"Lord von Barmbeck": Ganoven-König vor 100 Jahren verurteilt

Stand: 01.04.2024 00:04 Uhr

Um 1920 ist Julius Adolf Petersen Hamburgs berüchtigster Einbrecher-König. 1922 gesteht der umtriebige Ganove ganze 49 Fälle, am 31. März 1924 wird er verurteilt. Unter dem Titel "Lord von Barmbeck" wurde sein Leben verfilmt.

von Marc-Oliver Rehrmann, NDR.de

"Bei uns in der Familie haben wir immer gut über den 'Lord von Barmbeck' gesprochen", erzählt Astrid Mayer, als sich der NDR mit ihr 2015 trifft. Die Hamburgerin weiß damals viel zu erzählen über den legendären Einbrecherkönig der frühen 1920er-Jahre, der mit bürgerlichem Namen Julius Adolf Petersen hieß. Mayer hatte den Nachlass ihrer Großtante Frida Goedje übernommen, die lange Zeit Weggefährtin und Geliebte des "Lords von Barmbeck" war - bis zu seinem tragischen Tod 1933 in einer Hamburger Gefängniszelle. Die Dokumente geben tiefe Einblicke in das Denken und Handeln des "Lords", dessen Geschichte auch 1973 verfilmt wurde.

Julius Adolf Petersen: Der Ganove mit "Stil"

Julius Adolf Petersen ist schon zu Lebzeiten eine Legende gewesen. Die Hamburger Zeitungen berichten ausführlich über den ausgebufften Einbrecher, der auch als Ausbrecher von sich reden machte. Das "Hamburger Fremdenblatt" gab Petersen den Beinamen "Lord von Barmbeck" - benannt nach dem Hamburger Arbeiterviertel, in dem Petersen einst eine Kneipe führte (und das sich seit 1946 "Barmbek" schreibt). Petersen legte Wert auf tadellose Kleidung und ging wohl nie ohne seinen steifen, schwarzen Hut aus, so berichteten es Zeitgenossen. Auch mit seinen Manieren und seiner Schlagfertigkeit hob er sich von den raubeinigen Verbrechern seiner Zeit ab.

Der "Lord von Barmbeck" - ein hanseatischer Robin Hood?

"Mir ist schon als Kind immer erzählt worden, dass der 'Lord von Barmbeck' die Reichen beklaut und den Armen gegeben hat. Und so ist es wohl auch gewesen", so Astrid Mayer, die durch Gespräche mit ihrer Großtante Frida Goedje schon in jungen Jahren viel über den "Lord" erfuhr. "Einmal soll er fünf spielende Arbeiterkinder in einem Barmbecker Kaufhaus neu eingekleidet haben - um sie dann mit einem schönen Gruß vom 'Lord von Barmbeck' nach Hause zu schicken." Ist Julius Adolf Petersen also ein hanseatischer Robin Hood gewesen?

Mit 13 Jahren ist Petersen erstmals im Gefängnis

Der spätere "Lord" wächst in einfachen Verhältnissen auf, sein Vater ist Arbeiter in einer Zigarrenfabrik. Geboren wird Julius Adolf Petersen im Oktober 1882 in einer engen Hamburger Kellerwohnung. Schon früh gerät er auf die schiefe Bahn. Im zarten Alter von 13 Jahren wird er zu fünf Tagen Gefängnis verurteilt. Er hatte einem Spielkameraden - im Tausch für ein paar Bonbons - eine gut gefüllte Geldbörse abgenommen, die dieser gefunden hatte. Aber die Sache kommt heraus. Und nachdem er im Klassenzimmer einem Lehrer, der ihm gerade ein paar Hiebe mit dem Rohrstock auf den Hintern verabreicht, ein voll gefülltes Tintenfass ins Gesicht geworfen hat, wagt er sich vier Wochen lang nicht nach Hause - und lernt als 13-Jähriger, sich mit kleinen Diebstählen und Gaunereien in der Großstadt durchzuschlagen. "In diesen vier Wochen hatte ich Gift getrunken, Gift in vollen Zügen", erinnert sich der "Lord" später. Und so landet Petersen als 18-Jähriger für ein paar Jahre im Gefängnis.

Als Kneipenwirt mit Polizisten geprügelt

Szene aus dem Spielfilm "Der Lord von Barmbeck": Martin Lüttge (rechts) in der Hauptrolle. © picture alliance/United Archives Foto: IFTN
Eine Szene aus dem Spielfim "Der Lord von Barmbeck" von 1973: Kneipenwirt Petersen (rechts) legt sich mit einem Polizisten an.

Von 1904 bis etwa 1908 verdingt sich Petersen als Kneipenwirt in Barmbeck. Aber auch hier kann er sich dem Verbrechermilieu nicht entziehen. "In dieser Tätigkeit als Wirt lernte ich manchen Kunden kenne, dem ich hätte lieber weit aus dem Weg gehen sollen", schreibt der Lord in seinem Memoiren. Zum Ansehen in Ganoven-Kreisen trägt bei, dass Petersen sich nicht scheut, sich mit einem Schutzpolizisten zu prügeln, der einen Gast abführen will. Auch den herbeieilenden zweiten Schutzmann befördert Petersen unsanft auf die Straße. "Dieser Auftritt machte mich im weiten Umkreis unter den Elementen zum Held. Meine Wirtschaft saß jetzt ständig voll, der ordentliche Bürger räumte zweifelhaftem Publikum das Feld", so Petersen. Die Wirtschaft läuft sehr gut. "Denn sie war das Eldorado der Einbrecher und Kohlenarbeiter", meinte einmal Adolfs kleiner Bruder Arnold.

"Besondere Verdienste" hat Petersen mit einem illegalen Spiel-Club, den er nach der Sperrstunde "bis in den hellen Morgen hinein" in der Kneipe unterhält. "Ich musste das Licht durch schwarze Vorhänge abblenden, damit die patrouillierenden Polizisten von außen nicht sehen konnten, dass in dem Lokal noch Betrieb war." 1908 wird Petersen erneut zu einer mehrjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Die Familie gibt die Kneipe daraufhin auf.

Verliebt in die "Blondine" der Heilsarmee

Szene aus dem Spielfilm "Der Lord von Barmbeck": Judy Winter als Ehefrau Helmi © picture alliance/United Archives Foto: IFTN
Helmi Petersen, die Ehefrau des "Lord von Barmbeck", soll ausgesprochen attraktiv gewesen sein. Im Film von 1973 wird sie von Judy Winter gespielt.

Die Frauen spielen eine besondere Rolle im Leben des "Lords". Sie verschaffen ihm immer wieder dringend benötigte Alibis für die Nächte, in denen er seine Einbrüche begeht. Als Gegenleistung bedenkt er sie mit Schmuck oder Geld aus der Beute. Aber eine Frau hat es ihm besonders angetan: In seiner Zeit als Kneipenwirt verliebt er sich in eine "Blondine von der Heilsarmee" mit dem Namen Helmi - so schildert Petersen es zumindest in seinem Memorien. Sie soll eine bildschöne Frau gewesen sein. 1911 heiraten die beiden, aber die Ehe verläuft alles andere als glücklich. Denn Helmi verkehrt am liebsten in vornehmen Kreisen, mit den Gangster-Freunden ihres Mannes kann sie nichts anfangen. Petersen wiederum klagt, die hohen Ansprüche seiner Frau hätten ihn zu immer neuen Straftaten bewogen.

"Ohnmächtig an dieses Weib gekettet"

1915 wird ihr einziger Sohn Adolf geboren, genannt "Hatzel". Der "Lord" leidet unter seiner gefühlskalten Frau, die seine leidenschaftliche Liebe offenbar nicht erwidert. Und doch kommt er lange Zeit nicht von ihr los. "Wie war es möglich, an dieses Weib ohnmächtig gekettet zu sein? Losreißen dünkte mich wie ewige Nacht, sie um mich haben das Paradies", erinnert sich Petersen später. Gemeinsam durchstehen sie den Ersten Weltkrieg - auch wenn er zwischenzeitlich wieder im Gefängnis sitzt. Petersen darf nicht als Soldat in den Krieg ziehen, weil er als Berufsverbrecher gilt. Während des Krieges stiehlt Petersen auch Butter und Zigarren, um die Not zu lindern.

Ein liebestoller Nachtwächter beim Post-Raub

Das ehemalige Postamt in der Susannenstraße (Aufnahme von 2015) © NDR Foto: Marc-Oliver Rehrmann
Die Petersen-Bande hat 1920 auch das Postamt in der Susannenstraße - hier ein Bild von 2015 - ausgeraubt. Inzwischen gibt es die Filiale nicht mehr.

Nach dem Kriegsende hat Petersen seine größte Zeit als Einbrecher. Er gilt als Spezialist für Geldschränke, die er in Handarbeit aufbohrt. Oder er öffnet den Tresor auf die "Bettentour": Er schleicht sich nachts in das Schlafzimmer des Hausbesitzers, um aus dem Nachttisch den Tresor-Schlüssel zu entwenden. Sein spektakulärster Einbruch aber ist der Überfall auf das Postamt 6 in der Susannenstraße - im heutigen Schanzenviertel.

Am 29. September 1920 schleichen sich Petersen und seine sechs Komplizen an das Postamt heran. Sie haben leichtes Spiel: Der einzige Nachtwächter ist abgelenkt. "Wir amüsierten uns über die Liebschaft, die der Wächter mit einem Mädchen hatte", schilderte Petersen den Raub. Sie lassen ihn gewähren und brechen ein Kellerfenster auf. "Der Wächter in seinem Liebesrausch hörte nichts davon." Als das Mädchen das Gebäude verlassen hat, sperren sie den verdutzten Nachtwächter in einen Kleiderschrank. "Ich gab dem Wächter die Hand und sagte, ihm geschehe nichts", so Petersen. Dann räumen sie den Geldschrank leer. Die sagenhafte Beute: 221.000 Mark in Bargeld und 335.000 Mark in Briefmarken.

Überfall auf Geldtransport in Western-Manier

Szene aus dem Spielfilm "Der Lord von Barmbeck" von 1973: Überfall auf eine Kutsche. © picture-alliance / dpa Foto: constantin film
Bei dem Überfall auf den Geldtransport der Farmsener Trabrennbahn fällt ein Schuss - der Kutscher wird verletzt. Das Bild zeigt eine Szene aus dem Spielfilm von 1973.

Ein weiterer Coup der Petersen-Bande ist der Überfall auf einen Geldtransport der Farmsener Trabrennbahn im selben Monat. Im Western-Manier stürmen sie die Kutsche auf offener Straße - und entkommen.

Schnell fällt in den Hamburger Zeitungen der Name Petersen - so auch im "Hamburger Fremdenblatt". Der "Lord" fürchtet um seinen Ruf - und entschließt sich zu einer gewagten Aktion: Er taucht in der Redaktion auf und weist in gespielter Empörung die Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Geldtransport-Überfall zurück. "Ich bin kaufmännischer Angestellter und habe mit der Sache nichts zu tun", teilt Petersen mit. "Und wenn es Sie interessiert: Ich bin überhaupt kein Einbrecher, sondern höchstens Ausbrecher! Meine letzte Straftat liegt zwölf Jahre zurück." Das "Hamburger Fremdenblatt" druckt prompt am nächsten Tag eine Gegendarstellung - die Redakteure sind dem "Lord von Barmbeck" auf den Leim gegangen. Sein Anteil an der Trabrennbahn-Beute: 40.000 Mark.

Pension für Geliebte mit Beutegeld gekauft

Das Haus in den Colonnaden 21, in dem einst der "Lord von Barmbeck" eine Pension kaufte. © NDR.de Foto: Marc-Oliver Rehrmann
In diesem Haus (Aufnahme von 2015) in den Colonnaden in Hamburg hat Julius Adolf Petersen 1921 von seinem Beutegeld eine Pension gekauft.

Der "Lord" ist nun ein reicher Mann. Zumal er auch weiter in illegalen Spielklubs mitmischt. Doch er selbst lebt eher bescheiden. Von einem Teil des ergaunerten Geldes kauft er im Januar 1921 seiner Geliebten Frida Goedje für 100.000 Mark eine Pension in den Colonnaden in Alsternähe. Die Ehe mit Helmi ist längst zerrüttet, im Frühjahr 1921 folgt die Scheidung. Frida Goedje kennt er schon von Kindesbeinen an, sie waren für einige Zeit Nachbarn. Später laufen sie sich immer wieder über den Weg, Petersen bändelt nach dem Ersten Weltkrieg mit ihr an. Er wohnt nun meistens bei ihr in der Pension - wenn ein Zimmer frei ist. Von seinen nächtlichen Beutezügen bringt er immer wieder Diebesgut in die Pension, um es dann zu verkaufen.

Im Kleiderschrank verhaftet

Frida Goedje hat sich nicht gerne an diese Zeit erinnert. "Ich musste für alles sorgen in der Pension. Da hielt er mich schon wie eine Gefangene", schreibt sie Ende 1921 in einem Brief. Den Pensionsgästen gibt Petersen sich als ihr Bruder Adolf aus. Eine Frau, die monatelang in der Pension wohnte, schildert später, wie Petersen seine Geliebte Frida geschlagen und misshandelt hat. "Meiner Ansicht nach stand sie vollständig unter seinem Einfluss", gibt die Zeugin bei der Polizei zu Protokoll. So ist es auch kein Zufall, dass Petersen im Juni 1921 nach einem Einbruch in einem Wäschegeschäft in der Pension verhaftet wird. Frida Goedje öffnete der Polizei die Tür und leugnete seine Anwesenheit. Doch die Polizisten lassen sich nicht abwimmeln und erwischen Petersen, "wie er gerade einem Kleiderschrank entstieg". Auch Goedje wird verhaftet.

Das Märchen mit dem Verlobten aus den USA

In den Verhören gibt Frida Goedje zunächst an, dass ihr Verlobter aus den USA das Geld für den Kauf der Pension spendiert hat. Sein Name sei John Black gewesen, aber aus welcher Stadt er komme, könne sie nicht mehr sagen. Er sei immer zwischen Hamburg und den USA hin- und hergefahren. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges habe er ihr dann für Notzeiten 80.000 Mark zur Verfügung gestellt. Später wird Goedje von diesem "Märchen" abrücken und einräumen, dass Petersen die Pension erworben hat. Einen Verlobten in den USA hat sie nie gehabt.

Heimliche Nachrichten in Urin-Schrift

Nun hat die Polizei den "Lord von Barmbeck" nach jahrelanger Suche gefasst. Doch Petersen denkt nicht daran, sich zu ergeben. Aus dem Gefängnis heraus organisiert er sich ein Alibi für den Einbruch in das Wäschegeschäft: Er sei zur Tatzeit auf der Verlobungsfeier seiner Schwester gewesen. Doch diese Feier im Hause seiner Mutter gab es nicht, der "Lord" lässt aber sogar einen Verlobungsring mit dem passenden Datum anfertigen. Mit seinen Verwandten spricht er Details ab. Doch am Ende fliegt die Sache auf. Immer wieder gelingt es Petersen, Kassiber, also heimliche Nachrichten, aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Viele von ihnen sind in Urin-Schrift verfasst, damit die Wärter die Botschaften nicht entdecken.

Der "Lord" liegt fünf Monate lang in Folterketten

"Während meiner fast zweijährigen Untersuchungshaft kämpfte ich die ersten zehn Monate mit dem Untersuchungsrichter hart auf hart", schreibt Petersen später. "Selbst die Folterketten, die mir allabendlich fünf Monate lang angelegt wurden, bis mir die Handgelenke anschwollen und entzwei gingen, konnten mich seelisch nicht derart deprimieren, daß ich die gewünschten Geständnisse ablegte. Wie der Untersuchungsrichter sah, daß er mit seinen 15 Pfund Folterketten nichts erreicht, änderte er seine Taktik. Er deckte mir alle Karten auf über Geständnisse von Mitschuldigen auf, die mich als Mittätter belasteten. Auch diese Kartenaufdeckung bewog mich nicht zum Geständnis."

Geständnis von Frida Goedje: Er brachte Unglück über mich

Eine historische Aufnahme von Frida Goedje, der Geliebten des "Lords von Barmbeck". © Privat
Nach langer Einzelhaft legt Frida Goedje ein Geständnis ab - und bricht mit dem "Lord von Barmbeck" - vorerst.

Seine Geliebte Frida Goedje hat auch ein Geständnis abgelegt. Monatelange Einzelhaft hatten sie zermürbt - und so packt sie im November 1921 aus. "Ich hätte es auch schon eher gesagt, wenn ich nicht zu sehr im Banne von Petersen gestanden hätte und auch seine Rache hätte fürchten müssen, daß er mir etwas angetan hätte, falls ich ausgesagt hätte", so Frida Goedje. "Heute weiß ich, daß ich für Petersen nur Mittel zum Zweck war." Sie sagt dem Untersuchungsrichter, sie wolle sich endgültig von Petersen lossagen. "Zu viel Unglück brachte er über mich, und über andere."

Was aber wusste Frida Goedje von den Verbrechen? Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass sie "über sein ganzes Leben und seine Tätigkeiten im Bilde war". Petersen hingegen hilft seiner Geliebten mit der Aussage: Er habe stets verborgen, dass er Diebstähle begehe. Frida Goedje selbst schreibt damals: "Ich hatte wohl gewusst, daß Petersen keinen guten Lebensruf hatte." Aber von den ganzen Verbrechen habe sie erst nach ihrer Verhaftung erfahren. 13 Monate sitzt Goedje in Untersuchungshaft, vor Gericht wird sie freigesprochen.

Warum legte der "Lord" 1922 sein Geständnis ab?

Auch Petersen gibt schließlich seinen Widerstand auf: Am 20. April 1922 legt der "Lord von Barmbeck" ein umfassendes Geständnis ab. Er schildert darin 49 Verbrechen, die er in den zurückliegenden Jahren in Hamburg begangen hatte. Er nennt alle Komplizen, die bei einem Einbruch dabei waren - und schreibt nieder, wie jeder Einbruch im Einzelnen über die Bühne ging.

Warum Petersen sich letztlich zu dem Geständnis entschied, ist unklar. In seinen Memorien schweigt er sich darüber aus. Wenige Wochen zuvor hatte er jedoch an seinen jüngeren Bruder Arnold, der ebenfalls in Haft saß, geschrieben: "Würden sie die Mutter laufen lassen, wäre ich bereit alles zuzugeben, ob ichs gemacht habe oder nicht." Denn auch die Mutter sitzt seit Monaten im Gefängnis, weil sie in ihrer Wohnung Diebesgut ihres Sohnes verwahrt haben soll. Aber Petersen ist offenbar unsicher, ob sich der Untersuchungsrichter an eine solche Absprache halten würden. Und so bittet er seinen Bruder: "Bietet sich in nächster Zeit mehr Überzeugung, dass die Mutter freikommt, dann lasse uns beide ein Geständnis machen und niemanden schonen. Dann wollen wir beide unser Schicksal tragen wie Männer."

Möglicherweise sieht Petersen aber auch ein, dass seine Lage durch die Geständnisse seiner Komplizen inzwischen aussichtslos ist. Und so macht er reinen Tisch. "Geradezu phänomenal wirkte mein Geständnis auf alle Richter", hält Petsersen in seinen Memoiren fest. "Die Gefängnistore öffneten sich für mich, ich konnte mich im Sommer 1922 täglich auf freiem Fuß bewegen." Zumindest bis zum Herbst 1922, als der Prozess beginnt.

"Überall war ich Gegenstand der Sensation"

Steinportal mit Hamburg-Wappen und zwei Steinfiguren über dem Haupteingang zum Strafjustizgebäude des Landgerichts Hamburg. © picture-alliance dpa Foto: Christian Charisius
Die Verhandlungen über die Verbrechen von Petersen und seiner Bande finden im Strafjustizgebäude in Hamburg statt.

Der Prozess gegen den "Lord von Barmbeck" ist in Hamburg eine Sensation. Die Zeitungen breiten genüsslich die Einzelheiten aus. Petersen schreibt dazu: "Mein Geständnis hatte in der Öffentlichkeit großes Aufsehen gemacht. Überall war ich Gegenstand der Neugier und der Sensation, die durch sensationelle Zeitungsartikel nicht unbedeutend aufgebauscht wurde." Jedes Verbrechen wird einzeln verhandelt - für den Postraub erhält der "Lord von Barmbeck" beispielsweise sechs Jahre Zuchthaus. Insgesamt summieren sich die Einzelstrafen auf mehr als 50 Jahre. Die Einzelstrafen werden im Urteil vom 31. März 1924 aber zu einer Gesamtstrafe von 15 Jahren Zuchthaus zusammengezogen.

"Noch zwei Jahre nach meiner Verurteilung kamen Besucher in die Strafanstalt, die mich sehen wollten", heißt es in den Memoiren des "Lord von Barmbeck", die er um 1927 im Zuchthaus Fuhlsbüttel verfasst. "Selbst der Senat ließ mich einmal kommen. Heute, nachdem ich sieben Jahre verbüßt habe, ist die Erinnerung an meine Person abgeflaut. Die Neugier ist befriedigt."

Der "Lord von Barmbeck" bekommt eine Chance

Im April 1932 erhält Petersen dann die Chance, ein Leben außerhalb der Gefängnismauern zu führen: Er wird wegen guter Führung zunächst für ein halbes Jahr "probeweise beurlaubt" und kann das Gefängnis verlassen. Gut drei Jahre vor Ende seiner Haftzeit. Immer wieder hatte der "Lord" beteuert, dass er mit seinem früheren Leben gebrochen habe. Er zieht wieder zu Frida Goedje in die Pension. Doch es gelingt ihm nicht auf Dauer, sich von dem Verbrecher-Milieu fernzuhalten. Im Juni 1933 wird er erneut verhaftet: Er soll sich mit dem Einbrecher Ernst Hannack zusammengetan haben und mit seinem Bruder Arnold eine Falschgeld-Bande gegründet haben. Petersen bestreitet die Falschgeld-Vorwürfe.

Der letzte Ausweg - in der Gefängniszelle erhängt

Die Kirche St. Johannes in Hamburg-Harvestehude. © NDR.de Foto: Marc-Oliver Rehrmann
An der St. Johannis-Kirche in Hamburg will Petersen im Herbst 1933 der Polizei den Raumbörder Hannack ausliefern - doch der Plan scheitert.

Er kommt im Juli erneut auf freien Fuß - wahrscheinlich weil er versprochen hat, Hannack der Polizei auszuliefern. Doch der Plan scheitert: Hannack schießt Petersen bei einem Treffen in Hamburger Stadtteil Harvestehude an und entkommt. Zwei Tage später, am 26. Oktober 1933, werden beide verhaftet. Das "Hamburger Fremdenblatt" meldet: "Festgenommen wurde gestern der 51-jährige Adolf Petersen, der in dringendem Verdacht steht, mit dem bereits festgenommenen Raubmörder Hannack mehrere Einbruchdiebstähle durchgeführt zu haben." Vier Wochen später erhängt sich der "Lord von Barmbeck" in seiner Gefängniszelle. Es ist der 21. November 1933. Ein Wärter findet ihn. "Petersen hatte sich mit zwei zusammengeknoteten Strümpfen und mit Hilfe eines Taschentuchs an dem Haken der Luftklappe erhängt", heißt es im Bericht des Wächters.

"Er war ein Verbrecher durch und durch"

Warum entschied sich Petersen zum Selbstmord? In einem Verhör wenige Stunden vor seinem Tod sagte er, er werde ja wahrscheinlich nie wieder aus dem Gefängnis entlassen werden. Inzwischen hatten die Nationalsozialisten das Sagen in der Stadt. "Und als Berufsverbrecher wäre er unter den Nazis wohl nicht mehr freigekommen", so Schriftsteller Jürgen Ehlers vor einigen Jahren. Ehlers hat 2008 ein Buch über den "Lord von Barmbeck" geschrieben und glaubte nach seinen Recherchen nicht, dass Petersen nach seiner Beurlaubung 1932 die ehrliche Absicht hatte, ein ehrenwertes Leben zu führen: "Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er versucht hat, als ehrlicher Bürger Fuß zu fassen." Auch das Bild vom hanseatischen Robin Hood oder einen Verbrecher mit feinen Manieren deckt sich nicht mit Ehlers Kenntnissen, die er unter anderem im Hamburger Staatsachriv gesammelt hat: "Er hat sich bemüht, als Gentleman aufzutreten, aber er war kein Gentleman. Er war ein Verbrecher durch und durch."

Petersens Memorien erst 1973 veröffentlicht

Nach seinem Tod gerät der "Lord von Barmbeck" schnell in Vergessenheit. Seine Memoiren werden erst 1973 veröffentlicht. Man hatte lange Zeit geglaubt, das in Schreibschrift verfasste Manuskript sei bei den Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden. Im selben Jahr sendet der NDR ein sechsteiliges Hörspiel, Schauspieler Uwe Friedrichsen spricht den "Lord von Barmbeck". Im Vorspann wird dem Verfasser eine "verblüffende erzählerische Begabung" attestiert. Ebenfalls 1973 erscheint der Film "Der Lord von Barmbeck" mit Martin Lüttge in der Titelrolle. Das Werk erhält zwei Bundesfilmpreise und einen Bambi als bester deutscher Film. Und so lebt die Legende über den "Lord von Barmbeck" wieder auf.

Die lange Suche nach dem Grab

Es bleibt aber lange ein Rätsel, wo Julius Adolf Petersen bestattet wurde. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg? Lange habe man nach dem Grab gesucht, heißt es 2015 auf Anfrage des NDR von der Friedshofsverwaltung. Auch im Archiv seien entsprechende Dokumente nicht aufzufinden gewesen. Doch dann spürt NDR.de den Grabbrief auf - im Privatbesitz von Astrid Mayer, der Großnichte von Frida Goedje. Aus dem Dokument geht hervor, dass der "Lord von Barmbeck" Ende November 1933 auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet wurde. Auch die genaue Grabstelle ist verzeichnet. Um die Pflege des Grabs kümmerte sich - bis zu ihrem Tod im Jahr 1959 - Frida Goedje, die nach einer Heirat nun Frida Regeser hieß. Der Grabstein ist nicht mehr erhalten. Archivdokumente zeigen: Das Grab wurde 1963 aufgelöst.

Die Hand auf dem Foto

Eine historische Aufnahme aus dem Jahr 1911 zeigt Adolf Petersen, auch "Lord von Barmbeck" genannt. Seine ehemalige Lebenspartnerin hat sich aus dem Bild herausgeschnitten. © Polizeimuseum Hamburg
Ein Zeichen der Trennung: Sich selbst hat Frida Goedje aus dem Foto herausgeschnitten.

Astrid Mayer als Hüterin des Nachlasses von Frida Goedje und der letzten Dokumenten des "Lord von Barmbeck" erzählte vor einigen Jahren: "Meine Mutter, die eine Nichte von Frida Goedje war, sagte mir vor ihrem Tod: Gib gut auf die Sachen acht." Zu ihrem Erbe gehören etliche Schwarz-Weiß-Fotos, die ihre Großtante zeigen - oft mit einem Hund an ihrer Seite. Und das einzig erhaltene Foto von Julius Adolf Petersen, das bislang nur in einer retuschierten Fassung bekannt war. Es zeigt Petersen in feiner Kleidung auf einem Stuhl sitzend. Auf der Stuhllehne sieht man noch die Hand einer weiteren Person. "Das ist die Hand von meiner Großtante, die das Foto später zerschnitten hat", so Mayer.

Eine Häkel-Decke aus dem Gefängnis

Von ihrer Großtante erbte Mayer noch eine Häkel-Decke, die diese im Gefängnis angefertigt hatte. In den 1970er-Jahren führte sie eine Zeit lang die Pension von Frida Goedje weiter. "Aber auf Dauer war das zu anstrengend, also habe ich die Pension verkauft", so Mayer. Die Pension, die einst der "Lord von Barmbeck" mit seinem Beutegeld gegründet hatte, gibt es immer noch in den Colonnaden. Zwar ein paar Häuser weiter und unter neuen Besitzern, aber mit dem alten Namen: "Bei der Esplanade".

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Hamburg Journal | 03.12.2023 | 19:30 Uhr

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