Tesch und Karl Weinbacher, zweiter Geschäftsführer der Firma, sowie der Techniker Joachim Drosihn am 3. September 1945 in den Firmenräumen verhaftet werden. Ein ehemaliger Buchhalter der Firma, Erich Sehm, hatte sie angezeigt. Vom 1. bis zum 8. März 1946 müssen sie sich als Kriegsverbrecher für ihre mutmaßliche Beteiligung am Massenmord in den Konzentrationslagern vor dem britischen Militärgericht verantworten. Es ist der erste Kriegsverbrecherprozess der britischen Militärjustiz im Hamburger Curiohaus.
Was wusste Bruno Tesch?
Dort bestreitet Tesch, gewusst zu haben, dass mit Zyklon B Menschen ermordet wurden. Er habe geglaubt, das Gift diene ausschließlich zur Desinfektion und Entlausung. Doch mehrere Zeugen belasten ihn schwer: Eine Sekretärin etwa erinnert sich, dass Tesch ihr nach einem Diktat davon erzählt habe, dass Zyklon B auch zur Ermordung von Menschen genutzt werde. Und Erich Sehm, der ehemalige Buchhalter, schildert vor Gericht, wie er 1942 in den Firmenunterlagen zufällig auf einen Geschäftsreisebericht gestoßen sei. Darin habe Tesch vor "führenden Persönlichkeiten der Wehrmacht" den Vorschlag gemacht, Blausäure für die Ermordung von Menschen "genauso einzusetzen wir bei der Vernichtung von Ungeziefer".
Hingerichtet am 16. Mai 1946
Seinen Stellvertreter Weinbacher belasten die Zeugen nicht. Das Militärgericht folgt jedoch der Auffassung der Staatsanwälte, nach der Weinbacher "alles, was Tesch wusste, bekannt gewesen sein musste". Am 8. März 1946 verurteilen die Richter Tesch und Weinbacher zum Tod durch den Strang. Am 16. Mai 1946 werden sie im Hamelner Zuchthaus hingerichtet. Den Techniker und langjährigen Mitarbeiter der Firma, Joachim Drosihn, spricht das Gericht frei.
Bronzetafel am Meßberghof erinnert an die Händler des Todes
Der Meßberghof - das Geschäftshaus, in dem Tesch & Stabenow seinen Sitz hatte - ist bis heute erhalten. Der imposante Backsteinbau, der ursprünglich nach dem bekannten Reeder und Chef der Hamburger Hapag, Albert Ballin, benannt war, liegt im Hamburger Kontorhausviertel, gegenüber vom bekannten Chilehaus. Die Nazis hatten das Gebäude 1938 wegen der jüdischen Herkunft Ballins 1938 umbenannt.
Seit 1997 erinnert eine schlichte Bronzetafel daran, dass das Unternehmen Tesch & Stabenow, das in den 1940er-Jahren das Giftgas Zyklon B an Konzentrationslager lieferte, dort seinen Sitz hatte - nach anfänglichem Widerstand der Deutschen Bank als damaliger Eigentümerin des Baus. Das Unternehmen hatte "negative Auswirkungen auf die Vermietbarkeit des Objekts" befürchtet.
"Der Tod kam aus Hamburg"
Bei der Einweihung der Tafel im Juni 1997 erklärt Gabriele Fenyes von der Jüdischen Gemeinde in Hamburg: "Hier stehe ich und weiß, dass der Tod aus Hamburg kam. Das ist ein schrecklicher Zusammenhang."