Hanomag: Aufstieg und Fall einer Legende
Ob Laster, Landmaschine oder Pkw - der Name Hanomag stand lange für Qualität im Fahrzeugbau. Doch unternehmerische Fehlentscheidungen und ein kriminelles Geschäftsmodell führten die Firma aus Hannover in den Ruin.
Das Traditionsunternehmen Hanomag aus Hannover hat viele technische Meisterleistungen auf die Räder gestellt. Für den Wiederaufbau in der Nachkriegszeit waren Hanomag-Produkte unverzichtbar. Längst existiert das Unternehmen nicht mehr, aber der Mythos Hanomag lebt noch immer. Viele der alten Traktoren, Automobile und Lastwagen sind begehrte Sammlerobjekte.
Mit Dampflokomotiven von Linden in die Welt
Die Geschichte von Hanomag beginnt Mitte des 19. Jahrhunderts in Linden, damals noch ein Dorf am Rand von Hannover, heute ein Stadtteil. 1835 gründet Georg Egestorf dort eine Eisen- und Maschinenfabrik, produziert zunächst Dampfmaschinen. Doch im anbrechenden Zeitalter der Eisenbahn verlegt er sich schon bald auf die Herstellung von Lokomotiven. Mehr als 10.000 Loks werden von Linden aus in die ganze Welt geliefert. Nach Egestorfs Tod 1868 hat das Unternehmen wechselnde Besitzer. 1871 bekommt es den Namen Hannoversche Maschinenbau Actien-Gesellschaft, aus dem später die Abkürzung Hanomag wird.
Hanomags "Kommissbrot": Das erste Auto vom Fließband
Auch die Produktpalette ändert sich: Nach der Jahrhundertwende kommen Automobile in Mode, ab 1925 baut Hanomag einen Kleinwagen, das sogenannte Kommissbrot. Das Zehn-PS-Auto, das seinen liebevollen Spitznamen seiner kastigen Form eines Brotes verdankt, wird zum Verkaufsschlager. Als der kleine Hanomag auf den Markt kommt, ist er der erste deutsche Kleinwagen, der am Fließband gefertigt wird - und schreibt so ein Stück Automobilgeschichte. Von den insgesamt 16.000 produzierten Fahrzeugen sollen heute noch knapp 400 existieren. Sammler zahlen dafür hohe Preise.
Lastwagen und Traktoren: Hanomag fertigt von A bis Z
Neben Lokomotiven und Automobilen stellt Hanomag ab den 1920er-Jahren auch Lastwagen, Landmaschinen und Traktoren her. Zulieferer gibt es fast keine, die meisten Teile werden selbst gefertigt. Karl Wesche beginnt seine Ausbildung 1940 mit einem Stundenlohn von zwölf Pfennig. Nahezu sein gesamtes Berufsleben arbeitet er bei Hanomag. Rückblickend erinnert er sich an den Lärm in den Fabrikhallen: "Wir verstanden uns praktisch nur durch die Mundbewegungen, so konnte ich aus 20 Metern jeden verstehen." Die Arbeiter im Blechwerk bekommen immerhin eine Lärmzulage.
Produktion für die Kriegsmaschinerie
Der Aufstieg der Nationalsozialisten hat auch für Hanomag dramatische Folgen. Die Produktion von Rüstungsgütern wird zum Kerngeschäft. Neben der Stammbelegschaft müssen Tausende Zwangsarbeiter im Werk Flakgeschütze, Kettenfahrzeuge und Granaten herstellen. Mehrfach schlagen Fliegerbomben in den Hallen ein. Die Arbeiter werden meist rechtzeitig gewarnt, doch es gibt auch Tote. Nach Kriegsende besetzen englische Soldaten einen Teil des Werks. Schon im Juni 1945 läuft die Produktion wieder an - trotz erheblicher Zerstörungen und unter schwierigsten Bedingungen.
Goldene Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg
Mit der Trecker-Produktion beginnen nach demZweiten Weltkrieg die Boomjahre von Hanomag. 1950 arbeitet noch fast jeder vierte Deutsche in der Landwirtschaft. Entsprechend groß ist die Nachfrage nach den neuen Viertakt-Schleppern, aber auch nach Lastwagen und Baumaschinen von Hanomag. Zu den besten Zeiten des Unternehmens arbeiten dort mehr als 13.000 Menschen. "Man fühlte sich als König, das ist der richtige Ausdruck, wir hatten Ansehen", blickt Karl Wesche zurück.
Ausverkauf von Hanomag auf Raten
Nach zahlreichen Besitzer-Wechseln ist das Werk ab 1952 Teil des Rheinstahl-Konzerns. Doch der Konzern zeigt wenig Interesse an dem Fahrzeugbauer. Ende der 60er-Jahre leidet Hanomag immer stärker unter dieser Unternehmenspolitik. Dringend notwendige Investitionen bleiben aus. 1969 wird die Lkw-Sparte mit Henschel zusammengelegt und schließlich an Mercedes verkauft. 1970 entscheidet Rheinstahl, die Traktoren-Produktion einzustellen - Hanomag verliert seinen Kernbereich.
Ein Aufsteiger tritt als Retter an
Die Wut der Hanomag-Beschäftigten äußert sich immer wieder in Arbeitskämpfen. 1980 übernimmt Horst Dieter Esch das Unternehmen. Der Sohn eines Schlossers aus Hannover hatte sich in Amerika vom Kartenabreißer zum Chef einer Autokino-Kette hochgearbeitet. Mit seiner Internationalen Baumaschinen Holding (IBH) will er nun den Weltmarkt aufmischen - mit Hanomag als Kernbereich.
Esch baut ein Imperium auf - auf Pump
Das Erfolgsrezept ist einfach: Fast ohne Eigenkapital kauft Esch marode Unternehmen billig auf. So entsteht ein Imperium auf Pump, finanziert mit Bankkrediten und staatlichen Bürgschaften. Dafür verspricht der smarte Unternehmer den Erhalt von Arbeitsplätzen. Doch Eschs große Pläne geraten schnell ins Wanken. Die Konjunktur stockt und immer mehr Baumaschinen finden keinen Abnehmer.
Die Scheinwelt bricht zusammen
Im November 1983 bricht Eschs Scheinwelt zusammen. Rund 2.700 Beschäftigte verlieren ihre Jobs. Mit der Insolvenz kommen die Geschäftspraktiken Eschs ans Licht. Mit gefälschten Auftragspapieren hatte er sich jahrelang Bankkredite erschlichen. Im März 1984 wird Esch wegen Betrugs und Konkursverschleppung festgenommen und später verurteilt. Nach vier Jahren kommt er aus der Haft frei und übernimmt in New York die damals zweitgrößte Modelagentur der Welt.
Hanomag baut noch immer Baumaschinen
Drei hannoversche Mittelständler versuchen fortan, Hanomag mit kleinerer Belegschaft weiterzuführen, doch es geht nicht lange gut. 1989 übernimmt der japanische Baumaschinen-Konzern Komatsu die Aktienmehrheit. Heute ist Hanomag ganz in dessen Besitz. Rund 750 Mitarbeiter bauen in Hannover noch immer Bagger und Radlader zusammen. Direkt neben den verbliebenen alten Fabrikhallen aus den 1920er-Jahren ist seit 2020 zudem ein Technologiezentrum in Betrieb, in dem die digitale Produktentwicklung im Fokus steht.
Doch der größte Teil des einst 44 Hektar großen Hanomag-Geländes wird heute anders genutzt. Die meisten alten Produktionshallen sind längst abgerissen oder in Gewerbe- und Wohnraum umgewandelt. Nur wenig erinnert an das ruhmreiche Unternehmen Hanomag, das mit seinen Produkten die Geschichte der Mobilität maßgeblich geprägt hat.