Die mit Containern beladene "MSC Zoe" ist in der Nordsee unterwegs, nachdem sie im Sturm auf dem Weg vom belgischen Antwerpen nach Bremerhaven Ladung in der Nordsee verloren hat. © picture alliance/Nlcg-Phcgn/Netherlands Coast Guard/dpa Foto: Nlcg-Phcgn

"MSC Zoe": Ein Container-Weltriese wird zum Havariefall

Stand: 08.01.2024 14:45 Uhr

Bei ihrer Taufe in Hamburg am 2. August 2015 wird die "MSC Zoe" als damals weltgrößtes Containerschiff gefeiert. Doch die Größe wird zum Problem: Am 2. Januar 2019 havariert der Riese - mit gravierenden Folgen.

Hunderte Schaulustige versammeln sich am 1. August 2015 im Hamburger Hafen, um die Ankunft eines Riesen zu verfolgen: Die "MSC Zoe" läuft ein, Barkassen und Boote mit Schiffsbegeisterten fahren dem Frachter entgegen. Es ist das seinerzeit größte Containerschiff der Welt, das wenig später am Containerterminal von Eurogate festmacht. 395,4 Meter lang und mit einer Tragfähigkeit von 19.224 Standardcontainern (TEU) soll der dritte Mega-Frachter der sogenannten Olympic-Klasse von MSC künftig unter der Flagge Panamas fahren.

Die vierjährige Zoe Vago weiht die Schiffsglocke der "MSC Zoe" ein.  Foto: Claudia Wohlsperger
Taufpatin Zoe Vago, Enkelin des MSC-Firmengründers, weiht die Schiffsglocke der "MSC Zoe" ein.

Zwar ist er - wie seine Schwesterschiffe "MSC Oscar" und "MSC Oliver" - einige Meter kürzer als die "CSCL Globe" der Reederei China Shipping und ihre Schwesterschiffe, die im Januar in den Hamburger Hafen eingelaufen waren. Die MSC-Schiffe können jedoch rund 200 Container mehr transportieren. Am 2. August 2015 folgt der feierliche Akt, die Taufe des 140 Millionen US-Dollar teuren Container-Riesen - wie es sich gehört mit der obligatorischen Champagnerflasche und in Anwesenheit der Taufpatin. Namensgeberin ist die damals vierjährige Zoe Vago, eine Enkelin des Firmengründers und MSC-Vorstandsvorsitzenden Gianluigi Aponte. Am Abend darauf verlässt die "MSC Zoe" die Hansestadt und fährt ihrem Alltag entgegen.

Die "MSC Zoe" in Daten

Umweltverbände warnen vor Risiken

Mehrere große Umweltverbände warnen derweil vor der Gefahr durch Havarien der immer größeren Mega-Containerschiffe. "Das Risiko wächst mit den Schiffen", heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung von WWF, BUND und NABU. Die Umweltverbände kritisierten, dass etwa das Ausbaggern der vergleichsweise schmalen Elbe nichts an der Anfälligkeit der großen Schiffe für Wind und Gezeitenströmungen sowie technische Defekte und nautische Fehler ändere. Bei den wiederkehrenden Feiern für große Containerschiffe in Hamburg würden die Risiken jedoch nicht thematisiert. "Man versucht mit der Brechstange zu demonstrieren, dass der Hamburger Hafen auch künftig mit Mega-Containerschiffen angefahren werden kann", sagte Manfred Braasch vom BUND Hamburg.

Titel des weltgrößten Containerschiffs schnell wieder weg

"MSC Gülsün" in Bremerhaven. © TeleNewsNetwork
Schnell laufen Schiffe der Megamax-Klasse wie die "MSC Gülsün" der "MSC Zoe" den Rang der Weltgröße wieder ab.

Doch das Risiko durch die Schiffsgiganten bezieht sich nicht allein auf die Elbe. Wind und Wetter herrschen vor allem auch auf dem offenen Meer. Und so soll die "MSC Zoe" ihren Titel als weltgrößtes Containerschiff zwar bald schon wieder abgeben. Schiffe der Megamax-Klasse wie die "MSC Gülsün" und die "HMM Algericas" sind wenige Jahre später mit bis zu 23.500 beziehungsweise 23.964 Standardcontainern unterwegs. Derzeit gilt die "Ever Alot" mit 400 Metern Länge als größtes Containerschiff der Welt.

"MSC Zoe" im Sturm: Hunderte Container über Bord

Schlagzeilen macht die "MSC Zoe" im Jahr 2019: Der Frachter ist auf dem Weg von Portugal nach Bremerhaven, als er am 2. Januar 2019 in schwere See gerät und einen Teil seiner Ladung verliert. Von 30 über Bord gegangenen Containern ist zunächst die Rede. Die Reederei muss ihre Zahl aber schnell nach oben korrigieren. Bis zu 270 Container seien in die Nordsee gefallen - unter ihnen auch mindestens einer mit Gefahrgut. Im Inneren: gefährliches Dibenzoylperoxid, das zur Kunststoff-Herstellung verwendet wird.

Das Havariekommando übernimmt von Cuxhaven aus den Einsatz. Vor der niederländischen Küste werden Container gesichtet, die zu den Inseln Terschelling und Vlieland treiben. Ein Öl-Überwachungsflugzeug, ein Hubschrauber der Bundeswehr, ein Tonnenleger und auch das Mehrzweckschiff "Neuwerk" machen sich auf ins Einsatzgebiet nordwestlich von Borkum, um die Container zu orten und zu bergen. 

Reederei muss sich erneut korrigieren

Doch der Einsatz erweist sich als äußerst schwierig. Eine Woche nach der Havarie ist noch kein einziger Stahlbehälter aus deutschen Gewässern gefischt. Das von der Reederei MSC beauftragte Bergungsunternehmen geht davon aus, dass es drei, wenn nicht sogar sechs Monate dauern wird, bis die Ladung geborgen ist - und: dass die Container beim Sturz in die Nordsee höchstwahrscheinlich alle geborsten sind und in Einzelteilen an Land geholt werden müssen. Die Reederei muss ihre Angaben zur verlorenen Ladung abermals korrigieren: Mindestens 340 Container stürzten ins Wasser.

Riskantes Strandgut: Kühlschränke, Gefahrgut, Mikroplastik

Freiwillige sammeln am Strand der niederländischen Insel Ameland angespülte Waren ein, die aus den über Bord gegangenen Containern der "MSC Zoe" stammen. © picture alliance/Jan Spoelstra/dpa Foto: Jan Spoelstra
Vermüllte Strände, soweit das Auge reicht: Insbesondere kleinste Plastikteilchen bereiten Helfern und Experten Sorge.

Die Ladung bahnt sich ihren Weg an Land - ganz und in Einzelteilen. Kühlschränke, Fernseher, Fahrradbleche, Kleidung und Plastikblumen tauchen über Wochen täglich an den Stränden der Inseln in Ostfriesland und den Niederlanden auf, später auch auf dem Festland. Hunderte Feuerwehrleute, Mitarbeiter vom Deichschutz, aber auf Freiwillige ziehen immer wieder los, um den Müll von den Stränden zu sammeln. Insbesondere die Insel Borkum hat es mit weiteren Problemen zu tun: Leere Säcke werden an den Strand gespült, die zuvor das giftige Dibenzoylperoxid enthalten hatten. Unter den Insulanern mach sich Unsicherheit über das Risiko breit, das vom im Meer verbliebenen Gefahrgut ausgehen könnte. Neben den Peroxiden im Gefahrgut-Container ist zudem auch das umweltschädliche Dicyclohexyl-Phthalat - ein Weichmacher - geladen gewesen. Das wird nun als Mikroplastik auf der Insel angespült. Die winzigen Granulat-Teilchen sind nur schwer zu bergen, zudem nicht biologisch abbaubar, schädigen laut Greenpeace langfristig diverse Wasserorganismen und gefährden auch die menschliche Gesundheit. Inzwischen wird auch ein zweiter Gefahrgut-Container mit rund 1.500 Kilogramm Lithium-Ionen-Batterien vermisst.

Was führte zur Havarie der "MSC Zoe"?

Die mit Containern beladene "MSC Zoe" ist in der Nordsee unterwegs, nachdem sie im Sturm auf dem Weg vom belgischen Antwerpen nach Bremerhaven Ladung in der Nordsee verloren hat. © picture alliance/Nlcg-Phcgn/Netherlands Coast Guard/dpa Foto: Nlcg-Phcgn
War die Ladung an Bord der "MSC Zoe" nicht richtig gesichert? Oder lief der Frachter gar kurz auf Grund?

Während Küstenbewohner und Fischer sich sorgen, ihre Strände reinigen und Sonarboote weiter nach den verschollenen Containern im Meer suchen, läuft auch die Suche nach der Havarie-Ursache an. Wurde das Schiff falsch beladen? Waren die Container nicht ausreichend gesichert? Ist das Riesen-Schiff durch Sturm und Seegang ins sogenannte Rollen geraten? Lief die "MSC Zoe" in Küstennähe gar kurz auf Grund und lösten die Erschütterungen das Wegrutschen der Container aus? Auf mehreren Ebenen wird ermittelt. Sowohl die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) in Hamburg wie auch die niederländische Sicherheitsbehörde OVV und Behörden in Panama, unter dessen Flagge die "MSC Zoe" fährt, nehmen Ermittlungen auf.

Auch politische Forderungen werden schnell laut. Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) etwa will Gefahrgut-Container künftig mit Peilsendern ausgestattet wissen. Außerdem solle international eine Verschärfung der Schifffahrtsrouten-Regelungen geprüft werden, um Havarien von Großcontainerschiffen in Küstennähe in der Zukunft zu verhindern. Auch der Bundesrat will schärfere Regeln für Frachter mit Gefahrgut an Bord.

Container-Suche wird im Herbst 2019 eingestellt

Emden, Niedersachsen: Das Bergungsschiff "Atlantic Tonjer" setzt mit einen Kran einen Unterwassererkundungsroboter aus. © picture alliance/Michael Bahlo/dpa Foto: Michael Bahlo
Monatelang wurden die Container mit Spezialschiffen wie der "Atlantic Tonjer" in der Nordsee gesucht. Im Herbst 2019 beenden die Behörden die Arbeit.

Längst nicht alle Container können bei der monatelangen Suche aufgespürt und geborgen werden. Von den 85 Containern, die vor der niedersächsischen Küste vermutet wurden, bleibe rund ein Viertel wohl für immer in Einzelteilen auf dem Meeresgrund liegen, heißt es im September 2019 aus dem Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Emden (WSA). "Wir würden jetzt nur noch die Nadel im Heuhaufen suchen", sagt Behördenvertreter Helmut Olthoff damals. Die Suche wird eingestellt. "Das alles ist sehr unbefriedigend, aber nun müssen wir wohl damit leben", so Olthoff. Auch die weiteren Bergungsarbeiten auf deutscher Seite gelten im November des Jahres abgeschlossen, alle für die Schifffahrt relevanten Hindernisse seien beseitigt.

Die Niederländer wollen so schnell nicht aufgeben und suchen noch eine Weile weiter nach der verlorenen Fracht. Doch auch hier kann rund ein Drittel der über Bord geschlagenen Ladung am Ende nicht geborgen werden und wird wohl noch lange auf dem Meeresgrund liegen.

Auslöser nach einem Jahr noch immer ungeklärt

Eine Seekarte zeigt die Orte, an denen die "MSC Zoe" havariert ist. © Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung
Diese Seekarte der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung zeigt die beiden Unfallorte mit Uhrzeiten vor Ameland (links, Niederlande) und der ostfriesischen Insel Borkum.

Warum genau es zum Massenverlust der Container gekommen war, bleibt lange ungewiss. Im Dezember 2019 veröffentlichen die deutschen und niederländischen Behörden einen Zwischenbericht zur Havarie. Klar ausgewiesen werden darin zwei Einzel-Ereignisse innerhalb kurzer Zeit: der Verlust von Containern einmal vor Ameland und einmal vor Borkum. 342 von 8.062 Containern seien insgesamt von Bord gegangen. 1.047 weitere an Bord verbliebene beschädigt. Die Besatzung der "MSC Zoe" habe den ersten Ladungsverlust nach stärkeren Rollbewegungen des Schiffes im Sturm festgestellt, die Schäden geprüft - und das Schiff seine Reise unterdessen fortgesetzt. Kurz darauf kommt es erneut zum Rollen des Frachters, nördlich von Borkum fallen weitere Container ins Meer. Die Besatzung informiert die Verkehrszentrale German Big Traffic darüber und nimmt mit gedrosseltem Tempo weiter Kurs auf Bremerhaven, wo das Schiff am 3. Januar anlegt.

Für die weitere Untersuchung der Unfallursache bekommt Panama als Flaggenstaat die Federführung. Deutschland und die Niederlande gelten als beteiligte Küstenstaaten.

Abschlussbericht: Das Problem der Größe beim Rollen

Eineinhalb Jahre nach der Havarie liegt schließlich der Abschlussbericht vor. Die Gutachter bestätigen noch einmal, dass das Schiff ins Rollen geraten war, die Ladung sei den gesetzlichen Vorgaben entsprechend gesichert gewesen. Wo also war das Problem? Es lag in der Größe des einst als größtes Containerschiff der Welt gefeierten Frachters: Schiffe dieser Größe hätten eine "sehr hohe Stabilität, die sich bei Rollbewegungen sehr negativ auf die Ladung auswirkt", erklärt Ulf Kaspera, Direktor der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung. In Schräglage könne es sich so sehr schnell wieder aufrichten - allerdings mit dem Effekt, dass dadurch "unheimliche Beschleunigungskräfte an der Ladung wirken". Ein Phänomen also, mit dessen Risiken man auch in Zukunft weiter rechnen müsse - bis die internationalen Regeln für Schiffssicherheit dieses Problem berücksichtigen.

"MSC Zoe" nach zwei Wochen wieder auf Fahrt

Für die "MSC Zoe" selbst ändert sich nach dem folgenreichen Vorfall erst einmal - nichts. Bereits zwei Wochen nach der Havarie wird sie von der zuständigen Berufsgenossenschaft Verkehr und Schiffssicherheit für verkehrssicher erklärt und sticht am 17. Januar 2019 wieder in See.

Die Reederei MSC

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Regional Oldenburg | 07.01.2022 | 08:00 Uhr

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