Was für ein Tag: Der Queen-Besuch in Hamburg
Hamburg steht Kopf, als Königin Elizabeth II. Ende Mai 1965 im Rahmen ihrer Deutschland-Reise auch die Hansestadt besucht. Doch für Bürgermeister Paul Nevermann wird der umjubelte Staatsbesuch politisch zum Verhängnis.
28. Mai 1965, Sonnenuntergangszeit. Queen Elizabeth II. und Prinz Philip stehen an der Reling der königlichen Jacht "Britannia" im Hamburger Hafen und winken hoheitsvoll. Die Queen trägt ein funkelndes Diadem und eine schneeweiße Pelzstola. Eine Königin wie aus dem Märchen, finden die Hamburger, die sich zu Zehntausenden an der Elbe versammelt haben. Sie erleben eine eindrucksvolle Flaggenparade am letzten Tag des "Staatsbesuchs des Jahrhunderts", wie es in den damaligen Medien heißt. Elf Tage hat die Queen Deutschland bereist. Hamburg ist ihre letzte Station, von hier tritt sie jetzt die Rückreise an.
Die Bilder von damals erinnern an heutige Hafengeburtstage, so viele Schiffe sind auf der Elbe unterwegs. Nur der Glamourfaktor ist ungleich höher. Keine Bier- und Fischbrötchenbuden in Sicht, stattdessen gibt sich jede Menge elegante Politprominenz die Ehre. Die Männer der Marine stehen aufgereiht wie Zinnsoldaten auf den deutschen Zerstörern "Hamburg" und "Schleswig-Holstein". Schiffssirenen heulen, unzählige Barkassen setzen Lichter in der Dämmerung. Boote der Hafenfeuerwehr schießen hohe Wasserfontänen in den Himmel. Gruß und Geleit für die Königin, die die Hamburger bei ihrem Besuch so gefeiert haben, als wäre es ihre eigene.
"Grandios" und "märchenhaft" titelt die Presse
Die damaligen Zeitungen überschlagen sich in ihren Berichten über den großen Tag mit Superlativen, die für den heutigen Leser ungewohnt euphorisch klingen. "Grandios", "triumphal", "unvergleichlich", "märchenhaft", "überwältigend" oder "unvergesslich" - das sind nur einige der Beschreibungen. Das "Hamburger Abendblatt" fasst es so zusammen: "Ein Schauspiel, wie es Hamburg in seiner 1.000-jährigen Geschichte noch nicht erlebt hat."
Staatsbesuch löst Affäre um Bürgermeister Nevermann aus
Was die Queen wohl allenfalls am Rande mitbekommt: Hinter den Kulissen brodelt es gewaltig. Grund sind Eheprobleme des Ersten Bürgermeisters Paul Nevermann. Er führt die Queen zwar den ganzen Tag souverän durch die Stadt - aber seine Frau ist nicht dabei. Kurz vor dem Eintreffen der britischen Königin hat Grete Nevermann überraschend ihre Teilnahme abgesagt. Eine Katastrophe für das strenge Protokoll. Ausgerechnet den stets um ein seriöses Erscheinungsbild bemühten Hanseaten muss das passieren! Mit Mühe wird ein Kompromiss gefunden. Die Ehefrau des Zweiten Bürgermeisters, Ilse Engelhard, springt als "First Lady" ein.
Dass die Ehe des Bürgermeisters am Ende ist und seine Zuneigung einer anderen Dame gehört, ist in der SPD bekannt. Doch laut Absprachen soll Grete Nevermann weiterhin offizielle Termine an der Seite ihres Mannes wahrnehmen, um den Schein zu wahren und Unruhe zu vermeiden. Doch als Paul Nevermann sich nicht so diskret verhält wie ausgemacht und sich mit der Geliebten in der Öffentlichkeit zeigt, platzt der Ehefrau der Kragen. Ein gefundenes Fressen für die Springer-Presse, die über den Vorfall berichtet und den Rücktritt des Bürgermeisters fordert.
Ein perfekter Tag mit "Elizabeth! Elizabeth!"-Rufen
Doch davon ist am Tag des Staatsbesuchs zumindest nach außen nichts zu spüren. Alles geht perfekt über die Bühne. Als die Queen morgens am Dammtor-Bahnhof ankommt, warten schon unzählige royale Fans. Auf all ihren Wegen durch die Hansestadt jubeln ihr die Hamburger zu. "Elizabeth! Elizabeth!" ist überall zu hören, britische Flaggen, soweit das Auge reicht. Hamburg im Ausnahmezustand, das ist auch eine Herausforderung für die Sicherheitskräfte. Mehr als 6.000 Beamte sind im Einsatz, nennenswerte Probleme gibt es nicht. "Wir hatten nicht einmal einen Taschendieb", zitiert das "Hamburger Abendblatt" später die Kripo. Allerdings verzeichnen die Beamten demnach einige Ohnmachtsanfälle aufgeregter Damen.
Auf dem Programm der Queen steht unter anderem eine Alsterrundfahrt. Sie schaut einer Regatta zu und trifft prominente Sportler. Später besucht sie eine Schule und trägt sich beim großen Empfang im Rathaus ins Goldene Buch der Stadt ein. "Dies ist in der Geschichte der Beziehungen zu Hamburg ein großer Augenblick", sagt Bürgermeister Nevermann. "Alte, weit in die Vergangenheit zurückreichende Verbindungen werden in einer solchen Stunde erneuert und unsere gegenwärtigen Verbindungen noch fester gestaltet."
Verabschiedung mit "Muss i denn zum Städtele hinaus"
Die spätere Flaggenparade zum Abschluss des Besuchs setzt dem Ganzen schließlich die Krone auf. Majestätisch schiebt sich die königliche Jacht in der Abenddämmerung die Elbe hinauf - begleitet von unzähligen Schiffen. Zum Abschied gibt es noch ein Ständchen: "Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus".
Für Paul Nevermann ist der Queen-Besuch sein letzter großer Auftritt als Hamburger Bürgermeister. Aus Sorge bei der anstehenden Bundestagswahl Stimmen zu verlieren, setzt die SPD ihn wegen seiner Eheprobleme unter Druck und diskutiert sogar seinen Rücktritt. Anfang Juni gibt Nevermann sein Amt auf.