Der Ghia von Karmann: Ruhm und Untergang einer Kult-Ära
Mit dem Karmann Ghia wurde das einstige Familienunternehmen aus Osnabrück weltbekannt. Produziert wurden dort auch noch weitere "Oben ohne"-Autos. Seit dem 22. Juni 2009 ist die Ära Karmann allerdings vorbei.
Im Kern ist er "nur" ein Käfer. Vielleicht windschnittiger und tiefergelegt, aber ein Käfer. Das Top-Modell hat gerade mal 50 Pferdestärken unter der Haube und mehr als 160 Sachen holen auch die ausgebufftesten Fahrer aus der Kiste nicht heraus. Trotzdem heißt der Karmann Ghia bei seinen Fans "Sportwagen" - und auch 50 Jahre nach dem Ende der Produktion lebt der Ghia-Geist: in Fanclubs, Tüftlertreffen und Internetforen, egal ob in Deutschland, Frankreich oder den USA. Das kleine Käfer-Coupé ist Kult.
Deutsch-italienische Allianz bringt Kult-Coupé auf Käfer-Basis
Der Ghia ist der einzige Wagen des Autospezialisten aus Osnabrück, der auch wirklich Karmann heißt. Ein Jahr, nachdem Wilhelm Karmann das väterliche Karosseriebau-Unternehmen in Osnabrück übernommen hat, tüfteln die Karmänner 1953 den soften Sportler auf Käfer-Basis aus - zusammen mit dem Turiner Stylingstudio Ghia. Kapp zwei Jahre später startet die Serienproduktion. 7.500 Mark kostet der Zweisitzer zur Premiere. Zwischen 1955 und 1974 baut Karmann mehr als 360.000 Ghia-Coupés.
Statussymbol und Blickfang "oben ohne"
Ab 1957 folgt das Ghia-Cabriolet, rund 80.000 Stück werden davon insgesamt hergestellt. Es dauert nicht lange und der Karmann Ghia macht sich auf den Straßen der Welt einen Namen. Denn das Modell mit italienischem Design auf VW-Basis gilt als Symbol der Sehnsüchte der Nachkriegszeit, als Statussymbol des wirtschaftlichen Aufschwungs.
Frauen und Werbefotografen lieben den Ghia
Trotz kleiner Motorleistung mit üblicherweise 30 PS gelten die Wagen als Inbegriff von Eleganz. Das italienische Design kommt bei den Kunden gut an und ist sehr gefragt. "Sensationell! Das ist ein Volkswagen? So dachten Mitte der 50er-Jahre sicher viele, als sie zum ersten Mal den Karmann Ghia erblickten. Was für Formen, welche Eleganz! Und der Käfer als Basis, wirklich? Ganz genau. Beim Karmann Ghia traf deutsche Zuverlässigkeit auf italienische Grandezza, eine großartige Paarung, ob in der Ursprungsversion von 1955 oder als 'großer Karmann' von 1961", heißt es nostalgisch bei Volkswagen Classic.
Insbesondere Frauen wird nachgesagt, dass sie den Ghia schätzen. Filmstars wie Romy Schneider und Petra Schürmann fahren ihn damals - und in zahlreichen Werbe-Fotografien der Zeit oder auch bei Filmaufnahmen steht oft irgendwo ein Ghia als Blickfang im Bild.
Vom Holzauto über Kriegstrümmer zum Volkscabriolet
So viel Glanz ist zu Beginn der Unternehmensgeschichte nicht zu erwarten. Ursprünglich ist Karmann eine Fabrik für Pferdewagen und heißt Christian Klages. 1901 kauft Wilhelm Karmann das Osnabrücker Wagenunternehmen und bringt ein Jahr später seine erste hölzerne Autokarosserie auf den Markt. 1913 meldet er das erste Faltdach-Patent an.
Nach dem Zweiten Weltkrieg stehen die Karmänner vor den Trümmern ihrer Werkshallen und müssen von vorne anfangen. Den Grundstein für den Nachkriegsboom legte Wilhelm Karmann 1949, als er auf Bezugsschein einen VW Käfer kauft und daraus zusammen mit seinem Sohn - ebenfalls ein Wilhelm - einen Cabrio-Viersitzer bastelt. Der geköpfte Käfer kommt an bei VW - die Wolfsburger bestellen sofort 1.000 Stück. Karmann produzierte das Volkscabrio bis in die 1980er-Jahre hinein und verkauft insgesamt mehr als 332.000 Exemplare.
Karmann wird Spezialist für Sportcoupés und Cabrios
In den 1950er-Jahren dann werden Cabriolets und Sportcoupés die Spezialitäten der Autobauer aus Westniedersachsen - und der Karmann Ghia ist längst nicht die einzige erfolgreiche Marke, die es zu einem gewissen Kult-Status bringt. Vor allem die "Oben ohne"-Modelle von Karmann sind begehrt. Fast alle großen Hersteller sind bis zur Insolvenz des Unternehmens 2009 mal Kunde der Osnabrücker - und bestellen nicht nur Kleinserien: So gilt das Golf-Cabrio lange als meistverkauftes Verdeckmobil der Welt.
Ob Verdecke, Stahlkarossen oder das Komplettprogramm vom Reißbrett bis zum Endverbraucher: Plant ein Automobil-Riese damals einen neuen Straßenflitzer, wendet er sich häufig an Karmann. Mit dem eigenen Namen hält sich die Autofirma dabei aber eher zurück. Zwar bauen und entwickeln die Karmänner komplette Autos, nennen sich aber ganz bescheiden Zulieferer. Und kaum einer, der in sein Audi-Cabrio, seinen Mercedes CLK oder seinen Cabrio-Golf steigt, weiß, dass er eigentlich einen Karmann fährt.
Im Sommer 2009 geht eine Ära zu Ende
Ein schwarzer Mercedes CLK bildet 2009 das Finale in der langen Reihe von "Oben ohne"-Wagen, die Karmann seit 1949 produziert hat. Allein rund 225.000 Mal wurde das CLK-Cabrio ausgeliefert. Mehr als 3,3 Millionen Fahrzeuge wurden bis dahin in Osnabrück insgesamt hergestellt. Dann geht die Geschichte Karmanns als eigenständiger Autobauer zu Ende: Am 22. Juni 2009 rollt das letzte Cabrio vom Band. Lange hatte sich das mittlerweile insolvente Unternehmen vergeblich um Aufträge bemüht. Doch die Autohersteller hatten ihre Produktionsstrategien verändert - und die weltweite Finanzkrise die Situation noch einmal verschärft. 2010 wird das Unternehmen schließlich aufgelöst, viele der bis dahin noch 4.247 Mitarbeiter werden entlassen.
VW übernimmt verbliebene Unternehmensteile
Ende 2010 übernimmt Volkswagen die technische Entwicklung von Karmann. Die Dachsparte wird an verschiedene Interessenten verkauft: Magna übernimmt den japanischen Standort, die mexikanischen und nordamerikanischen Werke gehen an WebastoEdscha, der finnische Autobauer Valmet übernimmt die Produktion aus Osnabrück und Polen. Im März 2011 sichert sich VW schließlich die verbliebenen wirtschaftlichen Unternehmensteile inklusive der übrig gebliebenen Mitarbeiter wie auch der Patent- und Markenrechte und startet die Fahrzeugproduktion wieder neu. Ehemalige Karmann-Mitarbeiter bauen für die VW Osnabrück GmbH unter anderem das Golf Cabriolet - bis 2016.
Mittlerweile arbeiten in dem Osnabrücker Werk wieder rund 2.300 Angestellte, sowohl in der technischen Entwicklung als auch im Fahrzeugbau. Produziert wird dort aktuell das T-Roc-Cabrio, der Porsche Cayman und der Porsche Boxster.