Kriegsende 1945: Kunst für Kohle
Nach der Kapitualtion 1945 beginnt die "Stunde Null", auch für Hamburgs Theater. Die Briten fördern den Kulturbetrieb und Ida Ehre gründet noch im selben Jahr die Kammerspiele.
Der Zweite Weltkrieg endete mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 in Berlin. Der Kollaps des NS-Staates wird auch als "Stunde Null" bezeichnet. Doch gab es die wirklich? Das Wort klingt nach Tabula Rasa, nach reinem Tisch. Nur: Das "Vorher" war ja noch da: alte und junge Nazi-Größen, vergiftete Anschauungen und deren Kultur. Hamburgs Theater mussten nach Kriegsende komplett neu anfangen. Nach dem Krieg waren die meisten zerstört, vor allem aber: Der braune Ungeist musste raus. Einen Neuanfang ermöglichten Theaterkünstler, die trotz Verfolgung durch die Nazis den Mut hatten, hier etwas Neues aufzubauen. Und da hatte Hamburg wirklich Glück mit der Theater-Legende Ida Ehre.
"Eiskalt war es, die Menschen saßen in Decken und in Mänteln eingehüllt und unser Atem ging runter, und der Atem des wenigen Publikums kam herauf zu uns, da waren so vielleicht 25, 30 Menschen da, und nach drei Wochen war das Theater voll," erinnerte sich die Schauspielerin 40 Jahre nach Kriegsende.
1945: Kunst für Kohle
Theater 1945, das hieß: Eiseskälte in baufälligen Theatersälen, ein Kohlebrikett als Eintrittskarte, als Lohn für die Schauspieler. "Die Schauspieler wurden mit Kohle bezahlt," erzählt der Schauspieler Peter Maertens. Daran könne man sehen, wie sehr die Hamburgerinnen und Hamburger ihr Theater liebten, obwohl die nicht ihre Säle heizen konnten, sagt der Hamburger Historiker Nils Steffen.
Deutsches Schauspielhaus weitgehend intakt
Als der Krieg am 8. Mai 1945 zu Ende ging, als Hamburg befreit wurde, lag die Stadt in Trümmern. Fast alle Bühnen der Stadt auch. Eine der wenigen weitgehend intakten Theater war das Schauspielhaus. Die Briten beschlagnahmten das Haus, nannten es Garrison Theatre und nutzen es zur Unterhaltung ihrer eigenen Truppen in der Stadt. Erst 1948 wurde es an die Deutschen zurückgegeben. Das eigentliche Schauspielhausensemble war bis dahin sozusagen heimatlos, spielte im Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof.
Alliierte förderten Kulturbetrieb
"Die Alliierten wussten um die Bedeutung von Kultur und ihre Wirkung, so wurden die Theater in vielen Städten Deutschlands gefördert, nicht zuletzt auch, weil man darin die Möglichkeit zur Entnazifzierung und Demokratisierung durch Kultur sah", so sagt Nils Steffen. Auf den Spielplänen standen vor allem deutsche Klassiker, wie "Faust" oder "Nathan der Weise". Nach und nach kehrten Regisseure und Regisseurinnen und Schauspielerinnen und Schauspieler zurück, die von den Nazis verfolgt worden waren. Und mit ihnen kam ein neuer Geist auf die Bühne. "So wurde das Theater nach und nach von einer Institution der staatlich gelenkten Bildung wieder mehr zu einem Ort der Gesellschaftskritik, einem Raum der Kunst, in dem die Fragen der Zeit verhandelt wurden", so Nils Steffen.
Nachkriegs-Theater: Trümmer beseitigen
Aber erst mal aber hieß es aufräumen und Trümmer beseitigen. Vom Thalia Theater stand nur noch das Vorderhaus. Die Staatsoper hatte Vorderhaus und Zuschauersaal verloren. Ida Ehre und viele ihrer Schauspielerkollegen wollten jetzt nur eins: "Dieses ganze Geröll weg, aus einem selbst das Geröll weg, um einen herum alles das, dass man wieder atmen kann mit seinem Verstand, mit seinem Herzen, ohne dass jemand dreinredet, wenn man was sagt."
Ida Ehre war Jüdin. Sie starb am 16. Februar 1989 in Hamburg. Sie hatte bereits eine beachtliche Karriere vor 1933 hinter sich und die Nazi-Zeit im KZ Fuhlsbüttel nur knapp überlebt. Jetzt, 1945, bot sich ihr diese Chance. Ein englischer Offizier mit Wiener Wurzeln gab sie ihr. "Eines Tags kam er zu mir und sagte: mit Genehmigung der Militärregierung, das Theater ist für Sie frei. Da hatte ich ein Theater und wusste noch gar nicht, was ich anfangen soll," so die Schauspielerin.
Ida Ehre eröffnet Kammerspiele
Es war das ehemalige jüdische Logenhaus in der Hartungstraße, die heutigen Kammerspiele. Am 15. Dezember 1945 wurden sie eröffnet. In kürzester Zeit holte Ida Ehre ein Spitzenensemble an ihr Haus. Sie konnte die modernsten Stücke aufführen. Ein "Theater der Menschlichkeit" sollte es werden. Statt Nazi-Propaganda holte sie neueste Autoren aus dem Ausland, Stücke wie "Wir sind noch einmal davongekommen", "Der Trojanische Krieg findet nicht statt", später Sartres "Die Fliegen". Das Haus füllte sich, erinnert sich Ida Ehre: "Mein Publikum saß bei Halbfunzellampen im Zuschauerraum und hat geguckt."
1947: Uraufführung "Draußen vor der Tür"
Unvergessen, natürlich, 1947 die Uraufführung von Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür". Aber 1945 galt erst mal: Improvisieren. Das weiß auch Peter Maertens, Sohn von Willi Maertens, des langjährigen Intendanten des Thalia Theaters. 1945 sollte er nur übergangsweise als Intendant wirken - daraus wurden 18 Jahre. "Das zeigt, dass improvisierte Sachen in Hamburg manchmal länger halten als die Regeln," so Maertens.
Kulturhunger im Nachkriegs-Hamburg groß
Natürlich war den Menschen die Steckrübe zunächst wichtiger als die Theaterkarte, trotzdem war laut Historiker Nils Steffen der Kulturhunger groß. "Da es kaum andere Unterhaltungsmöglichkeiten gab, waren die Theater in den Nachkriegsjahren mit bis zu 80 Prozent hervorragend ausgelastet." Auch die 1919 gegründete Hamburger Volksbühne verzeichnete nach Kriegsende einen steilen Anstieg seiner Mitgliederzahlen. "Theater ist nun mal etwas besonders, man geht raus, man unternimmt etwas, es ist live, es ist emotional, es lässt uns alles drum herum für einen kleinen Moment vergessen, und das ist manchmal sehr wertvoll. Und das ist zum Glück auch heute noch so."