Stand: 22.09.2015 14:11 Uhr

Aller Welt Feind, doch des Zuschauers Freund

Als die ersten Zuschauer eingelassen wurden, stand noch der Maler auf der Bühne und strich die letzten Kulissen an. Auf dem unbefestigten Hang standen Bänke für die Zuschauer bereit. Und jeder pyrotechnische Effekt war ein Experiment mit unbekanntem Ausgang. Mit viel persönlichem Engagement und Herzblut begannen am 3. Juli 1993 in Ralswiek auf Rügen die ersten Störtebeker-Festspiele. Den fantastischen Erfolg der Theater-Show konnte damals noch keiner ahnen.

Bei Regen wurde die Platzsuche zum rutschigen Abenteuer

Direkt am Wasser des Jasmunder Boddens liegt die Naturbühne in Ralswiek. Schon von 1959 bis 1961 wurde dort im Sommer ein paar Wochen lang Theater gespielt. Auch zu DDR Zeiten - Anfang der 80er-Jahre - gab es noch einige Aufführungen. Man habe eine grüne Wiese vorgefunden, auf der zu DDR-Zeiten ein paar Bänke aufgestellt worden seien, erinnert sich der heutige Bürgermeister Herbert Knüppel an die Anfänge. Zwei kleine Bühnen und ein unbefestigter Zuschauerraum. Bei schlechtem Wetter gab es regelmäßig Schwierigkeiten, seinen Sitzplatz zu erreichen, so Knüppel.

Die ersten Zuschauer überraschten den Kulissenmaler bei der Arbeit

Nach der Wende wollte die Gemeinde Ralswiek die Bühne wieder aufleben lassen und fand in Familie Hick die idealen Theatermacher. Peter und Ruth Hick kamen mit ihrer Tochter Anna 1993 nach Rügen und machten aus dem unbefestigten Hang eine Sitzplatztribüne mit gut 8.800 Plätzen. Immer wieder fanden die Helfer bei den Umbau-Arbeiten Relikte aus alter Theaterzeit, berichtet Anna Hick heute. Flaschen und Keramikteile aus den 50er-Jahren mit Störtebeker-Symbolen und sogar Kinderspielzeug konnte man finden, so Hick. Anna Hick war erst neun Jahre alt als das erste Abenteuer "Wie einer Pirat wird" im Sommer 1993 dann tatsächlich Premiere feierte. Das Tor wurde noch zu Ende gestrichen, als die ersten Zuschauer bereits Einlass hatten, erinnert sich Hick an die abenteuerliche Premiere.

"Wo bitte geht es zum Campingplatz?"

Abenteuerlich auch manche Anekdote, die im Laufe der Jahre zusammengekommen ist: Wie die von dem älteren Ehepaar, dass mitten in der Adlershow mit ihrem Wohnwagen über einen Nebeneingang auf die Bühne rollte und nach dem Campingplatz Banzelvitz fragte. Der Falkner baute das Ehepaar kurzerhand in die Vorstellung ein, sehr zur Belustigung des Publikums.

Jede Explosion ein Experiment

Fred Bräutigam vor einer brennenden Kugel. © NDR Foto: Fred Bräutigam
Heute weiß er, wie es geht. Zu den Anfängen musste viel experimentiert werden, berichtet Fred Bräutigam.

Pyrotechniker Fred Bräutigam ist einer der wenigen im heutigen Störtebeker-Ensemble, der von Anfang an und bislang in jeder Piraten-Saison mit dabei war. Damals habe man sich schon bei jeder Explosion gefragt, ob das so klappe, so Bräutigam. Sein erster Koggenkampf auf dem Wasser samt dem Versenken eines Schiffes sei Neuland für ihn gewesen. Heute jagt Bräutigam mit seinem Team vier Kilogramm Schwarzpulver in die Luft – pro Vorstellung. In einer gesamten Saison kommen so über 1,5 Tonnen Feuerwerk zur Explosion.

Vom Theaterspaß zum Wirtschaftsfaktor

Überhaupt ist alles viel größer geworden auf der Naturbühne. Über 150 Mitwirkende sind jeden Abend vor und hinter der Bühne am Werk. 30 Pferde gehören zum Team, genauso wie vier Koggen, Adler und eine eigene Stunt-Crew. Jedes Jahr investiert Familie Hick mehrere Millionen Euro in die neuste Störtebeker-Produktion. Ob als Darsteller oder Helfer hinter der Bühne – auch als Arbeitgeber für Menschen in der Region sind die Festspiele inzwischen ein wichtiger Faktor auf Rügen. Im kommenden Jahr geht es für den Piraten "Auf Leben und Tod" - wahrscheinlich wieder mit spannenden Geschichten auf und abseits der Bühne.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Kulturjournal | 22.09.2015 | 19:05 Uhr

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