Josef Jakubowski: Unschuldig wegen eines Mordes enthauptet

Stand: 26.03.2025 05:00 Uhr

Am 26. März 1925 wurde Josef Jakubowski vom Landgericht Neustrelitz zum Tode verurteilt. Den Mord an einem Dreijährigen, den er begangen haben sollte, hatten aber andere verübt. Dieser Justizirrtum wurde erst später aufgeklärt.

von Heiko Kreft

Die Palinger Heide vor den Toren Lübecks ist heute ein dicht bewachsener Wald. Mit einem ganz eigenen Mikroklima. An Bäumen und Sträuchern wächst überall dichtes Moos. Es wirkt ein wenig verwunschen. Im November 1924 beginnt hier einer der spektakulärsten Kriminalfälle der Weimarer Republik. In einem Kaninchenbau versteckt, wird der Leichnam von Ewald Nogens entdeckt. Der Dreijährige stammt aus dem nahegelegenen Dörfchen Palingen. Das gehört damals zum Freistaat Mecklenburg-Strelitz. Die Hauptstadt Neustrelitz ist 200 Kilometer entfernt. Von dort reisen die zuständigen Kripo-Beamten an. Erst Tage später treffen sie ein.

Amtshilfe aus Lübeck abgelehnt

"Man hätte sicher Hilfe vom Kriminaltechnischen Institut aus Lübeck holen können. Das lag nur fünf Kilometer weit weg", erzählt Olaf Both. Der Historiker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Mecklenburg. Zusammen mit seinem Kollegen Florian Ostrop hat er den Fall recherchiert und dazu eine jüngst im Schweriner Schleswig-Holstein-Haus eröffnete Ausstellung kuratiert. Doch Lübeck oder das nahe gelegene Mecklenburg-Schwerin gelten damals als Ausland. Amtshilfe durch Kripo-Spezialisten nehmen die Mecklenburg-Strelitzer nicht an.

Überforderte Polizei, verlorene Spuren

Die ersten Ermittlungen übernimmt ein aus Schönberg herbeigerufener Polizist. Im Nachhinein betrachtet ein fataler Fehler. "Der Landpolizist ist mit der Befragung von Zeugen überfordert und kann sich gar nicht auf die Spurensuche machen", sagt Olaf Both. Durch die stark verzögerten Ermittlungen gehen wertvolle Spuren verloren. Das wird sich später rächen. Der Prozess gegen den vermeintlichen Mörder geht hingegen schnell über die Bühne. Im März 1925 - rund vier Monate nach der Tat - soll sich Josef Jakubowski vor dem Schönberger Amtsgericht verantworten.

Familie belastet polnischen Landarbeiter

Der polnische Landarbeiter war mit der verstorbenen Mutter des Jungen liiert, hatte die Vaterschaft für den Kleinen anerkannt. Obwohl er nicht der leibliche Vater ist. Im Dorf gibt es Zweifel an Jakubowskis Täterschaft, erzählt Olaf Both. "Er galt in Palingen als sehr zuverlässig, freundlich und aufgeschlossen und auch als äußerst kinderlieb." Belastet wird der Pole hingegen von der Familie Nogens. Hauptbelastungszeuge ist der geistig schwer behinderte Hannes Nogens. Zwei weitere Onkel und die Großmutter des ermordeten Jungen sagen ebenfalls gegen Jakubowski aus. "Alle Zeugen, die Jakubowski in dem Prozess im März 1925 belasten, sind später des Meineides schuldig gesprochen worden", berichtet Kurator Florian Ostrop.

Keine Gnade für Josef Jakubowski: Tod durch Köpfen

Trotz des nur auf Indizien beruhenden Urteils und mehreren Gnadengesuchen wird Josef Jakubowski im März 1926 in Neustrelitz hingerichtet. © NDR / Heiko Kreft
Trotz des nur auf Indizien beruhenden Urteils und mehreren Gnadengesuchen wird Josef Jakubowski im März 1926 in Neustrelitz hingerichtet.

Auch auf Grund dieser falschen Aussagen wird Josef Jakubowski, der immer wieder seine Unschuld beteuert, verurteilt. Am 26. März 1925 befindet ihn das Schönberger Geschworenengericht für schuldig. Die verhängte Strafe: Tod durch Köpfen. Es ist das erste Todesurteil im Freistaat Mecklenburg-Strelitz, sagt Olaf Both. "Die Empörung war groß, weil dieses Urteil auf Indizien beruhte." Kaum jemand geht aber davon aus, dass das Urteil tatsächlich vollstreckt wird. Jakubowskis Pflichtverteidiger Karl Koch stellt Gnadengesuche an die Strelitzer Regierung und beim Reichsgericht einen Antrag auf Revision. Doch alle lehnen ab.

Hinrichtung mit dem Handbeil im Gefängnis Neustrelitz

Ausstellungs-Tipp

Die Ausstellung "ICH NICHTS GETAN. WOZU VIEL REDEN? - Der Fall Josef Jakubowski" präsentiert historische Fotos und Originaldokumente aus Ermittlungsakten und Gerichtsverhandlungen. Die Ausstellung läuft bis 15. Juni im Schweriner Schleswig-Holstein-Haus. Öffnungszeiten Dienstag-Sonntag 11 bis 18 Uhr.

Der zuständige Strelitzer Staatsminister Roderich Hustaedt schreibt in seinen Lebenserinnerungen: "Am Tage vor der Hinrichtung erhielt ich einen Eilbrief von dem Verteidiger, der nochmal dringend bat, die Begnadigung auszusprechen." Der Politiker sei dann mit sich "zu Rate" gegangen, habe aber keinen Anlass dafür gesehen. Am 15. Februar 1926 wird Josef Jakubowski in einem Gefängnis bei Neustrelitz mit dem Handbeil hingerichtet. Im Morgengrauen setzt der aus Magdeburg angereiste Henker Carl Gröpler dem Leben des 31 Jahre alten Polen ein Ende. Doch der Fall ist damit nicht abgeschlossen.

Albert Einstein und Thomas Mann engagieren sich

Es gibt weiter erhebliche Zweifel an seiner Täterschaft beziehungsweise seiner alleinigen Täterschaft. Der kommunistische Landtagsabgeordnete Rudolf Hartmann und Jakubowski's Schönberger Anwalt Karl Koch bemühen sich um weitere Ermittlungen. Unterstützt werden sie dabei von der "Deutschen Liga für Menschenrechte." Zu deren Mitglieder gehören unter anderem Albert Einstein und Kurt Tucholsky. In einem auch von Heinrich und Thomas Mann unterschriebenen Aufruf fordert die Liga einen neuen Prozess. 

Palinger Präzedenzfall: Kampf gegen Todesstrafe

Zeitgenössische Gegner der Todesstrafe zweifeln an der Schuld und der Hinrichtung von Josef Jakubowski. © NDR / Heiko Kreft
Zeitgenössische Gegner der Todesstrafe zweifeln an der Schuld und der Hinrichtung von Josef Jakubowski.

"Der 'Fall Jakubowski' fiel in die Zeit einer Diskussion um die Todesstrafe", ordnet Florian Ostrop ein. Die große Frage: Welche Strafen darf ein Rechtsstaat aussprechen? Der Palinger Fall wird zum viel beachteten Präzedenzfall. "Es geht darum, der Todesstrafe den Todesstoß zu versetzen und ihre Abschaffung voranzubringen." Tatsächlich kommt es nun zu neuen Ermittlungen, durchgeführt vom berühmtesten Kommissar der damaligen Zeit: Ernst Gennat. Der Berliner Kripobeamte ermittelt in Palingen, lässt Situationen nachstellen. Er hat erhebliche Zweifel an der alleinigen Täterschaft Josef Jakubowskis.

Onkel bekennt sich schuldig, Urteil gegen Jakubowski bleibt

Im Gelben Saal des Neustrelitzer Schlosses werden beim zweiten Prozess 1929 Großmutter und zwei Onkel als Schuldige verurteilt. © NDR Screenshot
Im Gelben Saal des Neustrelitzer Schlosses werden beim zweiten Prozess 1929 Großmutter und zwei Onkel als Schuldige verurteilt.

Im Mai 1929 - etwas mehr als drei Jahre nach der Hinrichtung - beginnt ein zweiter Gerichtsprozess. Diesmal im Neustrelitzer Schloss. Alle großen deutschen Tageszeitungen berichten damals ausführlich. Viele titeln bald "Jakubowski unschuldig hingerichtet". Der Grund: Im Laufe des Prozesses bekennt August Nogens, ein Onkel des getöteten Ewald, dass er an der Tat direkt beteiligt war. Auch die Großmutter und ein weiterer Onkel gestehen, am Mordkomplott mitgewirkt zu haben. Das Urteil gegen Jakubowski, das maßgeblich auf den falschen Aussagen dieser drei beruht, wird nicht aufgehoben.

Denkmäler für Josef Jakubowski

Ein zu DDR-Zeiten errichtetes Denkmal erinnert in Palingen an den hingerichteten Polen Josef Jakubowski. © NDR Screenshot
Ein zu DDR-Zeiten errichtetes Denkmal erinnert in Palingen an den hingerichteten Polen Josef Jakubowski.

Zu DDR-Zeiten werden Josef Jakubowski Denkmäler in Neustrelitz und Palingen errichtet. Ein Roman erscheint, es entstehen ein Fernseh- und ein DEFA-Kinofilm. Der Fall wird, wie schon in der Weimarer Republik, politisch gedeutet: als Beispiel für kapitalistische Klassenjustiz. Das sei aber zweifelhaft, sagt Florian Ostrop. "Von den neun Geschworenen, die damals in Schönberg abgestimmt haben, hatten vier Berufe, die man der Arbeiterklasse zurechnen könnte." Juristisch rehabilitiert wird Josef Jakubowski auch zu DDR-Zeiten nicht. "Das ist natürlich eine interessante Sache, weil eigentlich würde das ja der logische nächste Schritt gewesen sein. Aber da traut sich offensichtlich in der DDR auch die Justiz nicht ran."

Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 09.03.2025 | 19:30 Uhr

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