Siegfried Lenz: Erfolgreich über den Tod hinaus
Siegfried Lenz zählt zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Erneuten Ruhm erlangte er posthum durch den im Nachlass entdeckten Roman "Der Überläufer".
Schon zu Lebzeiten lag die Weltauflage seiner in mehr als 20 Sprachen übersetzten Bücher bei mehr als 25 Millionen. Das Werk von Siegfried Lenz zeichnet sich dadurch aus, dass er menschliche Schicksale ambitioniert mit seinerzeit aktuellen gesellschaftlichen Fragen kombiniert - und sich kritisch mit der deutschen Geschichte auseinandersetzt. Die Erfahrung des Totalitarismus wurde eines seiner wichtigsten Themen, schon in seinem ersten Roman "Es waren Habichte in der Luft" und besonders eindrucksvoll in seinem wohl bekanntesten Werk "Deutschstunde". Zugleich ist er aber auch mit Humoresken und zarten Liebesgeschichten hervorgetreten.
"Deutschstunde": Kritischer Blick auf die deutsche Geschichte
Der 1968 erschienene Roman "Deutschstunde" begeisterte auch international eine breite Leserschaft und wurde zu Lenz' größtem Erfolg. Die Figuren des Polizisten Jens Ole Jepsen und des Malers Max Ludwig Nansen stehen darin für den Widerspruch von Pflichterfüllung und individueller Verantwortung. Es folgten viele weitere große Romane wie "Heimatmuseum" (1978), "Der Verlust" (1981) oder "Die Auflehnung" (1994), die Lenz an die Seite der großen deutschen Autoren wie Heinrich Böll, Günter Grass oder Martin Walser stellten.
Einige seiner Bücher wurden verfilmt, darunter "Deutschstunde" 1971 als zweiteiliger Fernsehfilm. Fürs Kino wurde der Stoff 2019 neu verfilmt. Der im Dezember 2019 verstorbene Schauspieler Jan Fedder spielte in den drei Lenz-Romanverfilmungen - "Die Auflehnung", "Das Feuerschiff" und "Der Mann im Strom" - die Hauptrolle.
Lenz' "Schweigeminute" wird zum Überraschungserfolg
Mit 82 Jahren schrieb Siegfried Lenz seine erste Liebesgeschichte. Mit rund 360.000 verkauften Exemplaren war die Novelle "Schweigeminute" der Überraschungserfolg des Jahres 2008. Das Hörbuch wurde rund 14.000 Mal verkauft. Der NDR produzierte 2009 das gleichnamige Hörspiel. Lenz umfasst mit seinen Arbeiten alle literarischen Gattungen einschließlich Hörspiele, Theaterstücke, Essays, humoristische Erzählungen und Dramen.
Siegfried Lenz: Zu Hause in Norddeutschland
Geboren wurde der Schriftsteller am 17. März 1926 als Sohn eines Zollbeamten in Lyck, einer kleinen Stadt in Ostpreußen. Nach dem Notabitur wurde er zur Kriegsmarine eingezogen. Kurz vor Kriegsende desertierte Lenz und geriet in englische Kriegsgefangenschaft. Daraus entlassen, studierte er in Hamburg Literaturwissenschaft, Philosophie und Anglistik. Schon während seines Studiums arbeitete er als Redakteur für die "Welt". Als 1951 sein erster Roman "Es waren Habichte in der Luft" erschien, kündigte er bei der Zeitung und unternahm eine Afrika-Reise auf einem Bananendampfer. Nach seiner Rückkehr nach Hamburg beschloss Lenz als freier Schriftsteller zu leben.
Menschenfreund mit der "Friedenspfeife"
"Er ist ein freundlicher Mensch, ein sehr behutsamer Mensch und außerdem ein einfühlsamer Mensch. Insgesamt ein wunderbarer Kerl", sagte Altbundeskanzler Helmut Schmidt einmal über Siegfried Lenz. Die beiden leidenschaftlichen Raucher - der eine Zigarette, der andere Pfeife, verband seit den 60er-Jahren eine jahrzehntelange Freundschaft. Wie sehr Lenz Menschenfreund war, wird zum Beispiel in seinem Buch "Der Mann im Strom" aus dem Jahr 1957 deutlich. Er erzählt darin die Geschichte eines Tauchers, der wegen seines Alters arbeitslos wird. Der Roman behandelt den Kampf der einfachen Menschen gegen die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft. Lenz selbst sagte dazu:
"Wer sich nicht wehren kann, wer auf Unterstützung, auf Hilfe angewiesen ist, der könnte eine Unterstützung durch einen Schriftsteller finden - habe ich mir überlegt."
Preisgekröntes Gesamtwerk
Für sein außergewöhnliches Schaffen wurde Siegfried Lenz mit vielen Auszeichnungen bedacht, unter anderem dem Thomas-Mann-Preis, dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, dem Bayerischen Staatspreis für Literatur oder der Ehrenbürgerwürde der Hansestadt Hamburg (2001). Am 2. Dezember 2004 erhielt er zudem die Ehrenbürgerwürde des Landes Schleswig-Holstein. Damals war er der vierte Mensch, dem diese Ehre zuteil wurde, inzwischen gibt es sieben Ehrenbürger des nördlichsten Bundeslands.
Viele der Geschichten von Lenz sind in Norddeutschland angesiedelt. Nahe Rendsburg besaß er ein Haus, wo er die Sommer verbrachte. Am 7. Oktober 2014 starb der Schriftsteller im Alter von 88 Jahren in Hamburg.
Frühwerk "Der Überläufer" posthum veröffentlicht - und verfilmt
Nach seinem Tod wurde im Februar 2016 ein bis dato unveröffentlichtes Frühwerk von Siegfried Lenz publiziert: "Der Überläufer". Das Buch, das die Geschichte eines Soldaten erzählt, der zur Armee der Sowjetunion überläuft, schrieb Lenz bereits 1951. Der Hoffmann und Campe Verlag lehnte eine Veröffentlichung damals jedoch ab. 65 Jahre später entwickelte sich das Buch zum Bestseller. Erstmals seit 1968, als Lenz die "Deutschstunde" geschrieben hatte, stand damit wieder eines seiner Bücher auf Platz 1 der "Spiegel"-Bestsellerliste.
Im Auftrag des NDR hat Regisseur Florian Gallenberger den Bestseller verfilmt.
Weitere Nachlass-Veröffentlichung "Florian, der Karpfen"
Am 1. September 2021 erschien unter dem Titel "Florian, der Karpfen" eine weitere bisher unveröffentlichte Erzählung aus dem Nachlass von Siegfried Lenz.