Kurt Schumacher in Hannover: Der Geburtshelfer der SPD
Kurt Schumacher, unumstrittene Führungsfigur der Nachkriegs-SPD, wird am 13. Oktober 1895 in Culm geboren. Nach dem Verbot in der NS-Diktatur baut er die Partei ab 1945 von Hannover aus neu auf.
Altbauten, Kopfsteinpflaster und das Ihme-Zentrum gleich um die Ecke. Die Jacobsstraße in Hannover-Linden ist eine Straße wie so viele in dem Viertel im Westen der Stadt. Und doch hat sich hier Historisches abgespielt. Kurt Schumacher, Ikone der SPD, hat von hier aus die Neugründung der Sozialdemokratie nach dem Zweiten Weltkrieg vorangetrieben.
Erster Weltkrieg kostet Schumacher den Arm
Geboren wird Kurt, der ursprünglich Curt geschrieben wird, am 13. Oktober 1895 im westpreußischen Culm (heute das polnische Chełmno). 1914 meldet er sich freiwillig für den Ersten Weltkrieg - an der Ostfront verliert er seinen rechten Arm. Zum Jurastudium geht er nach Halle und Leipzig, anschließend verschlägt es ihn nach Württemberg. Dort, in Stuttgart, arbeitet er als Redakteur für eine SPD-Zeitung. Bereits seit 1918 ist er Mitglied der Partei, ab 1924 sitzt er auch im Landtag.
Odyssee durch die KZ des "Dritten Reichs"
Mit nicht einmal 35 Jahren wird er 1930 für die SPD in den Reichstag gewählt. Doch knapp drei Jahre später wird der Mandatsträger zum Verfolgten im NS-Regime. Die SPD wird verboten und Schumacher, einer der Co-Autoren von Otto Wels' berühmter Rede gegen das sogenannte Ermächtigungsgesetz, zum steckbrieflich gesuchten Staatsfeind. Im Juli 1933 wird Schumacher in Berlin festgenommen. Es beginnt eine zehnjährige Odyssee durch Konzentrationslager des "Dritten Reiches": Erst Heuberg und Oberer Kuhberg (heute beides Baden-Württemberg), es folgen Dachau und Flossenbürg (heute beides Bayern).
Befreiung in Hannover im April 1945
Eine zwischenzeitliche Entlassung ist nur von kurzer Dauer. Denn nach dem gescheiterten Anschlag auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 rächen sich die Nazis systematisch an alten Widersachern - auch an solchen, die gar nicht am Attentat beteiligt waren wie Schumacher. Die "Aktion Gitter" beginnt und er wird erneut verhaftet und muss weitere Haftzeiten im KZ Neuengamme und der Außenstelle in Hannover-Ahlem überstehen. Die endgültige Befreiung kommt erst, als US-amerikanische Truppen am 10. April 1945 in Hannover einmarschieren.
"Büro Schumacher" nimmt Arbeit auf
Schumacher bliebt in Hannover und beginnt von dort aus unverzüglich mit der Aufbauarbeit der SPD. Nicht einmal einen Monat nach der Ankunft der Alliierten wird er Leiter des "Büros Schumacher" und Parteichef der Stadt. Und dass, obwohl Parteien in den Besatzungszonen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erlaubt sind. Etwa ein halbes Jahr später folgt die Wennigser Konferenz vor den Toren Hannovers. Hier wird die SPD im Oktober 1945 offiziell aus der Taufe gehoben - zum zweiten Mal in ihrer Geschichte.
Triumph über Otto Grotewohl
33 Delegierte aus zehn Bezirken sind angereist. Am Ende setzt sich Schumacher mit seiner Linie gegen die Gruppe um Otto Grotewohl, den späteren Ministerpräsidenten der DDR, durch. Die Quintessenz: Keine Kooperation mit der KPD, wie Grotewohl sie befürwortet. An dem Mann aus Culm führt jetzt kein Weg mehr vorbei. Im Mai 1946 wird er zum Parteivorsitzenden gewählt, sein Büro in Linden zur inoffiziellen Parteizentrale. Schumacher ist das unangefochtene Alphatier in der SPD. Und das lässt er durchblicken.
Willy Brandt: "Er bat nicht, er forderte"
"Er bat nicht, er forderte. Er wog nicht Argumente ab, sondern schleuderte das Ergebnis seines Nachdenkens in den Zuhörerkreis - und dies mit erheblichem Stimmaufwand", schrieb etwa der spätere Bundeskanzler Willy Brandt in seinen Memoiren. "Die außerordentliche Wirkung, die von diesem Politiker ausging, erklärt sich aus der geballten Energie, mit der er ans Werk ging", schrieb Schumachers langjährige Weggefährtin in der SPD, Annemarie Renger.
Gutes Netzwerk - autoritärer Führungsstil
Doch wie schaffte es Schumacher, in der chaotischen Nachkriegszeit eine schlagkräftige Partei auf die Beine zu stellen? "Er verfügte über eine enorme Durchsetzungskraft. Dazu war er durch seine Arbeit als Redakteur in Stuttgart und als Reichstagsabgeordneter bestens vernetzt", sagt Meik Woyke, Historiker und Geschäftsführer der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung. Ein autoritärer Führungsstil habe die Ära Schumacher geprägt. "Er duldete niemanden um sich herum", so Woyke weiter.
Ehrengrab in Hannover-Ricklingen
Etwa drei Jahre kämpft Schumacher als Oppositionsführer gegen Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU). Doch Kriegsverletzungen, die Folgen der langen Haftzeiten und unzählige Zigaretten holen ihn ein: 1951 erleidet Schumacher einen Schlaganfall. Im Jahr darauf, am 20. August 1952, stirbt er im Alter von nur 56 Jahren. Seine Beerdigung wird zur kollektiven Verbeugung. Hunderttausende säumen die Straßen. "Es war ein Bekenntnis für die Arbeiterbewegung", so Historiker Woyke. Schumacher wird in Hannover-Ricklingen beigesetzt - genau wie Linden eine Bastion der SPD.
Kampf gegen "rotlackierte Faschisten"
Was aber bleibt von diesem Mann? Schumacher stellte das Ziel der deutschen Wiedervereinigung von Anfang über die von Adenauer forcierte West-Integration der Bundesrepublik in den späteren NATO-Block. Weiter focht er gegen jedwede Form von Extremismus - egal ob von links oder von rechts. Er kämpfte unermüdlich gegen eine Union von SPD und KPD, denn Kommunisten waren für ihn "rotlackierte Faschisten", die Befehle aus Moskau erhielten. Und: Er definierte das Amt des Oppositionsführers im Bundestag. Keine Totalverweigerung, sondern konstruktive Kritik an der Regierung, das war sein Credo.