Stand: 14.09.2020 09:34 Uhr

Aufbau Verlag: Ein Spiegel deutscher Geschichte

von Kathrin Matern
Messestand des Aufbau Verlags 1948 © Aufbau Verlag
Der Aufbau Verlag, hier ein Messestand von 1948, entwickelt schnell ein eigenes Profil, das Anfang der 50er-Jahre aber auch Probleme birgt.

Vor 75 Jahren, am 16. August 1945 wird der Aufbau Verlag in Berlin gegründet - mit der ersten Lizenz nach Ende des Zweiten Weltkriegs und zunächst als deutscher Verlag in der sowjetischen Besatzungszone. Die Wege und Konflikte des Verlags und seiner auch nord- und ostdeutschen Autoren spiegeln auch die Umbrüche in der deutschen Geschichte - vom Leben und Wirken in besetzten Zonen über das im geteilten Deutschland bis zur Wiedervereinigung eines Landes, das danach aber nicht geeint ist. Ein Buch von Konstantin Ulmer erzählt nun die wechselvolle Geschichte des Verlags.

Am Anfang waren Trümmer. Im Sommer 1945 lag Berlin in Schutt und Asche … Im noblen Ortsteil Dahlem war die Verwüstung nicht ganz so massiv. Dort, im Südwesten der Stadt, trafen sich am 16. August 1945 Klaus Gysi, Kurt Wilhelm, Heinz Willmann und Otto Schiele in der Wohnung des Letzteren. Die vier Herren kamen zusammen, um in Anwesenheit eines Notars eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) zu gründen, deren Name als Programm zu lesen war, als Aufruf und Hoffnung: Aufbau. [...] Dass die Gründungsurkunde unversiegelt blieb, ist eine Fußnote der Geschichte: Das alte Siegel, ein Reichsadler mit Hakenkreuz, hatte ausgedient. Ein neues existierte noch nicht. Konstantin Ulmer: "Man muss sein herz an etwas hängen, des es verlohnt. Die Geschichte des Aufbau Verlags 1945-2020"

Sitz des Aufbau Verlags von 1949 bis 1957 in der Französischen Straße 32 in Berlin. © Aufbau Verlag
Seinen ersten Sitz bezieht der Aufbau Verlag in der Französischen Straße in Berlin.

So beschreibt der Germanist und Literaturkritiker Konstantin Ulmer den Beginn der wechselvollen Geschichte des Aufbau Verlags. "Man soll sein Herz an etwas hängen, das es verlohnt", so der Titel. Das Zitat stammt von Hans Fallada, der von Anbeginn einer der wichtigsten Autoren des Verlages ist.

Als am 16. August 1945 mit der ersten Verlagslizenz nach Kriegsende in Deutschland der Aufbau Verlag gegründet wird, geben dessen vier Gründerväter ihm einen Namen, der inmitten vollkommener Zerstörung nach Zukunft klingt: Aufbau. Aufbruch und Neuanfang in schwierigen Zeiten, ein geistig-moralischer Aufbau in einem Land, das in vier Besatzungszonen geteilt ist und in dem es an allem fehlt.

Aufbau: Deutscher Verlag in sowjetischer Zone bis 1949

Konstantin Ulmer erzählt die Verlagsgeschichte in neun Kapiteln, eng verknüpft mit der deutsch-deutschen Geschichte. Der Aufbau Verlag wird als Einrichtung des Kulturbundes gegründet und wächst bald zum größten belletristischen Verlag der DDR heran - die im Jahr der Aufbau-Gründung allerdings noch nicht existiert. So ist Aufbau bis zur Gründung der DDR 1949 ein deutscher Verlag in einer sowjetisch besetzten Zone.

Werke von NS-Emigranten bilden ersten Schwerpunkt

Programmschwerpunkt in den Gründerjahren ist die Literatur von Schriftstellern, die nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrieren mussten. Aber auch deutsche Klassiker werden aufgelegt. Erste Titel sind Heinrich Heines "Deutschland. Ein Wintermärchen", Theodor Plieviers "Stalingrad" und "Das siebte Kreuz" von Anna Seghers.

Die Nummer eins bei Aufbau, die erste Publikation in der Verlagsgeschichte, war eine Broschüre, die zwei Wochen nach der Verlagsgründung in Satz ging: Das Manifest des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Neben dem Gründungsaufruf versammelte das vierzigseitige Bändchen die Redebeiträge der Gründungskundgebung am 4. Juli 1945 in der Berliner Rundfunkhalle. Die Auflagenhöhe unterstrich die kulturpolitische Bedeutung des Manifests: fünfzigtausendfach war von der Kriegsschuld Deutschlands zu lesen, vom "Ringen um die deutsche Seele", vom Licht, das der Kulturbund in "die furchtbare Finsternis" tragen wolle, "die Hitler hinterlassen hat". Konstantin Ulmer: "Man muss sein herz an etwas hängen, des es verlohnt. Die Geschichte des Aufbau Verlags 1945-2020"

Starker Einfluss der SED auf Aufbau-Programm

Weitere Informationen
Der Schriftsteller Hermann Kant. © Bundesarchiv Foto: Peter Koard

Die SED und ihre kontroverse Kulturpolitik

Die Kulturpolitik der SED war jeher ein Balanceakt - für Schriftsteller und für Parteifunktionäre gleichermaßen. mehr

Konstantin Ulmers Blick in die Verlagsgeschichte ist auch deshalb wertvoll, weil er mehr als 100 Abbildungen und historische Dokumente versammelt, die die Geschichte des Verlags belegen. In den Jahrzehnten nach der Gründung der Sozialstischen Einheitspartei Deutschlands im Jahr 1946 und der DDR hängt die Ausrichtung von Aufbau auch und vor allem ab von den Forderungen der SED - auch wenn die Mitarbeiter für mehr Rechte bei der Titelauswahl und der inhaltlichen Ausrichtung kämpfen.

Hans Fallada wird bedeutender Autor des Aufbau Verlags

Porträt des Schriftstellers Hans Fallada © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images
Der gebürtige Greifswalder Hans Fallada alias Rudolf Ditzen ist eines der großen Gesichter des Aufbau Verlags.

Hans Fallada alias Rudolf Ditzen (1893-1947), der Schriftsteller der "armen Leute", wie ihn auch seine Frau Anna Ditzen seinerzeit nennt, ist seit den Gründungstagen einer der wichtigsten Autoren des Verlags und ist es auch heute noch, mehr als 73 Jahre nach seinem Tod. Der Dichter, der 1932 mit "Kleiner Mann, was nun?" einen Welterfolg landet und seiner Frau Anna darin mit der Figur des "Lämmchens" ein Denkmal setzt, erfüllt sich mit den Einnahmen einen Traum und kauft ein Anwesen im mecklenburgischen Carwitz. Dort lebte er von 1933 bis 1944. Im Jahr des Kriegsendes und der Gründung des Aufbau Verlags 1945 ist Fallada kurzzeitig Bürgermeister im benachbarten Feldberg. Sein letzter Roman "Jeder stirbt für sich allein" erscheint 1947 in einer gekürzten, zensierten Ausgabe im Aufbau Verlag. 2011 erlebt der Roman mit der Veröffentlichung der ungekürzten Neuausgabe bei Aufbau eine Renaissance und verkaufte sich mehr als 300.000 Mal.

West-Öffnung: "Epizentrum eines politischen Erdbebens"

1950 übernimmt Walter Janka die stellvertretende Geschäftsführung des Verlags. Ein "selbstbewusster Partisan", wie Ulmer schreibt, der sich im Spanischen Bürgerkrieg 1936 den Internationalen Brigaden angeschlossen hatte. Noch 1945 hatte sich Janka für staatliche Einflussnahme und Aufsicht ausgesprochen. 1953 wird er Verlagsleiter, forciert die Öffnung für westdeutsche und internationale Autoren, setzt auf den literarischen Austausch mit dem Westen. Doch 1956, mit den in Polen und Ungarn einsetzenden Reformversuchen, läuft das Fass über: Janka wird im Dezember 1956 verhaftet und 1957 wegen konterrevolutionärer Verschwörung und Boykott-Hetze zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Verlag, so Konstantin Ulmer, wird zum "Epizentrum eines politischen Erdbebens", das sich in die "Verlags-DNA" einbrennt. Walter Janka wird nach dem Mauerfall rehabilitiert. Seine Erinnerungen erscheinen 1993 bei Aufbau.

Klaus Gysi übernimmt - Gabriele und Gregor Gysi blicken zurück

Nach Janka übernimmt Klaus Gysi die Verlagsleitung. Davon erzählt auch der in der Jubiläumreihe erschienene Band: "Unser Vater. Ein Gespräch". Befragt vom Journalisten Hans-Dieter Schütt, der schon an der Autobiografie von Gregor Gysi mitgearbeitet hat, erzählen die Geschwister Gysi über ihren Vater: Gabriele Gysi, Schauspielerin und mit Frank Castorf in der DDR am Theater Anklam, und Gregor Gysi, Linken-Politiker und "bester Redner der Bundesrepublik", wie er mal genannt wurde. Sie erzählen von einer privilegierten Kindheit mit meterhohen Bücherregalen und Besuch aus den USA, aus Südafrika, Großbritannien, Belgien und Frankreich sowie über ihr Verhältnis zum Vater: dem Verlagsleiter, DDR-Kulturminister, Botschafter in Italien, Staatssekretär für Kirchenfragen. Ein Leben, das die Extreme des 20. Jahrhunderts widerspiegelt.

Verlag spiegelt Umbrüche in deutscher Geschichte

Ulmers Buch erzählt auch vom Import westlicher Literatur in die DDR und davon, warum etwa die "Mutmaßungen über Jakob" von Uwe Johnson, 1934 in Cammin in Pommern geboren und in Güstrow aufgewachsen, nicht in der DDR, nicht im Aufbau Verlag erscheinen dürfen. Johnsons "Mutmaßungen" handeln von demokratischen Reformen, von Ost und West, von der Stasi und von Selbstmord. 1959 zieht der "Schriftsteller der deutschen Teilung", wie Johnson auch genannt wird, nach Westberlin um. So nennt er selbst seinen Weggang aus der DDR. Johnson gibt die Staatsbürgerschaft der DDR "zurück", soll aber bis zu seinem frühen Tod 1984 im britischen Sheerness on Sea niemals von Mecklenburg lassen können.

Christa Wolf und Proteste gegen die Biermann-Ausbürgerung

Der Liedermacher Wolf Biermann reckt am Mikrofon die Faust in die Höhe. © dpa
Nach einem Konzert in Köln 1976 wird Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert.

Auch Christa Wolf, in Landsberg geboren und in Mecklenburg aufgewachsen, gehört zu den Autoren, die im Aufbau Verlag veröffentlichen. Nach Johnsons Ausreise aus der DDR hält sie Kontakt zu Johnson, der die Wolfs manchmal überraschend in Kleinmachnow besucht. Sie gehört auch zu den Autoren, die 1976 die Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterzeichnen. 2010 wird sie in Neubrandenburg mit dem von der Mecklenburgischen Literaturgesellschaft ausgelobten Uwe-Johnson-Preis ausgezeichnet.

Vom Mauerfall und verbotenen Romanen

Cover des Buches: "Die Geschichte des Aufbau Verlages" © Aufbau Verlag
Die Geschichte des Aufbau Verlags erscheint am 18. August.

Ulmers Buch spannt einen Bogen über 75 Jahre deutscher Geschichte. Er erzählt von Romanen wie Werner Bräunigs "Rummelplatz", der in der DDR ebenfalls nicht erscheinen darf. Und blickt auf die Verlagsgeschichte in Zeiten des Mauerfalls und der Wiedervereinigung. Er liefert Einblicke in die Neuausrichtung nach der Wende und beschreibt die Illusionen nach dem Vollzug der Deutschen Einheit. Auch existenzielle Krisen gehören zur Verlagsgeschichte dazu wie der finanzielle Taumel, der Weg in die Insolvenz - und wieder hinaus. Ebenso wie die Ankunft des Verlags am neuen Standort am Berliner Moritzplatz.

Aufbau ist ein Verlag mit einer ganz eigenen Geschichte, der dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung seinen Platz gefunden zu haben scheint. Der sich seiner Herkunft gewiss ist und dem es gelungen ist, aus den Irrwegen zu lernen und neuen Herausforderungen die Stirn zu bieten. Am Anfang des Aufbau Verlags, im August 1945, waren Trümmer. Nach 75 Jahren bleiben Bücher und die Gewissheit, dass noch viele folgen werden. Konstantin Ulmer: "Man muss sein herz an etwas hängen, des es verlohnt. Die Geschichte des Aufbau Verlags 1945-2020"

Jubiläumsprogramm zum 75. Bestehen

Sein 75-jähriges Jubiläum feiert der Aufbau Verlag mit etlichen Neuerscheinungen und Lesungen, darunter auch ein schmaler Band von einem der wichtigsten Verlags-Autoren Hans Fallada: "Meine lieben jungen Freunde" - Falladas Briefe an seine drei Kinder.

Weitere Informationen
Das Dichterpaar Eva und Erwin Strittmatter während einer Lesung. © dpa - Bildfunk Foto: Thomas Uhlemann

Leseland DDR

Kontakt zu ausgewählter Literatur anderer Kulturen war die einzige Möglichkeit, der sozialistischen Realität wenigstens in der Fantasie zu entrinnen. mehr

Die Schriftstellerin Christa Wolf in der Berliner Akademie der Künste vor einer Fotowand. © picture-alliance / dpa/dpaweb Foto: Soeren Stache

Christa Wolf: Eine Autorin zwischen Verehrung und Verachtung

Vor der Wende wurde sie als gesamtdeutsche Autorin gefeiert, danach als "DDR-Staatsschriftstellerin" geschmäht. mehr

Eine Familie überquert im November 1989 mit Einkaufstüten einen geöffneten Grenzübergang zwischen DDR und BRD. © picture-alliance / dpa Foto: Wolfgang Weihs

Deutsche Einheit: Viel Neuland für Ost und West

Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 ändert sich für die Ostdeutschen alles. Ihr Alltag ist meist Neuland, wie ein Blick zurück zeigt. mehr

Auf einer Bildcollage sind die Rowohlt Taschenbücher "Schloss Gripsholm" von Kurt Tucholsky, "Kleiner Mann was nun" von Hans Fallada, "Am Abgrund des Lebens" von Graham Green und "Das Dschungelbuch von "Rudyard Kipling". © Rowohlt Verlag

Die Erfindung des Taschenbuchs: Fallada für die Hosentasche

1945 liegt die Buchbranche brach. Am 17. Juni 1950 folgt die Revolution: das "rororo"-Taschenbuch. mehr

Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 13.09.2020 | 19:30 Uhr

Mehr Geschichte

Schriftsteller Thomas Mann auf einer undatierten Aufnahme © picture-alliance / dpa Foto: Bifab

Thomas Mann: 100 Jahre "Der Zauberberg"

Für die "Buddenbrooks" erhielt Thomas Mann den Literaturnobelpreis. Sein Werk "Der Zauberberg" wird jetzt 100 Jahre alt. mehr

Norddeutsche Geschichte

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?