Das Hamburger Rathaus: Wie Phönix aus der Asche
Mehr als 50 Jahre müssen die Hamburger nach dem Großen Brand 1842 ohne Rathaus auskommen. Am 26. Oktober 1897 wird der Neubau an der Kleinen Alster eingeweiht. Er ist prunkvoll und steckt voller Raffinessen.
Zwar ist dieser 26. Oktober 1897 ein Dienstag - für Hamburg aber ein wahrer Festtag. Öffentliche Gebäude und die Schiffe im Hafen sind beflaggt. Die Kinder haben schulfrei und ab neun Uhr morgens werden von den Türmen der fünf Hauptkirchen Choräle gesungen.
Besonders prunkvoll - und extrem teuer
Eine Stunde später erklingt auf dem Rathausmarkt festliche Orchestermusik und gegen elf Uhr ziehen die Senatoren im vollen Ornat in den großen Festsaal ein, in dem bereits 650 geladene Gäste versammelt sind: hohe Beamte und Offiziere in Uniform, Diplomaten im buntgestickten Frack, Geistliche im Talar, Mitglieder bedeutender Hamburger Familien und die Bürgermeister benachbarter Städte mit ihren schweren goldenen Amtsketten.
Sie alle sind gekommen, um der Einweihung eines wichtigen Gebäudes beizuwohnen. Nach vielen Jahren des Streites und der Diskussionen wird das neue Rathaus eingeweiht. Elf Jahre sind seit der Grundsteinlegung vergangen. Die auf rund 4,5 Millionen Goldmark veranschlagten Baukosten haben sich auf 11 Millionen mehr als verdoppelt, heute wären das um die 100 Millionen Euro. Dafür ist der Neubau aber auch besonders prunkvoll. "Wir werden uns an die Eleganz und die vielen großen Räume erst gewöhnen müssen", bekennt Bürgermeister Johann Georg Mönckeberg.
55 Jahre hat Hamburg kein Rathaus
55 Jahre lang waren Senat und Bürgerschaft heimatlos und nur notdürftig in Ausweichquartieren wie dem Waisenhaus an der Admiralitätsstraße untergebracht: Während des "Großen Brandes" im Mai 1842 musste das alte Rathaus an der Trostbrücke gesprengt werden, um eine Ausbreitung des verheerenden Feuers zu verhindern. Seitdem wurden zahlreiche Architektenwettbewerbe veranstaltet, fast 200 Entwürfe vorgelegt - und allesamt abgelehnt.
Architekt Martin Haller bringt Bewegung in die Sache
Erst als Martin Haller, der Sohn eines Hamburger Senators, die Initiative übernimmt, kommt Bewegung in die Sache. Der studierte Architekt macht den Rathausbau zu seinem Lebenswerk und gründet 1880 den Rathausbaumeisterbund. Die Vereinigung von neun Hamburger Architekten kann mit ihrem opulenten Entwurf überzeugen und sich ab 1886 ans Werk machen.
Hamburgs Rathaus: Auf tausenden Eichenpfählen erbaut
Rund 4.000 Eichenpfähle von zwölf Metern Länge müssen dafür in den sumpfigen Boden am neuen Standort an der Kleinen Alster gerammt werden. Darüber gießen die Bauarbeiter ein meterdickes Betonfundament, auf dem später der massive Sockel aus Bornholmer Granit errichtet wird. Die 111 Meter lange Sandstein-Fassade im Stil der deutschen Renaissance und das Dach verzieren zahlreiche Kupferfiguren deutscher Kaiser, Schutzpatrone der sieben Hamburger Kirchspiele wie St. Petrus oder St. Paulus sowie Abbildungen verdienter Persönlichkeiten und Wappen wichtiger Hansestädte wie Lübeck, Königsberg und Amsterdam.
Ein 112 Meter hoher Turm überragt als Zeichen der Macht alle Gebäude der Innenstadt, die während des Wiederaufbaus nach dem Großen Brand neu errichtet wurden. An dieses Aufbauwerk erinnert unter der großen Uhr der legendäre Vogel Phönix, der aus der Asche steigt, und ein Relief des alten Rathauses mit der Jahreszahl 1842.
Niedrige Flügelbauten verbinden das Hauptgebäude mit der Börse, die Nähe symbolisiert die enge Verbindung zwischen den Politikern und den Kaufleuten der Stadtrepublik. Der Brunnen im Rathaushof ist Hygieia, der griechischen Göttin der Gesundheit gewidmet - eine Mahnung an die Cholera-Epidemie, der nur fünf Jahre zuvor 8.605 Menschen zum Opfer gefallen sind.
Der Hygieia-Brunnen als Klimaanlage
Der Brunnen ist ein technisches Wunderwerk: Erschaffen vom Bildhauer Joseph von Kramer fungiert er als Eingang einer Klimaanlage, die das Rathaus mit Frischluft versorgt. In seinem Sockel sind Öffnungen angebracht, durch die frische, vom ständig fließenden Brunnenwasser gekühlte Luft angesaugt und mithilfe elektrisch betriebener Ventilatoren in die einzelnen Amtsstuben und Säle geleitet wird. Die auf gleiche Weise abgezogene Abluft wird zum Turm geleitet, wo sie durch Öffnungen im Helm austritt.
Im Winter wird mit Fernwärme geheizt - mit Dampf, der in den Kesseln der elektrischen Zentrale in der Poststraße erzeugt und durch unterirdische Rohrleitungen ins Gebäude geführt wird.
Sitz von Regierung, Parlament und Behörden
In dem neuen Gebäude arbeiten Senat, Bürgerschaft, Finanz-Deputation, das Staatsarchiv und weitere Behörden fortan unter einem Dach. Schon bald nach seiner Eröffnung kann die Bevölkerung das Rathaus besichtigen. Noch bis 1901 wird allerdings weitergebaut - und am ursprünglichen Entwurf angeblich so viel geändert, dass Martin Haller mit seinem Lebenswerk bricht. Bis zu seinem Tod 1925 soll er das Gebäude nicht mehr betreten haben.
647 Räume befinden sich im Inneren des Rathauses, darunter zahlreiche große und kleine Säle und Sitzungsräume. Das Herzstück bilden der Senatssaal, in dem die Stadtregierung bis heute ihre Beratungen abhält, und der Sitzungssaal der Bürgerschaft, die Volksvertretung der Hansestadt. Im März 1919 wird sie erstmals demokratisch von allen volljährigen Hamburgerinnen und Hamburgern gewählt.
Der Rathausmarkt wird Platz für Demonstrationen
Immer wieder wird das Rathaus zum Ziel politischer Proteste: 1906 demonstrieren Tausende aufgebrachte Arbeiter gegen eine geplante Verschärfung des Wahlrechts, in der Revolution im November 1918 übernimmt der sozialistische Arbeiter- und Soldatenrat die Macht, bei der Kundgebung "Kampf dem Atomtod!" warnt Bürgermeister Max Brauer im April 1958 die mehr als 120.000 Demonstranten vor einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr. Und im Oktober 1983 versammeln sich hier Zehntausende Demonstranten gegen den NATO-Doppelbeschluss.
Immer wieder kommen Staatsgäste
Zahlreiche hohe Gäste haben die Ersten Bürgermeister im Rathaus schon empfangen, darunter gab es auch einige denkwürdige Begebenheiten. Haile Selassie etwa, der Kaiser von Äthiopien, lässt 1954 zwei Elefantenzähne und zwei Speere als Gastgeschenk überreichen, den Schah von Persien empfangen 1967 protestierende Studenten. Nach altem Brauch erwartet der Bürgermeister die Gäste am oberen Ende der Rathaustreppe. Nur Paul Nevermann geht der Queen 1965 einige Stufen entgegen.
Heute ist das Rathaus noch immer Regierungssitz, Verwaltungszentrale und Parlamentsgebäude - sowie eine der Top-Sehenswürdigkeiten der Stadt. Es ist täglich für Besucher geöffnet, in der Diele laden Bänke zum Verweilen ein. Und wie vor 125 Jahren sprudelt noch immer frisches Trinkwasser in das metallene Becken neben der mächtigen Eingangstür.
Hamburg feiert sein Rathaus mit einer Festwoche
Anlässlich des 125. Rathaus-Geburtstages möchte die Hansestadt das Gebäude für möglichst viele Menschen erlebbar machen. Mitmachen können Interessierte zum Beispiel bei der Foto-Ausstellung "Ein Haus für alle", aber auch Rathausführungen und historische Rundgänge finden im Rahmen der Festwoche noch bis zum 27. Oktober statt. Das komplette Programm und einen digitalen Rundgang durch den Sitz von Bürgerschaft und Senat gibt es auf der Website zum Jubiläum.