"Blaue Linie": Post und Fisch für Dresden
Am 10. August 1925, um 13.05 Uhr, startet auf der Elbe vor Altona ein Wasserflugzeug. Sein Ziel: das rund 400 Kilometer entfernte Dresden. Hunderte Schaulustige sind an diesem heißen Sommertag dabei, als Oberbürgermeister Max Brauer die "Blaue Linie" eröffnet, Europas erste Wasserflugverbindung.
Post und frischer Fisch von Altona nach Dresden
Die F-13-Maschinen der Junkers Luftverkehr AG verkehren zwischen der damals noch selbstständigen Stadt Altona und der sächsischen Landeshauptstadt mit Zwischenstopp in der Industriestadt Magdeburg. Sie sollen Geschäftsreisende und Post, Pakete und Waren wie Frischfisch aus dem Altonaer Fischereihafen transportieren. Drei Mitglieder des Magistrats sitzen an diesem Augusttag in der Passagier-Kabine, außerdem ein Hamburger Journalist. Auf dem geschmückten hölzernen Landeponton, der in der Elbe vertäut ist, haben sich die Altonaer Honoratioren versammelt, Vertreter der Junkers Luftverkehr-Gesellschaft, von Reichsbahn, Polizei, Handwerkskammer, dazu zahlreiche Stadtverordnete mit ihren Ehefrauen.
"Luftfahrt ist Not!"
Vom Führersitz der Maschine aus hält Oberbürgermeister Max Brauer eine kurze Ansprache: "Luftfahrt ist Not!", ruft er der Festgesellschaft auf dem schwankenden Anleger zu, in Anlehnung an einen populären Roman des Finkenwerder Schriftstellers Gorch Fock. Wie dieser die Notwendigkeit der Hochseefischerei beschreibt, betont Brauer die Bedeutung des boomenden Luftverkehrs für Wirtschaft und Gesellschaft. Die aufstrebende preußische Großstadt Altona will er mit der "Blauen Linie" an das innerdeutsche Flugnetz anbinden.
Aufschwung der zivilen Luftfahrt in den 20ern
Denn die zivile Luftfahrt erlebt in den 20er-Jahren einen Aufschwung. Immer mehr Fluglinien verbinden die großen Städte in Deutschland, Europa und Übersee. Wasserflugzeuge spielen dabei zunächst eine große Rolle: Landebahnen müssen nicht gebaut werden, Notlandungen sind jederzeit möglich, wenn ein Gewässer in der Nähe ist. Max Brauer will dem mächtigen Nachbarn Hamburg und seinem Flugplatz in Fuhlsbüttel Konkurrenz machen. In Bahrenfeld plant er für die Zukunft zusätzlich einen Landflughafen.
Premiere mit Hindernissen
Am Premierentag legt die F 13 mit fünf Minuten Verspätung ab. Als sie im Tiefflug Richtung Teufelsbrück gleitet, ertönt aus der Passagier-Kabine ein dreifaches Hurra, so laut, wie das "Altonaer Tageblatt" schreibt, "dass man glauben konnte, es berge die gesamten auf einer Luftfahrt begriffenen Hamburger Werftarbeiter in seinem Bauch". Dann zieht die Maschine empor und dreht Richtung Osten ab. Während die Altonaer Junkers planmäßig in Magdeburg zwischenlandet und bald Dresden erreicht, lässt die Maschine aus der Gegenrichtung auf sich warten. In Magdeburg ist sie bei der Landung mit einem Bootshaken kollidiert, der Propeller hat sich verklemmt und muss repariert werden. Weil die Mittagshitze auf dem Ponton inzwischen unerträglich geworden ist, flüchten sich die Honoratioren mit ihren Ehefrauen in ein schattiges Gartenlokal am Ufer, bis die Maschine endlich eintrifft.
Mit dem Ruderboot zum Start-Ponton
Der Elbflughafen liegt beim Övelgönner Hohlweg, unterhalb von Schröders Elbpark. Vom nahegelegenen Strandbad aus kann man den Start und die Landung beobachten. Der Kartenverkauf findet in einer hölzernen Baracke statt, die später zum Restaurant "Zur Elbkate" wird. Ein Neumühlener Bootsvermieter setzt die Fluggäste mit einem Ruderboot zum Start-Ponton über. Sie dürfen nicht mehr als eine Aktentasche mitnehmen. Als einmal ein Passagier ausfällt, muss der Bruder des Bootsvermieters als Ballast mitfliegen, um das Gleichgewicht der Maschine herzustellen. Täglich außer sonntags sind zwei Wasserflugzeuge im Einsatz, sie tragen die Namen "Silbermöwe" und "Wildente". Morgens um 9.30 Uhr starten sie von Altona und Dresden aus, am Nachmittag dann in die Gegenrichtung, sodass Geschäftsleute die Reise an einem Tag bewältigen können. Denn die Flugzeit beträgt nur viereinhalb Stunden.
Treibeis und Fuhlsbüttel verhindern den Erfolg
Doch die "Blaue Linie" wird kein Erfolg. Bis zum Sommer des folgenden Jahres finden nur 134 Flüge statt. Die Luftpostbeförderung endet schon im November 1925. Wegen Hochwasser und Eisschollen können die Maschinen im Winter oft nicht starten, bei der Kälte bleiben die Passagiere aus. Anfang 1926 übernimmt die Deutsche Luft Hansa den Betrieb, ein Zusammenschluss der Junkers Luftverkehr mit der Deutschen Aero Lloyd, einer Luftlinie der Reedereien Hapag und Norddeutscher Lloyd. Die Luft Hansa plant jetzt sogar, die Linie bis zur Insel Helgoland zu verlängern. Doch dazu kommt es nicht mehr.
Konkurrenz für die "Blaue Linie" wird zu groß
Als im Sommer 1926 auch eine Landflugverbindung vom Flughafen Dresden-Heller nach Hamburg-Fuhlsbüttel angeboten wird, kann die "Blaue Linie" nicht mehr konkurrieren und stellt ihren Betrieb ein. Das Wassergestell der F-13-Maschinen wird gegen ein Fahrwerk ausgetauscht. Außer auf der interkontinentalen Route zwischen Europa und den USA, wo in den 1930er-Jahren auch große Wasserflugzeuge eingesetzt werden, setzt sich das Landflugzeug im Fernverkehr durch. Die Strecke zwischen Hamburg und Dresden legt 1995, 70 Jahre nach dem Erstflug, noch einmal ein Wasserflugzeug zurück, mit einem Beutel voller Luftpostsendungen für Hamburgs sächsische Partnerstadt.