Ida Ehre: Sie war die "Mutter Courage" des Theaters
Sie gilt als "Mutter Courage" des Theaters. Altkanzler Helmut Schmidt nannte sie ein "Tor zur Welt". Ein Zufall im Krieg brachte die Jüdin Ida Ehre nach Hamburg. Am 16. Februar 1989 starb sie in der Hansestadt.
Als die Schauspielerin, Gründerin und Prinzipalin der Hamburger Kammerspiele am 16. Februar 1989 stirbt, ehrt die Hansestadt ihre Ehrenbürgerin mit einem Staatsakt. Die Worte Helmut Schmidts wie auch die der anderen Redner verdeutlichen, was die "Grande Dame" des Theaters für die Hansestadt bedeutete. "Sie brachte Anouilh und Giraudoux und Sartre, Gogol, Max Frisch - sie brachte uns all die großen Dramatiker der Welt, von denen wir damaligen jungen Leute nicht einmal die Namen gekannt haben! Es war - inmitten einer geistigen wie physischen Wüste - eine ganz einmalige, nicht-wiederholbare Leistung", würdigt Schmidt seine gute Freundin. Als "Leuchtturm" habe Ida Ehre nach dem Zweiten Weltkrieg Heimkehrern aus den Konzentrationslagern, den Gefängnissen, den Bunkern und den Schlachtfeldern geholfen, ihren Weg zu finden.
Berufsverbot und gescheiterte Ausreise
Dabei entkommt Ida Ehre selbst im Dritten Reich nur knapp dem Tod. Die am 9. Juli 1900 in Prerau/Mähren geborene Tochter eines Oberkantors hat schon sehr früh den Wunsch, Schauspielerin zu werden. An der Wiener Akademie für Musik und Darstellende Kunst lässt sie sich ausbilden. Es folgen Engagements unter anderem im schlesischen Bielitz-Biala, in Budapest, Königsberg, Stuttgart, Mannheim und Berlin. 1933 belegen die Nationalsozialisten die Jüdin mit einem Berufsverbot, und nur die "privilegierte Mischehe" mit dem Arzt Dr. Bernhard Heyde, den sie bei einem Gastspiel in Stuttgart kennengelernt hat und der sich weigert, die Ehe aufzulösen, ermöglicht es Ida Ehre, die Jahre der Nazi-Herrschaft zu überstehen.
Zunächst assistiert sie als Arzthelferin in der Praxis ihres Mannes in Böblingen. Als in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 ein Stein ins Schlafzimmer der Heydes fliegt, beschließt die Familie, Deutschland zu verlassen. 1939 gehen die beiden mit ihrer kleinen Tochter Ruth in Hamburg an Bord eines Auswandererschiffes. Ziel ist Chile, doch kurz vor den Azoren muss das Schiff zurückkehren, weil der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist. Ida Ehre wird mit ihrer kleinen Familie in Hamburg quasi an Land gespült, wie sie es selbst in ihrer Biografie "Gott hat einen größeren Kopf, mein Kind ..." beschreibt.
Der Deportation nur knapp entkommen
Trotz ihrer "Mischehe" ist Ida Ehres Leben ständig in Gefahr. Einen Judenstern muss sie aufgrund ihrer Ehe nicht tragen, dennoch ist es ihr verboten, ins Konzert, ins Kino oder ins Theater zu gehen oder auch nur auf einer Parkbank zu sitzen. 1943 kommt sie für ein paar Wochen ins KZ Fuhlsbüttel, weil ein Filmteam der "Wochenschau" sie bei einer Lebensmittel-Ausgabe aus der Menschenschlange auswählt und sie es nicht wagt, die Bitte abzulehnen, sie beim Empfang des Essens filmen zu dürfen. Kurz darauf holt die Gestapo Ida Ehre zu Hause ab - sie habe das deutsche Volk mit ihrem Auftritt vor der Kamera zum Besten gehalten, statt zu sagen, wer sie sei.
Frei kommt Ida Ehre ihrer eigenen Erinnerung zufolge nur, weil ihr Mann mit Hitlers Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, zur Schule gegangen ist und ihm in einem Brief die Situation schildert. Kurz vor Kriegsende soll Ida Ehre für einen "Arbeitseinsatz" eingezogen werden, was nichts anderes als Deportation bedeutet. Eine Freundin der Familie, die Schauspielerin Marianne Wischmann, versteckt sie bis zum Kriegsende. Die Nazi-Zeit habe sie mehr geprägt als die 40 Jahre Theater nach 1945, schreibt Ida Ehre später in ihrer Biografie.
Ida Ehres Credo: Lieben statt hassen
Die Schauspielerin berichtet, ihre eigene Mutter habe ihr den Mut gegeben zu glauben, dass sie die Schrecken der Nazi-Zeit überstehen kann. Von der Mutter, die die Nazis im KZ Theresienstadt umgebracht haben, hat Ida Ehre auch gelernt zu lieben statt zu hassen, sie will versöhnen und nach vorne schauen. Statt Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu verlassen, reicht sie bereits im Juni 1945 bei der britischen Militärregierung den Antrag ein, in der Hartungstraße 9, einem Theatergebäude, das bis zur "Zwangs-Arisierung" vom Jüdischen Kulturbund genutzt wurde, die Hamburger Kammerspiele gründen zu dürfen. Am 10. Dezember desselben Jahres feiert ihr Ensemble mit dem Stück "Leuchtfeuer" von Robert Ardrey Premiere.
Welttheater nach zwölf Jahren Diktatur
Ida Ehre bringt den Hamburgern mit ihrem "Theater der Menschlichkeit und Toleranz" nach zwölf Jahren Diktatur ein großes Stück Welttheater in die Hansestadt. Zahlreiche deutsche Erstaufführungen von Theaterstücken Jean-Paul Sartres, Thornton Wilders oder Jean Giraudoux’ holt sie in die Hartungstraße.
Theatergeschichte schreiben die Kammerspiele am 21. November 1947 mit der Uraufführung von Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür", das dieser ursprünglich als Hörfunkstück konzipiert hatte. Es wird zum "Schlüsselwerk für die Generation, die 1945 von den Schlachtfeldern und aus den Gefangenenlagern des Zweiten Weltkrieges heimkehrte", wie es Anna Brenken in ihrer Biografie "Ida Ehre" auf den Punkt bringt. Die Kammerspiele entwickeln sich unter der Leitung der Prinzipalin zu einer führenden deutschen Schauspielbühne.
Als "Mutter Courage" auf der Bühne
Ida Ehre ist nicht nur Gründerin und Intendantin des kleinen Theaters an der Hartungstraße, sondern wirkt dort auch als Regisseurin und Schauspielerin. Zu ihren großen Rollen gehören dabei Brechts "Mutter Courage" und die Hekuba in den "Troerinnen". Um das kleine Theater finanziell halten zu können, öffnet sie die Kammerspiele für leichtere Kost, in einem zähen Kampf wirbt sie immer wieder für Unterstützung.
Großes Engagement bis ins hohe Alter
Die Ehrenbürgerwürde, die die Hansestadt ihr 1985 verleiht, ist nur eine von vielen Auszeichnungen, die Ida Ehre für ihr Engagement für die hamburgische und deutsche Theaterlandschaft erhält. Die Hamburger Universität zeichnet die Prinzipalin 1988 mit der Ehrendoktorwürde aus, sie erhält das Große Bundesverdienstkreuz und den Schillerpreis der Stadt Mannheim. Vier Jahre gehört sie dem Hauptausschuss des Nordwestdeutschen Rundfunks an, 13 Jahre dem Verwaltungsrat des NDR. Sie steht nicht nur bis kurz vor ihrem Tod auf der Bühne, sondern engagiert sich auch außerhalb des Theaters für Frieden und Toleranz. 1983, mit 83 Jahren, tritt sie zum Beispiel auf einer Friedensveranstaltung im St.-Pauli-Stadion auf.
Am 10. November 1988 rezitiert sie im Bonner Bundestag anlässlich einer Gedenkfeier zur Erinnerung an die Pogromnacht Paul Celans "Todesfuge". Dabei erlebt sie hautnah den viel kritisierten Vortrag des damaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger, der versucht, die Begeisterung der Deutschen für den Nationalsozialismus zu erklären - und deshalb einen Tag später zurücktreten muss. Das Foto der von einem Krankenhausaufenthalt geschwächten Ida Ehre, wie sie, die Hände vors Gesicht geschlagen, neben Jenninger im Bundestag sitzt, geht um die Welt.
Begräbnis auf dem Ohlsdorfer Friedhof
Ida Ehre stirbt am 16. Februar 1989 im Alter von 88 Jahren in einem Hamburger Krankenhaus. Sie wird auf dem Ohlsdorfer Friedhof in einem Ehrengrab neben Gustaf Gründgens, dem langjährigen Intendanten des Hamburger Schauspielhauses, begraben. In der Hansestadt wird später ein Platz in der Innenstadt nach ihr benannt, auch eine Schule im Stadtteil Eimsbüttel trägt ihren Namen.